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Robert Capa beim D-Day 150.000 Soldaten und ein Fotograf

Der Fotograf Robert Capa war am 6. Juni 1944 dabei, als die alliierten Truppen in der Normandie landeten. Die Geschichte hinter seinen elf Fotos ist mindestens ebenso abenteuerlich.
Von Jochen Siemens

Elf Bilder. Es sind nur elf Bilder von diesen Minuten am Strand übrig geblieben. Elf von schätzungsweise 106. Und auch diese elf Fotos vom wichtigsten und entscheidenden Tag des Zweiten Weltkrieges haben, muss man so sagen, nur knapp und verletzt überlebt. Sie sind unscharf, seltsam verwischt und ungewollt atmosphärisch, weil sie mit der gleichen Angst blicken wie man selbst, wenn man dort gewesen wäre. Das "Life"-Magazin, das die elf Fotos wenige Tage später veröffentlichte, entschuldigte die Qualität mit dem Hinweis, der Fotograf habe im Kugelhagel und in Todesangst keine ruhige Hand gehabt, sondern gezittert. Verständlich.

Doch das ist nicht Geschichte der elf D-Day-Fotos Robert Capas, dem bis heute berühmtesten Fotografen der Kriege des 20. Jahrhunderts. Vor genau 70 Jahren, am frühen Morgen des 6. Juni 1944, begann mit der die Oparation "Overlord" die Invasion in der französischen Normandie. Es sollte der entscheidende Angriff auf Hitler-Deutschland werden. Es war das größte militärische Unternehmen der Weltgeschichte, 150.000 Soldaten, Panzer und Kanonen setzten an einem Tag von England auf die von Deutschen besetzte französische Küste über. Für die erste Welle der Soldaten war es ein Himmelfahrtskommando, denn die Wehrmacht metzelte mit Maschinengewehren und Kanonen alles nieder, was aus den Booten an den Strand lief. Für viele der erst 20-jährigen Amerikaner aus Kentucky oder Iowa dauerte ihr erster Krieg nur ein paar Minuten. Es war blutig und mörderisch, der Strand war übersät von Leichen, das Meerwasser färbte sich rot.

Einziger Fotograf in der ersten Welle

Robert Capa, damals 28, war der einzige Fotograf in der ersten Welle und verschanzte sich noch im Wasser zunächst hinter dem Wrack eines Landungsbootes. Von dort aus fotografierte er die Soldaten, die versuchten, an Land zu gehen. "Ich fand keine Lücke zwischen dem Kugelhagel und Granaten, um den Rest an den Strand zu kommen." Das Wasser stieg und weichte den Abschiedsbrief an seine Familie auf, den er in der Brusttasche trug. Im Schutz zweier Soldaten schaffte er es dann an den Strand vom Omaha-Beach, "ich warf mich flach hin und berührte mit meinen Lippen den französischen Boden. Ich hatte keinen Bedarf, ihn zu küssen."

Noch flach im Sand liegend hob er seinen Arm mit seiner Contax-Kamera in der Hand und fotografierte "ohne den Kopf zu heben". Doch während "jeder Granatsplitter einen Körper fand", waren die Filme seiner beiden Kameras voll und er musste sie wechseln. Es gelang nicht, seine Hände waren nass und zitterten, um sich zu schützen versuchte Capa, sich mit einem Spaten ein Loch zu graben, was auch nicht gelang. Es war die Hölle.

Laborant vergisst den Ventilator einzuschalten.

Capa sah, wie sich ein Sanitätsboot dem Strand näherte und lief los. Er wollte irgendwie die Filme wechseln, aber eigentlich wollte er weg. Capa, der den spanischen Bürgerkrieg und die Landung der Allierten in Italien fotografiert und überlebt hatte, der immer den Bomben und Granaten mit seiner Kamera gefolgt war, hatte: Angst. Scheißangst. Wer seine Erinnerungen in seinem Buch "Slightly out of focus" liest, kann noch heute die Angst spüren. Das Sanitätsboot wird von einer Granate getroffen, zwei Bootsleute werden zerfetzt, Capa klettert an Bord, das Boot fährt zurück zu einem Kriegsschiff vor der Küste, wo die Verwundeten abgeladen werden, überall Blut und Leichensäcke. Capa fotografiert das alles, Film nach Film, es sind am Ende 10 Filme, vier 35 Millimeter Kleinbild und sechs 120er Mittelformat, "106 Bilder", wie Capa schätzte. Deren D-Day beginnt jetzt.

Denn es muss schnell gehen, die ganze Welt wartet auf diese Bilder. In London steht schon ein startklares Flugzeug, um die Bilder, zwei Tankstopps unterwegs, nach New York zu bringen, wo sie "Life" sofort drucken will. Capas Bilder. Man wusste, wenn es einer schafft, dann er. Am frühen Morgen des 7. Juni erreicht das Schiff den Hafen von Weymouth an der englischen Küste. Capa packt die Filme in einen Beutel und übergibt sie einem Kurier, der damit nach London rast. Es sind die einzigen Bilder vom Strand, wie man Capa sagt, der ein paar Zigaretten raucht und sich ein Boot sucht, um wieder in die Normandie zu kommen.

London, 7. Juni 1944, der Bildredakteur John G. Morris wartet im Büro der Agentur AP auf die Filme. Fünf Fotolaboranten stehen bereit, um neun Uhr am Abend ist der Kurier da, zehn Filme und ein Zettel von Capa: "Die Action ist auf den 35 Millimeter-Filmen". Es bricht Hektik aus, man ruft auf einem Flugfeld an die Maschine bereitzustellen, die fünf Laboranten gehen in die Dunkelkammer, Licht aus, sie ziehen die Filme heraus, in den Wannen schwappen die Entwicklerlösungen. Nach ein paar Minuten schaut einer von ihnen auf die noch nassen Negative, ja, alles drauf, großartige Bilder, unfassbare Bilder.

Jemand bellt "schnell jetzt, die Bilder müssen noch durch die Zensur der Army!" Schnell, schnell jetzt. Der Laborant Dennis Banks nimmt die noch nassen Filme und hängt sie wie Schlangen an Klammern in den Trockenschrank. Schnell, schnell, er stellt die Heizung auf die höchste Stufe, schnell, schnell, und: vergisst den Ventilator einzuschalten. Die Filme hängen nicht in Trocknerluft, ähnlich einem Fön, sondern in einem Backofen. Und das ist für die empfindliche Emulsion tödlich. Sie schmilzt oder reißt, die Filme winden sich im Todeskampf zu dürren brüchigen Spiralen, wie schwarze Ascheflocken löst sich die Emulsion vom Film. Dennis Banks sieht nach ein paar Minuten in den Schrank, reißt die Filme heraus, aber sinnlos, sie sind ruiniert. John G. Morris, Schweiß auf der Stirn, schaut sich die Reste an, "auf dem vierten Film fand ich elf Bilder, die noch nicht vernichtet waren. Sie waren grau und körnig, aber sie hatten die Dramatik des Tages."

"Wie erkläre ich das Capa?"

Morris rast die ganze Nacht mit den Filmen durch London. Erst zur Zensur der Army, dann zu einem Kurier, der sie zum Flugfeld außerhalb der Stadt bringt. Am 8. Juni 1944 verlassen Capas Bilder gegen neun Uhr morgens England mit dem Ziel New York. Morris dachte nur eines: "Wie erkläre ich das Capa?"

Gar nicht. Der gebürtige Ungar Robert Capa erwähnte die Vernichtung seiner vielleicht wichtigsten Bilder gegenüber Morris nie. Er war enttäuscht, sogar bitter enttäuscht, er hatte sein Leben riskiert und beschissene Angst für Fotos gehabt, die, bis auf elf, in einem Londoner Labor zerstört waren. Sarkastisch notierte er in seinen Erinnerungen, dass man behauptete, er habe so gezittert. Er? Capa? Nein, nicht beim Fotografieren. Erst beim Wechseln der Filme aus Angst, einer der Filme zu belichten oder zu beschädigen. Robert Capa blieb im Krieg. Er fotografierte die Befreiung von Paris und den Vormarsch der Allierten nach Deutschland. Er fotografierte die Schauspielerin Ingrid Bergman im zerstörten Berlin und er versuchte sich nach dem Krieg sogar als Modefotograf in Paris.

Dann, 1954, zog Robert Capa mit den französischen Truppen in den Kolonialkrieg in Vietnam, am 25. Mai begleitete er eine Patrouille in den Dschungel. Seine Bilder waren scharf und präzise, als er an diesem Tag auf eine Tretmine des Vietcong trat. Er war sofort tot. Als man den Film aus seiner Kamera nahm und entwickelte, waren genau elf Bilder darauf. Wie damals am D-Day.

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