Trotz Absage der Rosenmontagszüge hat der Düsseldorfer Karnevalswagenbauer Jacques Tilly vergangene Woche noch einige Satire-Figuren auf die Straße gebracht, darunter einen katholischen Bischof. Dessen Mütze bestand aus einer gigantischen männlichen Eichel. Unterschrift: "Das Kernproblem der katholischen Kirche".
Die 68 Bischöfe, die sich an diesem Dienstag zu ihrer Frühjahrsvollversammlung zusammenschalten, dürften dies vermutlich mehrheitlich als grobe Obszönität abtun. Doch eines lässt sich kaum bestreiten: Wenn in der deutschen Öffentlichkeit von der katholischen Kirche die Rede ist, dann ist dies inzwischen sehr häufig, um nicht zusagen meistens, im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch von Kindern der Fall.
Vertrauen in die Kirchen weitgehend dahin
Für eine Institution, die sich selbst als ethische Instanz betrachtet, muss dies eine verheerende Entwicklung sein. Tatsächlich wird die katholische Kirche von vielen in der Gesellschaft nicht mehr als moralische Autorität anerkannt. Rasant steigende Austrittszahlen sind die Folge. Ein Bündnis katholischer Laienorganisationen hat aus Anlass der Frühjahrsvollversammlung daher eindringlich an die Bischöfe appelliert, wieder für mehr Glaubwürdigkeit zu sorgen. "Verspielen Sie die letzte Chance nicht", heißt es in dem Appell, den die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands, der Katholische Frauenbund, die Reformbewegungen Wir sind Kirche und Maria 2.0 sowie das Katholische Komitee der Lesben und Schwulen am Montag veröffentlichten.
"Das Vertrauen in die katholische Kirche liegt seit Jahren deutlich unter dem Vertrauen in die evangelische Kirche", erläutert der Religionssoziologe Detlef Pollack von der Universität Münster. Während kaum mehr als ein Siebtel der deutschen Bevölkerung der katholischen Kirche Vertrauen schenke, liege der Prozentsatz für die evangelische Kirche immerhin mehr als doppelt so hoch.
Beide Kirchen gehörten jedoch zu denjenigen Institutionen, denen die Bevölkerung am wenigsten vertraue, vergleichbar mit Banken, Arbeitgeberverbänden oder – am geringsten bewertet – Werbeagenturen. Ein sehr hohes Vertrauen genießen dagegen Polizei, Ärzte, Universitäten und das Bundesverfassungsgericht.

"Was manche Bischöfe heute teilweise äußern, hätte so schon im 12. oder 13. Jahrhundert gesagt werden können"
Pollack erklärt das damit, dass diese Berufsgruppen und Institutionen einen klaren gesellschaftlichen Nutzen hätten. "Sie gehen mit den Problemen der Menschen um, aber erstreben keinen Nutzen für sich, sondern für andere, ja letztlich für alle." Banken, Unternehmen und Werbeagenturen unterstelle man dagegen eigennützige Absichten. "Offenbar werden die Kirchen diesem Organisationstyp zugeschlagen." Dazu komme, dass die Kirchen, insbesondere die katholische, mit hohen moralischen Ansprüchen aufträten und ihnen Fehlverhalten deshalb besonders angelastet werde.
Der Blick von außen auf die Kirche ist demnach skeptisch – die Selbstwahrnehmung der Bischöfe und Priester fällt hingegen ganz anders aus. Die Wurzeln dafür reichen tief in die Jahrtausende alte Geschichte der Kirche zurück. "Ich finde es geradezu irritierend, wie gut man als Mittelalter-Historiker heute noch versteht, was in der katholischen Kirche vor sich geht", sagt Professor Martin Kaufhold von der Universität Augsburg. "Was manche Bischöfe heute teilweise äußern, hätte so schon im 12. oder 13. Jahrhundert gesagt werden können."
Nach wie vor sehen sich die Geistlichen als Vermittler zwischen Gott und den Menschen, wozu sie sich durch die Priesterweihe ermächtigt fühlen. "Die Angehörigen dieser Gruppe sind in erster Linie dem göttlichen Gesetz unterworfen und nur in begrenzter Weise den bürgerlichen Gesetzen", sagt Kaufhold. "Wenn man sich mal anschaut, wie viele Priester sich wegen des Kindesmissbrauchs vor Strafgerichten verantwortet haben, das sind nur sehr wenige, obwohl es sich in vielen Fällen um Verbrechen handelt."
Ein Selbstverständnis wie aus dem Mittelalter
Dieses Selbstverständnis sei im Mittelalter entwickelt worden. Die damaligen Gläubigen "brauchten die Priester, die näher bei Gott standen und den normalen Menschen deshalb in der Beichte garantieren konnte, dass ihnen ihre Sünden vergeben waren. Das war ein echtes Bedürfnis, und daraus hat sich das Priesterbild in hohem Maße entwickelt", so der Historiker.
Heute gehen selbst von den praktizierenden Katholiken nur die wenigsten zur Beichte. Das mittelalterliche Priesterbild habe in der Gesellschaft keine Verankerung mehr, analysiert Kaufhold, der selbst katholisch ist. Die Kirche müsse darauf reagieren. "Und zwar bald, wie mir scheint."
Tatsächlich läuft derzeit in der katholischen Kirche in Deutschland ein Reformprozess, der Synodale Weg. Dabei geht es um durchaus grundsätzliche Fragen: den Umgang mit Macht, die kirchliche Sexualmoral, die Stellung der Frauen und die priesterliche Ehelosigkeit. An der Sonderstellung der Kleriker jedoch können die deutschen Gläubigen – selbst wenn sie wollten – nichts ändern: das wäre eine Frage für die gesamte Weltkirche. Und darüber entscheidet nur der Vatikan.
Laien zur Bischofskonferenz: "Zeit des Hinhaltens vorbei"
Doch der Druck aus dem eigenen Lager steigt. "Die Zeit des Hinhaltens, des Vertuschens, der immer noch schleppenden Aufklärung sexualisierter Gewalt und der toxischen Machtstrukturen muss endgültig vorbei sein", heißt es in der Erklärung der katholischen Laienorganisationen. "Solange nicht eine ehrliche, offene und vollständige Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in allen deutschen Bistümern auf wissenschaftlich hohem Niveau und gleichem Standard erfolgt, werden die Reformbemühungen des synodalen Weges ins Leere laufen", heißt es in der Erklärung.
Diese wird auch vom Eckigen Tisch und von MojoRed unterstützt, zwei Initiativen für Betroffene sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche. In dem bereits 2010 bekannt gewordenen Missbrauchsskandal der katholischen Kirche gibt es wieder scharfe Debatten. Ausgelöst wurden diese durch den auch innerkirchlich kritisierten Aufarbeitungsprozess im Erzbistum Köln. Die Bischofskonferenz will sich auf ihrer ausschließlich digital stattfindenden Vollversammlung ab Dienstag damit befassen.
Der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, Thomas Sternberg, warnte als Folge der Debatte um den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki vor einem schweren Schaden für die Bemühungen der Kirche um die Aufarbeitung des Missbrauchskandals. Die Kommunikation des Kölner Erzbistums und seines Bischofs sei katastrophal und eine Belastung für die gesamte deutsche katholische Kirche, so Sternberg in der "Augsburger Allgemeinen". Das, war gerade in Köln passiere, strahle "aus auf die gesamte katholische Kirche in Deutschland". Von Forderungen von Opfervertretern nach einer unabhängigen Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission will aber auch er nichts wissen. "Ob es eine staatliche Kommission braucht, die großteils verjährte sexualisierte Gewalt in allen Bereichen der Gesellschaft aufzuarbeiten hätte, scheint mir fraglich."