Willkommen, Wettbewerbsverzerrung! Jetzt merkt jeder, wie absurd der neue EM-Modus ist

In dieser Woche kommen die Absurditäten des neuen EM-Modus voll zum Tragen. Denn auch nach dem letzten Gruppenspiel wissen manche Teams nicht, ob sie im Achtelfinale oder ausgeschieden sind. Das führt zu massiver Wettbewerbsverzerrung.

Der Jubel der Albaner war nachvollziehbar. Das 1:0 gegen Rumänien bedeutete schließlich den ersten EM-Sieg der Geschichte. Da kann man schon mal feiern. Möglicherweise aber werden sich die Albaner in wenigen Tagen schon mächtig ärgern. Denn dann könnte feststehen, dass sie zum Erreichen des Achtelfinales noch genau ein oder zwei Tore mehr hätten schießen müssen. Oder sogar, dass die gelbe Karte des Albaners Hysaj in der 94. Minute das Aus besiegelt hat. Der neue EM-Modus macht's möglich.

Viel wurde im Vorfeld gelästert über den Modus für das aufgeblähte Teilnehmerfeld. Die gesamte Vorrunde dient lediglich dazu, ein Drittel der 24 Teams auszusortieren. Selbst die vier besten Gruppendritten ziehen ins Achtelfinale ein. Das entwerte die Vorrundenspiele extrem, so die Kritiker.

Es gibt aber auch die Gegenstimmen, die behaupten: Der neue Modus macht die Vorrunde interessanter, weil mehr Teams bis zum letzten Spiel noch die Chance haben, weiterzukommen. Mehr Spannung und Dramatik bis zum Schluss.

Programmierte Wettbewerbsverzerrung

In dieser Woche, in der die jeweils letzten Gruppenspiele der Teams anstehen, werden die Schwächen des neuen Modus überdeutlich werden. Denn die Regel, wonach sich die besten vier von sechs Gruppendritten ebenfalls noch qualifizieren, birgt ein grundsätzliches Problem: Wettbewerbsverzerrung. Denn die Spiele der Gruppendritten, die am Ende gegeneinander gewertet werden, finden nicht gleichzeitig statt, sondern über mehrere Tage gestreckt.

Benachteiligt sind die Gruppendritten, die die Vorrunde als erstes abgeschlossen haben. Sie wissen beim Abpfiff ihres letzten Gruppenspiels nicht, ob die erzielten Punkte und Tore zum Weiterkommen reichen.

Statt Spannung und Dramatik produziert der Modus vor allem Ratlosigkeit nach dem Abpfiff. Teams wie Albanien, die ihre Gruppe früh als Dritter abgeschlossen haben, droht eine tagelange Hängepartie. Denn ob die drei erzielten Punkte und ein Torverhältnis von 1:3 für ein Weiterkommen als Gruppendritter reichen, werden sie wohl erst am Mittwoch wissen, wenn die Vorrunde abgeschlossen ist.

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Deutschland kann sich qualifizieren, ohne zu spielen

Deutschland dagegen könnte sich schon am Montag fürs Achtelfinale qualifizieren - einen Tag vor dem eigenen Spiel gegen Nordirland. Sollte England nämlich die Slowakei schlagen, stünden die Deutschen auch im falle einer Niederlage als einer der vier besten Gruppendritten fest.

Je später die Teams dran sind, desto kühler können sie berechnen: Reicht ein Unentschieden, um zu den besten Gruppendritten zu gehören. Brauchen wir noch ein Tor mehr, um über das Torverhältnis weiterzukommen?

Auch gelbe Karten könnten entscheiden

Es kann sogar die absurde Situation entstehen, dass gelbe oder rote Karten über das Weiterkommen entscheiden. Denn nach Punkten, Tordifferenz und erzielten Toren entscheidet die Fairplay-Wertung. Iren, Schweden oder Belgier, die am Mittwoch als letztes spielen und allesamt noch Kandidaten für den dritten Platz sind, wissen bei Spielbeginn zwar nicht, wie das Parallelspiel der Gruppe ausgeht. Aber dafür ganz genau, wie viele Punkte, Tore und Karten ausreichen, um zu den besten vier Gruppendritten zu gehören. 

Lösen kann man das Problem für die Zukunft, indem alle Teams aller Gruppen ihr letztes Vorrundenspiel zeitgleich austragen. Dafür bräuchte man allerdings zwölf von derzeit zehn EM-Stadien. Möglicherweise erledigt die Uefa das Problem aber auch auf andere Weise. Bei einer weiteren Aufblähung auf 32 Teams könnte man die Achtelfinalisten wieder ganz leicht ermitteln.

 

 

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