Wenn Jugendliche irgendwo in Deutschland merken, dass sie im falschen Körper leben, klingelt oft bei einer Schulleiterin in einem kleinen Ort in Bayern, katholisch und konservativ, das Telefon. Dann nimmt Sandra Wißgott ab und hört Anrufern zu, die berichten, dass sie sich im Alltag nicht länger verstellen können.
Sandra Wißgott, 60, hat Trans-Ident gegründet, ein Verein aus Bayern, der bundesweit Menschen unterstützt, die sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen. Wißgott klärt über Strategien beim Outing auf, empfiehlt Psychologen, lädt zu Selbsthilfegruppen ein. Und manchmal erzählt sie, um Mut zu machen, auch von sich und der bayerischen Provinz.

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Nach einem Herzinfarkt entschied sie, nicht mehr den Mann zu spielen, der sie nie war
Wißgott war 46, als sie sich als transgeschlechtlich outete. Sie leitete damals eine Schule und die katholische Pfarrgemeinde in Wolframs-Eschenbach. Im 2800-Seelen-Ort hielt man sie für einen Vorzeigemann, streng gläubig, verheiratet mit einer Frau, drei Kinder. Wißgott hatte das Bild mit Mühe gepflegt, 35 Jahre lang. Dabei ahnte sie schon mit elf, dass sie lieber ein Mädchen wäre.
Beratungsstellen gab es damals kaum, Wißgott fühlte sich hilflos. Sie wollte verdrängen, ließ sich einen Vollbart wachsen, stemmte Gewichte, fuhr Motorrad. Doch das Gefühl blieb. Erst nach einem Herzinfarkt entschied sie, nicht mehr den Mann zu spielen, der sie nie war. Wißgott änderte ihren Namen und das Geschlecht, aber sonst änderte sich wenig. Die Ehe hält bis heute, eine Schule leitet sie noch immer, im Ort wird sie geschätzt. "Den großen Bruch gab es nicht", sagt Wißgott.
Mehr als ein Dutzend Gruppen gegründet
Zuerst hat Wißgott ihre Geschichte in Selbsthilfegruppen erzählt. Im ländlichen Raum sind solche Anlaufstellen selten. In Bayern hat Wißgott das geändert. Inzwischen hat Trans-Ident mehr als ein Dutzend Gruppen gegründet. Wißgott fährt auch durchs Land, hält Vorträge und erklärt, wie sich Vornamen ändern lassen und warum man Hormone nicht ohne ärztliche Aufsicht einnehmen sollte.
Nachdem sie ihren Dienst als Schulleiterin beendet hat, setzt sie sich täglich für mehrere Stunden in Wolframs-Eschenbach ans Telefon. Sie berät dann Lehrer, Psychologen oder Ärzte, die nicht genau wissen, wie sie mit Transpersonen umgehen sollen. Und sie spricht mit Betroffenen, hört zu, baut sie auf und erzählt ihre Geschichte. Niemand, findet Wißgott, soll sich heute noch so hilflos fühlen müssen wie sie in ihrer Jugend.