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"Pacific" von Leonid Michelson Crewmitglieder packen aus: So abenteuerlich flüchtete die Super-Jacht eines Oligarchen vor der Polizei

Pacific von Leonid Wiktorowitsch Michelson
Die Pacific (IMO: 9569293) soll rund 150 Millionen US-Dollar gekostet haben. Sie gehört Leonid Michelson, Oligarch und Eigner des Energieversorgers Nowatek.
© Sabri Kesen / Picture Alliance
Der sanktionierte Oligarch Leonid Michelson hängt an seiner Super-Jacht "Pacific". So sehr, dass er keine Kosten und Mühen scheute, sie nach Beginn der russischen Invasion in Sicherheit zu bringen. Wie das gelang, berichten erstmals ehemalige Mitglieder einer Crew.

Es gibt nur wenige Branchen, die so verschwiegen sind, wie die der Jachten. Kein Wunder: Die besten Kunden in dieser Welt sind russische Oligarchen und arabische Milliardäre, die einen hohen Wert auf Privatsphäre legen. Zu Beginn der russischen Invasion in der Ukraine gerieten viele Schiffseigner unfreiwillig ins Rampenlicht – denn bedingt durch die vielen Sanktionen aus der westlichen Welt wurden die Jachten zu einem beliebten Ziel für Razzien und Beschlagnahmungen – manche sogar bereits für den Verkauf durch Behörden. Das gleiche Schicksal ereilte schnell auch andere Vermögenswerte, etwa opulente Villen in beliebten Küstenorten oder prall gefüllte Konten bei hiesigen Banken.

Für viele Oligarchen war es daher schon vor dem eigentlich Beginn des russischen Überfalls höchste Priorität, die wertvollen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Während das mit Häusern kaum gelang, waren besonders bei den millionenschweren Jachten ungewöhnliche Manöver zu beobachten. So verließ Wladimir Putins Jacht "Graceful" während Reparaturarbeiten Anfang Februar des vergangenen Jahres den Hamburger Hafen unverrichteter Dinge gen Kaliningrad und die Flotte von Roman Abramowitsch, der 16 Schiffe besitzen soll, wies seine Kapitäne an, türkische Gewässer aufzusuchen.

Zeugen berichten vom Leben an Bord einer fliehenden Jacht

Während es auf Portalen wie "Marinetraffic" manchmal möglich war, die hastigen Ortswechsel minutengenau zu verfolgen, blieb lange unklar, was wirklich an Bord der Jachten los war. Bis heute. Denn dem Youtuber und Experten "esysman" scheint es gelungen zu sein, Zeugen der Geschehnisse an Bord der "Pacific" (IMO: 9569293) ausfindig zu machen. 

Die "Pacific" ist eine 85 Meter lange Super-Jacht und gehört dem russischen Oligarchen Leonid Michelson. Michelson wurde zu Beginn des Krieges von einigen Nationen auf die Sanktionslisten gesetzt, darunter Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland. Für die Crew an Bord des Schiffes bedeutete das offenbar ungeahnte Wendungen – und teils auch das Ende der Karriere an Bord.

Ein Zeuge berichtet gegenüber "esysman", man sei mit der "Pacific" schon im Dezember 2021 von Europa nach Costa Rica gefahren. Den ersten Zwischenstopp legte man auf den Bahamas ein, bevor es durch den Panamakanal weiter zum eigentlichen Ziel ging. Dort angekommen, sei die Familie Michelsons einen Tag vor Beginn der Invasion an Bord gegangen – mit Ausnahme des Oligarchen. Frau und Kinder blieben zunächst zwei Monate lang.

Als Michelson auf die Sanktionslisten aufgenommen wurde, kam Bewegung in die Sache. Laut Insidern habe das Schiff umgehend das Jachtmanagement verloren, wodurch auch Dienstleistungen wie Gehaltszahlungen und Versicherungen plötzlich ausblieben. Es heißt, bis auf die Flagge der Kaimaninseln sei dem Schiff nichts geblieben – theoretisch war es damit stillgelegt. "Alle Verträge waren nichtig, es gab keine Möglichkeit, die Crew zu bezahlen. Wir wurden vollkommen unwissend auf dem Schiff zurückgelassen und hatten keine Ahnung, was als nächstes passiert", berichtet eine Person, die laut "esysman" zu diesem Zeitpunkt an Bord der "Pacific" war. "Alle Inhaber eines britischen Reisepasses wurden umgehend entlassen. Das waren 14 Mitglieder", heißt es weiter.

Anschließend habe man gesagt, dass das Schiff in türkische Gewässer müsse – inzwischen hatte sich rumgesprochen, dass russische Jachten dort sicher seien. Auch Abramowitsch hatte seine Schiffe umgehend dorthin bringen lassen. Für die Überfahrt habe man der Crew Unterstützung in Form einer Übergangsmannschaft zugesagt, erklärt der Insider. Das geschah nicht. Doch aus Russland wurde eine Person eingeflogen. Dabei handelte es sich um einen neuen Chef für die Angestellten an Bord der "Pacific". Vier Tage später, es war der 5. Mai 2022, sei man angewiesen worden, die Jacht zum Auslaufen klar zu machen. 

Koffer mit drei Millionen US-Dollar Bargeld

Einen Tag später ankerte das Schiff vor dem Eingang zum Panamakanal, man wartete auf die Nacht. Doch zuvor soll ein Koffer mit Geld an Bord gebracht worden sein. Ein zweiter Insider beschreibt die Situation wie folgt: "Als wir vor dem Kanal lagen, brachten sie einen Koffer mit drei Millionen US-Dollar Bargeld an Bord. Das Geld war für die Gehälter der Crew und Zahlungen für die Überfahrt gedacht."

Als die Fahrt dann weiterging, habe man erstmals sämtliche Ortungssysteme abgeschaltet (So bringen die Milliardäre ihre Luxus-Jachten in Sicherheit). Danach sei man gegen drei Uhr morgens durch den Kanal gefahren. Vorher habe man einen neuen Kapitän an Bord geholt, der nach Angaben des Insiders Verbindungen zur panamaischen Regierung hatte und so die Überfahrt garantieren konnte.

Gegen acht Uhr erreichte die "Pacific" den Atlantik. Vor der langen Überfahrt habe man die Vorräte aufgestockt. Danach machte sich das Schiff auf die Reise von Fort Sherman ins rund 6.000 Meilen entfernte Marmaris. Unterwegs hätte die Jacht ständig falsche Destinationen gesendet, während das eigentliche Ziel an der türkischen Küste lag.

Die genaue Position gab das Schiff nach 12 Tagen Überfahrt erstmals wieder westlich von Teneriffa an. Zuvor hatte das Schiff in Kap Verde getankt und die Vorräte aufgefüllt. Als Ziel hatte die "Pacific" Barcelona angegeben, fuhr allerdings weit daran vorbei und erreichte schließlich Marmaris.

Dort angekommen, sei man wieder in der Lage gewesen, eine Schiffsagentur anzuheuern. Diese habe den Liegeplatz organisiert und sich um alles gekümmert, was eine Jacht samt Crew im Hafen benötigt. Es heißt, Michelson habe immer wieder versucht, seine Crew zu bezahlen. Da er dies aber von seinem Schweizer Privatkonto erledigen wollte, habe so gut wie jede Bank die Buchung zurückgewiesen. Die Sanktionen verboten es, Gelder des Oligarchen anzunehmen. Und so kamen nur wenige Angestellte zu ihrem Salär. Anderen wurde das Konto aufgrund verdächtiger Aktivitäten unter Beobachtung gestellt.

Russischer Kapitän übernahm "Pacific", die meisten kündigten

Während die "Pacific" in der Türkei lag, seien fünf Mitarbeiter einer bekannten Broker-Firma an Bord gekommen. Dabei handelte es sich um eine Jachtenagentur mit Sitz in Monaco, die inzwischen ebenfalls sanktioniert worden ist.

Im Video von "esysman" heißt es, die russische Person, die in Costa Rica an Bord gekommen war, habe sich als Angestellter dieser Firma entpuppt. In der Türkei angekommen, habe man den australischen Kapitän entlassen und die russische Person als neuen Schiffsführer eingesetzt.

Das Crewmitglied beschreibt diese Zeit als äußerst kompliziert. Man habe nicht gewusst, wer das Management übernommen hatte und ob die eigenen Jobs ebenfalls auf der Kippe standen. Es habe keine Sicherheit gegeben, dass man bezahlt werde und bei einigen sei Michelson schon drei bis vier Monate im Rückstand gewesen. Der neue russische Kapitän habe daraus keinen Hehl gemacht. Er habe der Crew gesagt, die Jobs seien tatsächlich unsicher und es sei eine gute Idee, nach Alternativen zu suchen. Daraufhin hätten viele dem Rat Folge geleistet und das Deck der "Pacific" verlassen. 

Zuletzt verließ das Schiff im Dezember 2022 die türkischen Gewässer und steuerte Richtung Abu Dhabi. Die Emirate gelten als zweiter sicherer Hafen für russische Jachten, auch die "MY A" von Andrei Melnitschenko wurde dort zuletzt gesehen ("Motorjacht A" in Sicherheit). Die "Pacific" taucht auf einschlägigen Portalen nur noch als "533132394" auf und fährt inzwischen unter der malaysischen Flagge. Den Standort sendete das Schiff zuletzt am 25. Dezember 2022.

Hinweis: Der Youtuber "esysman" hat das Video rund eine Woche nach Erscheinen vom Netz genommen. Auf Anfrage, warum er dies tat, erklärte ein Mitarbeiter, man müsse rechtliche Fragen klären, bevor eine erneute Veröffentlichung erfolgen könne.

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