Das vergangene Jahr endete für Whatsapp mit einem Rekord: Mehr als 100 Milliarden private Nachrichten wurden am 31. Dezember 2019 rund um den Erdball verschickt. Allein hierzulande waren es mehr als zwei Milliarden Mitteilungen - damit entfallen auf jeden Deutschen etwa 24 Nachrichten. Die Zahlen belegen: An Whatsapp kommt man kaum vorbei. Mit mehr als 1,5 Milliarden Nutzern ist es der populärste Messenger der Welt. Jeder zweite Deutsche nutzt ihn regelmäßig.
Doch seit der Übernahme durch Facebook vor sechs Jahren werden die Bedenken lauter. Die beiden Whatsapp-Gründer Brian Acton und Jan Koum haben mittlerweile das Unternehmen verlassen und die Pläne von Mark Zuckerberg öffentlich kritisiert. Der will in diesem Jahr Werbung in den Messenger einbauen und die technische Infrastruktur der Messenger von Facebook, Whatsapp und Instagram zusammenführen. Wir sprachen mit der Netzaktivistin Katharina Nocun über die Datensammelei von Facebook - und warum der Konzern selbst dann etwas über uns erfährt, wenn die Chats verschlüsselt sind.
Frau Nocun, jeder zweite Deutsche kommuniziert via Whatsapp. Sie auch?
Nein, ich nutze die App aus Datenschutzbedenken nicht mehr und habe sie von all meinen Geräten gelöscht.
Klingt ziemlich radikal.
Gelegentlich gibt es Diskussionen und Nachfragen, warum ich nicht auf Whatsapp bin. Doch wenn ich den Menschen meinen Standpunkt erkläre, verstehen sie ihn. Fast alle meine Freunde nutzen mittlerweile Signal, einen alternativen Messenger, den auch der Whistleblower Edward Snowden empfiehlt.
Die Kommunikation von Whatsapp ist verschlüsselt. Sowohl das Unternehmen als auch Außenstehende können keine Chats lesen und keine Telefonate mithören. Was genau stört Sie?
Manchmal muss man gar nicht den Inhalt einer Nachricht kennen, um zu wissen, worum es geht. Im Rahmen eines Experiments zur Vorratsdatenspeicherung an der US-Uni Stanford haben sich Nutzer freiwillig überwachen lassen. In den Daten konnte man sehen, dass eine Teilnehmerin erst mit ihrer Schwester telefoniert hatte, bei der sie sich sonst fast nie meldete und danach bei einer Abtreibungsklinik anrief. Zwei Wochen kontaktierte die Teilnehmerin erneut die Klinik. Daraus konnte man schlussfolgern, dass sie eine Abtreibung hat vornehmen lassen. Nur anhand der Telefonprotokolle konnte man so etwas Sensibles und Privates herausfinden. Die sogenannten Metadaten sind teilweise verräterischer als die Daten selbst.
Warum sind sie für Konzerne so interessant?
Meta-Daten verraten viel über die Nutzer. Schickt man jemanden nachts um drei eine Sprachnachricht, sagt das viel über die Beziehung zwischen den Personen aus. Mit losen Bekannten kommuniziere ich anders als mit engen Freunden. Ein anderes Beispiel: Viele Eltern sind in Whatsapp-Gruppen angemeldet, in denen etwa geklärt wird, wer für das nächste Sommerfest der Schule die Kuchen backt. Allein dadurch kann Facebook - der Konzern hinter Whatsapp und Instagram - in Kombination mit Daten aus seinen anderen Diensten ableiten, dass diese Menschen alle Kinder im selben Alter haben, die höchstwahrscheinlich auf dieselbe Schule gehen. Mit diesen Daten kann man nicht nur das private, sondern auch weite Teile des beruflichen Umfelds abbilden.

Welche Daten werden bei einer Whatsapp-Nutzung gesammelt?
Zunächst wird erfasst, wann man mit wem kommuniziert. Erhoben werden außerdem die Namen der Gesprächsteilnehmer, sofern diese angegeben wurden, die Telefon- und Gerätenummer sowie die Netzwerkdaten. Ist das Smartphone etwa mit einem Wlan verbunden, kann man anhand der IP-Adresse grob den Standort ableiten. Diese Information nutzen die großen Unternehmen wiederum für Marktanalysen. Hinzu kommen Informationen darüber, wie ich die App nutze und Details über das genutzte Gerät – vom Betriebssystem bis hin zum Batteriestand. Man sollte im Zweifel davon ausgehen, dass die Konzerne alles sammeln, was sie sammeln können.
Wozu braucht Facebook diese Daten?
Glaubt man den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, werden die Daten aus der Whatsapp-Kommunikation nicht zur Optimierung der Werbeanzeigen verwendet. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Daten aus den verschiedenen Facebook-Diensten nicht zusammengelegt werden, um umfangreichere Profile zu erstellen. Aus unterschiedlichen Informationsschnipseln lässt sich ein sehr detailliertes Bild des Privatlebens nachzeichnen - bei jungen Menschen reichen dafür die Daten aus Instagram und Whatsapp.
Die Auswertung geschieht heimlich im Hintergrund, der Nutzer bekommt man von all dem nichts mit.
Die mangelnde Transparenz ist ein grundsätzliches Problem der modernen Tech-Konzerne.
Kann ich die Datensammelei stoppen, indem ich bei Whatsapp einen falschen Namen und ein Platzhalter-Bild hochlade?
Das wird nicht viel bringen. Denn vermutlich hat der Dienst meine Daten längst aus Adressbuch-Abgleichen von anderen Nutzern oder durch das Benutzen von Facebook oder Instagram auf meinem Smartphone. Der Konzern weiß längst, wer ich bin und mit wem ich befreundet bin. Mit einem falschen Bild kann ich Facebook nicht austricksen.
Die Adressbucheinträge sind vermutlich der größte Datenschatz, auf dem der Konzern sitzt.
Ich wollte von Facebook wissen, wer meine Daten bei einem Abgleich übertragen hat. Ich erwartete, dass ich zumindest geschwärzte Daten erhalte - doch das Unternehmen weigerte sich, irgendwelche Informationen herauszurücken. Ich war entsetzt: Facebook hortet Unmengen Daten, aber man enthält sie denjenigen vor, die es betrifft. Vermutlich, weil viele Nutzer das reale Ausmaß erschreckend finden und sich dann von dem Dienst abwenden würden.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Nutzer diese Daten freiwillig preisgeben.
Das Problem bei Messengern ist dasselbe wie bei sozialen Netzwerken: Gibt es erst einmal eine Mehrheit im Freundeskreis, die einen bestimmen Dienst nutzt, entsteht sehr schnell ein sozialer Druck, diesen Dienst auch zu nutzen. Dann treten automatisch etwaige Bedenken beim Datenschutz und der Sicherheit zurück. Menschlich ist das absolut nachvollziehbar. Aber die Unternehmen nutzen diese soziale Drucksituation schamlos aus, weil sie quasi eine Monopolstellung haben. Ich wünsche mir deshalb, dass die Politik stärker reguliert, sodass wir bessere Nutzungsrechte für alle haben.