Herr Beykpour, seitdem Sie Periscope im März gestartet haben ist ein ziemlicher Hype um Ihren Live-Streaming-Dienst entstanden. Was habe ich davon, wenn ich Periscope herunterlade?
Wenn Sie zehn Leute fragen, werden Sie zehn unterschiedliche Antworten bekommen. Aber wir versuchen, jedem Nutzer eine Supermacht zu geben, nämlich die Supermacht, sehen zu können, was in diesem Moment in der Welt geschieht – durch den Blick von anderen Menschen. Das ist auch das Ziel von Twitter. Aber statt diesen Blick in 140 Zeichen zu vermitteln, nutzt Periscope Live-Videos. Und das Besondere daran: Als Nutzer können Sie Einfluss darauf nehmen, was Sie sehen. Wenn Sie sich einen Livestream von mir etwa aus San Francisco ansehen, können Sie in Deutschland sagen: Geh’ da rüber. Zeig’ mir dies, zeig’ mir das. Es ist ein interaktives Erlebnis.
Alle können alles immer live verfolgen. Wie verändert das die Arbeit von Journalisten?
Viele Journalisten haben mit Periscope experimentiert, bei der Geburt des royalen Babys in Großbritannien, bei den Ausschreitungen in Baltimore, beim Erdbeben in Nepal, beim Ausbruch eines Feuers in Brooklyn. Das waren alles weltweite Nachrichtenereignisse, über die traditionelle Medien berichten. Und Journalisten haben Periscope ausprobiert, um herauszufinden, ob sie ihre Geschichten so auf eine neue Art interessant erzählen können. Das ist super.
Wie viele Streams haben Sie bislang übertragen.
Mehrere Millionen. Im April wurden jeden Tag Aufnahmen von der Dauer von sieben Jahren angesehen.
Was wird denn geguckt? Und wie hoch ist der Anteil von Pornos?
Der Anteil von Pornografie ist nicht signifikant. Aber die Welt ist ein recht großer Ort. Da gibt es immer wieder Vorfälle. Wir haben dazu eine klare Haltung und klare Regeln.
Was passiert, wenn ich diese Regeln verletze?
Wir nehmen den Stream aus dem Netz, Wiederholungstäter blockieren wir. Es ist uns wichtig, dass unser Ökosystem ein sicherer Ort ist. Wir haben eine Team, das sich rund um die Uhr um Beschwerden kümmert.
Wie viele Nutzer haben Sie?
Wir veröffentlichen dazu keine Zahlen. Aber in den ersten zehn Tagen hatten wir eine Million Nutzer. Entscheidend ist für uns die Dauer, die Menschen darauf verwenden Periscope-Streams zu sehen.
Und?
Im Schnitt dauert ein Live Stream fünf Minuten. Das ist um einiges länger, als wir ursprünglich erwartet hatten.
Wo lebt die Mehrzahl ihrer Nutzer?
In den USA natürlich, in Großbritannien, überraschenderweise gibt es auch in der Türkei viele Nutzer und im Nahen Osten, vor allem in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Saudi Arabien.
Periscope ist auch ein Weg, um staatliches oder polizeiliches Vorgehen zu kontrollieren und zu dokumentieren, etwa wenn Demonstrationen live übertragen werden.
Klar, das ist es, was wir meinen, wenn wir sagen, dass wir den Leuten eine Art Supermacht in die Hand geben, damit wir beobachten können, was auf der Welt geschieht. Philosophisch, aus einer demokratischen Perspektive, ist das extrem wichtig. Transparenz zu schaffen, ist extrem wichtig. Wenn wir erfolgreich sind, wird Periscope ein Werkzeug für die Wahrheit und Empathie. Was ist echter als zu wissen, dass das gerade jetzt geschieht? Ohne Filter, ohne Bearbeitung.
Totale Transparenz kann auch zur Kontrolle von Bürgern missbraucht werden, das ist die Kehrseite. In dem technikkritischen Roman „The Circle“ von Dave Eggers gibt’s auch Kameras, die überall aufgebaut werden und immer alles beobachtet. Sehen Sie die Risiken dieser Technik?
Ja, aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen dieser dystopischen Sichtweise und dem, was Periscope ist. In der Dystopie stellen Menschen Kameras auf, um andere zu beobachten. Bei Periscope sehen wir durch Ihre Augen. Es ist Ihre Kamera. Sie können aufhören, etwas zu filmen, wenn Sie möchten. In Sachen Datenschutz ist es vor allem die Entwicklung von Smartphones, die eine gewaltige Veränderung mit sich gebracht hat. Zentral ist, dass jeder immer eine Kamera dabei hat. Die Veränderung, die Periscope hier bewirkt, ist nicht so gravierend. Und ich glaube, dass die Vorteile der Transparenz die Nachteile überwiegen. Aber es ist richtig: Am Ende müssen die Nutzer ein Gleichgewicht finden, mit dem sie sich wohl fühlen.

Anfang Mai wurde Periscope benutzt, um den Boxkampf Mayweather gegen Pacquiao zu übertragen. Legal gab’s den nur gegen Bezahlung zu sehen. Wie wollen Sie solche Piraterie und Urheberrechtsverletzungen verhindern?
Bei uns gab es von Anfang an ein Meldesystem, denn das verstößt ausdrücklich gegen unsere Regeln. Weil dieser Boxkampf so exklusiv war, weil wir so neu waren, gab es eine intensive Berichterstattung über uns. Das war unglücklich. Aber vergleichbare Urheberrechtsverletzungen machen nur einen sehr kleinen Teil unserer Streams aus. Außerdem ist Periscope nicht gut geeignet, um Inhalte zu klauen. Nehmen Sie Game of Thrones. Wenn Sie das gucken, wollen Sie nicht sehen, wie jemand einen Fernseher abfilmt. Dann wollen Sie HD-Qualität, guten Ton.
Wie viele Leute arbeiten bei Periscope?
19. Am Anfang waren wir fünf, seit dem Start sind wir schnell gewachsen. Angesichts unseres Wachstums ist das noch wenig.
Bevor Sie live gingen, hat Twitter Periscope gekauft. Was bringt Twitter Ihnen im Alltag?
Twitter hat ein unglaublich breit angelegtes Netzwerk von Beziehungen – zu Journalisten, Stars, Sportorganisationen, Marken. Twitter erreicht viele Menschen, denen wir unser Produkt zeigen können. Wir sind 19 Leute, 18 davon in San Francisco. Dass wir Hilfe von einer Firma mit 4000 Leuten kriegen, ist einer der Gründe, warum Periscope so erfolgreich ist. Aber wir haben auch Zugang zu Erfahrung und Menschen. Wenn wir einen Android-Programmierer brauchen, kriegen wir im Handumdrehen einen der besten Android-Programmierer der Welt.
Was verbindet Twitter und Periscope?
Unsere Vision. Wir wollen live zeigen, wie der Puls der echten Welt schlägt. Und das ist, mit einem etwas anderen Medium, auch das Ziel von Twitter. Und bei Twitter gibt es ein Führungsteam, das eine Firma hat wachsen lassen erfolgreich gemacht hat.
Genau diese Führung ist bei Twitter gerade ausgetauscht worden. Dick Costolo tritt als Chef ab, Jack Dorsey übernimmt. Kennen Sie Dorsey?
Er war wahrscheinlich eine der entscheidenden Figuren, um den Deal zwischen Periscope und Twitter unter Dach und Fach zu bringen. Der Deal hat ihm viel bedeutet, denn er hat Twitter erfunden. Seine Ziele wären von Anfang an mit Live Streaming gut erreichbar gewesen, abgesehen davon, dass die Technik 2006 noch nicht so weit war. Kurzum: Wir arbeiten sehr eng zusammen.
Lassen Sie uns über Geld reden. Wie wollen Sie mit Periscope Geld verdienen?
Darauf gibt’s eine einfache Antwort: Das haben wir derzeit nicht im Fokus. Unser Produkt ist vielleicht zwei Sekunden alt. Wir konzentrieren uns darauf, ein Produkt zu entwickeln, das Menschen nutzen wollen – und nachhaltig nutzen werden. Wenn wir das schaffen, können wir daraus ein Geschäft entwickeln.
Und Sie? Wie lange werden Sie bei Periscope bleiben?
Joe Bernstein, der zweite Gründer, und ich, wir wollen, dass dieses Ding in die Welt kommt und etwas bewirkt. So lange wir das Gefühl haben, dass wir diesen Prozess vorantreiben können, und so lange wir glücklich sind, so lange sind wir hier. Wir haben das Gefühl, dass wir noch einen Job zu erledigen haben, unser Baby ins Leben begleiten müssen.
Sie haben mit dem Verkauf von Periscope sehr viel Geld verdient, von heute auf morgen sind Sie sehr reich. Sind sie nach dem Verkauf als ein anderer Mensch aufgewacht?
Viele Leute, die das Silicon Valley nicht verstehen fragen: Wahnsinn, Du hast Deine Firma verkauft. Was machst Du jetzt? Ich antworte dann: Was meinst Du damit? Ich habe meine Firma verkauft, bevor wir live gegangen sind. Ich möchte, dass das jetzt funktioniert. Ich arbeite an Periscope. Klar, in einem kleinen Teil meines Gehirns ist es schön zu wissen, dass ich jetzt etwas mehr Sicherheit habe. Aber daran denke ich nicht, wenn ich aufstehe oder zu Bett gehe.