151 Fälle von sexueller Gewalt In einem kleinen Dorf in Lappland sind über Jahrzehnte Kinder missbraucht worden

Das Dorf Drag in der Gemeinde Tysfjord
© Tore Meek/NTB/AFP
Das Ausmaß hat selbst die Polizei schockiert. In der Gemeinde Tysfjord im Norden Norwegens sind mehr als 150 Fälle von sexuellen Missbrauchs bekannt geworden. Die 2000 Einwohner haben geschwiegen - jahrzehntelang.

In einer kleinen Gemeinde Lapplands sind dutzende Menschen über Jahre hinweg Opfer sexueller Übergriffe geworden, ohne dass jemand einschritt. Bei ihren Ermittlungen in der knapp 2000 Einwohner zählenden Gemeinde Tysfjord, sei die Polizei auf 151 Fälle sexueller Gewalt gestoßen, darunter 43 Vergewaltigungen, teilte die Behörde mit. Zu den Opfern zählten demnach auch Kleinkinder, die meisten waren minderjährige Mädchen.

Zehn Jahre von elf Männern missbraucht

In der Tageszeitung "Verdens Gang" berichtet eine Frau, die dort Liv genannt wird, von ihrem Martyrium. Ihr Vater hatte sich an ihr und anderen Mädchen vergangen.  Als Liv 14 war, habe dann einer ihrer Lehrer den Vater angezeigt, der anschließend für viereinhalb Jahre ins Gefängnis musste. Damit hatte ihr Leiden aber kein Ende. Denn die Taten hatten sie zu einer Art "Freiwild" in der Gegend gemacht. Zehn Jahre lang hatten sie fast ein Dutzend Männer regelmäßig missbraucht.

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Die Polizei konnte bislang 82 Opfer im Alter zwischen vier und 75 Jahren sowie 92 Verdächtige identifizieren, sagte Kommissarin Tone Vangen. Die meisten Fälle sind demnach bereits verjährt, die ältesten gehen auf das Jahr 1953 zurück.

Die Gemeinde Tysfjord  liegt in Lappland und wird von den Ureinwohnern, den Samen, bewohnt. Zu ihnen gehören viele der Verdächtigen. Möglicherweise spielt bei den jahrzehntelangen Vertuschungen auch der Glaube eine Rolle. Teile der Samen sind Laestadianer - Anhänger einer konservativen protestantischen Strömung mit besonders strengen moralischen Maßstäben.  Begründet wurde die Strömung von Lars Levi Laestadius, der die Bewohner im 19. Jahrhundert zum christlichen Glauben bekehrte.

Samen beichten lieber als zur Polizei zu gehen

Dies bedeute aber nicht, dass "die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk oder einer Glaubensrichtung" derartiges Verhalten bedingen würde, allerdings könnte sie eine Erklärung dafür bieten, warum die Übergriffe so lange totgeschwiegen worden seien: So zählten Laestadianer eher auf die Beichte als die Justiz, in anderen Fällen begünstige Abschottung das Schweigen, so Kommissarin Vangen.

Die Affäre ins Rollen gebracht hatte die Zeitung "Verdens Gang" im Juni vergangenen Jahres mit Berichten von elf männlichen und weiblichen Opfern sexueller Übergriffe. Erst danach nahm die Polizei Ermittlungen auf. Tone Vangen entschuldigte sich auch im Namen der Polizei, dass diese trotz einer Reihe von Anzeigen nicht früher tätig geworden sei. Bürgermeister Tor Asgeir Johansen sprach von einem "enormen Ausmaß" der Übergriffe. "Das ist eine kleine Gemeinde, und es ist klar, dass dies Spuren hinterlässt", sagte er der Nachrichtenagentur NTB.

nik/DPA

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