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Amoklauf in Hamburg Jetzt braucht es eine ehrliche Aufarbeitung. Und keine peinlichen Ausreden

Andy Grote
Hamburgs Innensenator Andy Grote (rechts) und Polizeipräsident Ralf Martin Meyer bei der Landespressekonferenz
© Picture Alliance
Die Polizisten, die Philipp F. überprüfen wollten, gingen dilettantisch vor. Polizeipräsident Meyer und Hamburgs Innensenator Grote versuchten das auch noch schönzureden, meint stern-Autorin Kerstin Herrnkind.

Es war eine selten peinliche Landespressekonferenz. Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer und Innensenator Andy Grote (SPD) versuchten zu erklären, warum Amokläufer Philipp F. trotz eines anonymen Hinweises von der Polizei nicht gestoppt wurde. Am 24. Januar 2023 geht bei der Polizei in Hamburg ein anonymer Hinweis ein. Der Absender weist die Polizei darauf hin, dass Philipp F. psychisch auffällig ist und dass er Waffen hat, die er vielleicht nicht haben sollte. Der Absender weist die Waffenbehörde auf das Buch hin, das Philipp F. geschrieben hat.

Die Polizisten geben den Namen von Philipp F. bei "Google" ein und das Stichwort "Buch". Sie finden nichts. "Trotz länger Runterscrollens der Seiten", wie Polizeipräsident Meyer betont. Die Polizisten geben auf.

Auch "Experten", mit denen die Suche nach dem Amoklauf nachgestellt worden sei, hätten das Buch nicht gefunden. Der "Algorithmus" hätte sich wohl geändert. Das Buch sei "für einen normalen Menschen nicht auffindbar" gewesen, behauptet Meyer. Wirklich nicht?

Philipp F. wies auf sein Buch hin

Philipp F. hatte eine Internetseite. Diese Internetseite haben die Polizisten auch besucht. Auf dieser Internetseite warb er für sein Buch. Philipp F. warb für sein Werk auf seinem Profil bei LinkedIn. Das Buch wurde seit Dezember 2022 bei Amazon verkauft. Die Beamten hätten bei Amazon nur den Namen von Philipp F.  ins Suchfeld eintippen müssen und sie hätten das Werk für 9,99 Euro als Kindle-Version herunterladen können. "Das sind keine Rechercheexperten", sagte Ralf Martin Meyer über seine Beamten. Polizisten, die nicht richtig im Internet recherchieren können. 

Am 7. Februar 2023 stehen die beiden Polizeibeamten Philipp F. gegenüber. Sie fragen ihn nicht nach seinem Buch. Warum nicht? Es sollte ja "möglichst eine Routine-Kontrolle" werden. Philipp F. sollte nicht "misstrauisch" werden. So bleibt das Buch unentdeckt. Und Philipp F. erschießt ein paar Wochen nach dem Besuch der Polizei in Hamburg sieben Menschen, darunter ein ungeborenes Kind.

Hitler als "Exekutive Gottes"

In seinem Buch bezeichnet Philipp F. Hitler als "menschliche Exekutive Gottes". Die NS-Zeit sei ein "himmlischer Akt" gewesen. Es gibt viele solcher Passagen, die den Polizeibeamten, die Philipp F. überprüfen sollten, entgangen sind. Ob die Passagen gereicht hätten, um Philipp F. die Waffen abzunehmen, wird der Polizeipräsident gefragt. Es hätte wohl gereicht, um einen "Vorgang anstoßen" zu können, weicht Meyer aus. Es hätte gereicht. Die Verherrlichung des NS-Regimes sind "objektivierbare Tatsachen", die es gebraucht hätte, um Philipp F. zu entwaffnen. Extremisten und Verfassungsfeinde dürfen keine Waffen haben. So steht es im Gesetz. Auch Menschen, die gegen Völkerverständigung sind, können nach dem Willen des Gesetzes entwaffnet werden. Philipp F. hätte dann dagegen vorgehen können. Aber seine Waffen wäre er erstmal los gewesen. Sechs Menschen wären womöglich noch am Leben. Und ein Kind wäre geboren worden.

Es war peinlich, wie Polizeipräsident Ralf Martin Meyer und Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) versuchten, die Versäumnisse der Waffenbehörde kleinzureden. Am Ende bekam der anonyme Hinweisgeber auch noch eine Art Mitschuld. Er hätte sich doch bitte "andere Wege" suchen sollen. "Die müssen ordentlich arbeiten", sagte Hamburgs Innensenator Grote. Aber im Nachhinein sollte man die Behörde nicht verurteilen. Die Beamten hätten getan, was sie konnten, wenn nicht sogar mehr. Nein. Die Polizisten haben Philipp F. eben nicht sorgsam überprüft. Trotzdem verdienen die Beamten Mitgefühl. Sie haben versagt. Das ist menschlich. In diesem Fall war es tödlich. Vielleicht hätte sich Philipp F. illegale Waffen für seinen Amoklauf besorgt, wenn die Behörden ihn entwaffnet hätten. Es geht nicht darum, diesen Polizisten nun Vorwürfe zu machen. Es geht darum, aus Versäumnissen zu lernen. Damit man gerüstet ist für die Zukunft. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Das fängt mit einer ehrlichen Aufarbeitung an. Und nicht mit peinlichen Ausreden. Wie die Polizei ihr Versagen eines Tages den Angehörigen der Getöteten erklären will, steht auf einem anderen Blatt. 

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