Generalabrechnung Haushaltsschlacht statt Harmonie in der 100. Landtagssitzung

SPD-Oppositionsführer Jochen Ott setzt in der Haushaltsdebatte des nordrhein-westfälischen Landtags zum Rundumschlag gegen Schwa
SPD-Oppositionsführer Jochen Ott setzt in der Haushaltsdebatte des nordrhein-westfälischen Landtags zum Rundumschlag gegen Schwarz-Grün an. Foto
© Henning Kaiser/dpa
Die Pralinen liegen schon bereit und eigentlich könnte es eine versöhnliche Plenarsitzung zum Jubeldatum des Hohen Hauses werden. Doch die Opposition hat mehr Appetit auf Gift statt auf Süßliches.

Die Opposition in Nordrhein-Westfalen hat die erste Beratung des Haushaltsentwurfs für 2026 für einen Generalangriff auf die Politik der schwarz-grünen Landesregierung genutzt. In scharfen Worten deklinierten SPD, FDP und AfD alle Bereiche der Landespolitik durch, die aus ihrer Sicht durch wachsende Missstände gekennzeichnet sind: Kriminalität, Arbeitslosigkeit, mangelnde Bildungsgerechtigkeit, unzuverlässige Kita-Betreuung, Wirtschaftsflaute und etliches mehr.

"Bei Bildung und Chancengleichheit liegt NRW in allen Rankings auf Abstiegs- und Verliererplätzen", bilanzierte SPD-Oppositionsführer Jochen Ott. "Sie haben überhaupt nichts vorzuweisen, Herr Ministerpräsident", hielt er Regierungschef Hendrik Wüst (CDU) vor. Dafür führte er – ebenso wie die Chefs der beiden anderen Oppositionsfraktionen – eine lange Liste an Beispielen ins Feld. 

Süßes oder Saures

Dabei hatte Landtagspräsident André Kuper die 100. Sitzung dieser Wahlperiode mit einer "süßen Aufmerksamkeit" eingeleitet und Mini-Pralinenschachteln in den Landesfarben auf den Tischen verteilen lassen. Im Streit um die Sache und im Wettbewerb der Worte seien Parlamentarier Vorbildern für das gesellschaftliche Miteinander, mahnte er. Vergebens. 

Statt süßlich wurde es, wenige Tage nach dem Kommunalwahl-Sonntag, richtig giftig im Plenum. "Das ist kein Haushalt, das ist ein Drahtseilakt mit Augenbinde", wetterte FDP-Landes- und Fraktionschef Henning Höne über den Etatentwurf, der mit 112,2 Milliarden Euro Rekordausgaben vorsieht. Den Regierungsstil des Ministerpräsidenten und seiner Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) kennzeichnete er, ähnlich wie die SPD, mit: "schöne Fotos und warme Worte".

"Deutschland ist wieder der kranke Mann Europas – NRW ist sein stotterndes Herz", diagnostizierte der AfD-Landes- und Fraktionschef Martin Vincentz. "Doch der Defibrillator ist ausgefallen, weil der Flatter-Strom aus Ihren Erneuerbaren gerade keine Lust hat", spottete der Allgemeinmediziner über "Minimalwachstümchen" und Öko-Kurs der schwarz-grünen Koalition. 

Etat 2026: zu viel auf Pump oder enkeltauglich? 

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Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) ließ sich von den harschen Anwürfen nicht aus der Ruhe bringen, sondern verteidigte seinen Haushaltsentwurf als nachhaltig und "enkeltauglich". Neue Schulden würden "nur im zwingend notwendigen Umfang" aufgenommen.

Dennoch erregte der dafür vorgesehene Rahmen im Umfang von rund 4,5 Milliarden Euro den Unmut aller Oppositionsfraktionen. Abgesehen von der Corona-Krise sei dies die höchste Neuverschuldung seit 2011 – obwohl Optendrenk im Vorjahr noch "schulmeisterlich" erklärt habe, man müsse mit dem Geld auskommen, das man habe, kritisierte Ott.

Deutlich schärfer als der angegriffene Minister schoss Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer zurück: "Wollt Ihr nicht differenzieren als Sozialdemokraten oder könnt Ihr nicht?", fragte sie Ott. Um die Konjunktur anzukurbeln, gute Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen, finanzielle Handlungsspielräume zu weiten und Zukunftsinvestitionen abzusichern, werde auch der gesetzliche Schuldenrahmen genutzt.

Was Söder und die Bratwurst mit der Schuldenbremse verbindet

"Wir haben als Koalition eine gesunde, eine geschäftsmäßige Beziehung zum Thema Kreditaufnahmen", meinte die Grüne. Das unterscheide sie von den Freidemokraten: "Die Liebe der FDP zur Schuldenbremse lässt sich vermutlich nur noch durch die Liebe von Markus Söder zur Bratwurst toppen", spottete die Grüne. Die Gemeinsamkeit sei: "Wenn man übertreibt, ist es ungesund."

Eckpunkte des Haushaltsplans 

Der Finanzminister hob zwei Säulen des Etatentwurfs hervor:

Insgesamt rund 43,4 Milliarden Euro sollen im kommenden Jahr für Kinder, Schulen, Hochschulen und Kitas verwendet werden. Das sei im Vergleich zum laufenden Jahr eine Steigerung um fast 16 Prozent oder 1,7 Milliarden Euro. Insgesamt 40,5 Milliarden Euro und damit mehr als ein Drittel aller Ausgaben des Landes fließen an Städte, Gemeinden, Kreise und Landschaftsverbände. 

Wann die Milliarden aus dem Infrastruktur-Topf fließen

Das Infrastruktursondervermögen des Bundes ist im Haushaltsplan noch nicht enthalten. Auf NRW entfielen daraus in den nächsten zwölf Jahren insgesamt über 21 Milliarden Euro.

"Wir werden gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden einen fairen Verteilungsschlüssel erarbeiten", versicherte Optendrenk. Das Gesetzgebungsvorhaben des Bundes dauere noch bis Mitte Oktober an. Erst danach könne die gesetzliche Umsetzung in NRW erfolgen.

Nach der November-Steuerschätzung würden die konkreten Zahlen dann in eine Ergänzungsvorlage zum Haushalt 2026 eingearbeitet. "Bereits jetzt sind wir in enger Abstimmung mit den Kommunen, wie das Geld am besten eingesetzt werden kann", sagte der Minister. "So können wir dann direkt loslegen." 

Finanzminister: Sparen zuerst bei uns selbst

Im Haushalt seien auch Kostenreduktion im Umfang von rund 3,4 Milliarden Euro im Vergleich zu früheren Planungen vorgesehen. "Wir fangen dabei bei uns selbst an", versicherte der Finanzminister. Im Bereich der Ministerialverwaltungen sollen zehn Prozent der Stellen – insgesamt rund 550 – innerhalb von fünf Jahren abgebaut werden. 

Mitten im dritten Rezessionsjahr setze die Landesregierung Historisches um – auch mit der aus dem Landeshaushalt angestoßenen Altschuldenregelung für besonders betroffene Kommunen, hob CDU-Landtagsfraktionschef Thorsten Schick hervor. Dafür werde im kommenden Jahr wieder eine viertel Milliarde zur Verfügung gestellt. Wenn die Stichwahlen am übernächsten Sonntag vorbei seien, kehre die Opposition hoffentlich wieder zur Sachlichkeit zurück, betonte er.

Leben in NRW: "Man muss es sich leisten können"

Ott ließ sich hingegen nicht bremsen, sondern rechnete im Landtag schonungslos mit der Koalition ab: "Schwarz-Grün wird keines der drängenden Probleme in NRW mehr lösen", prognostizierte er für den Rest der im Frühjahr 2027 endenden Wahlperiode. Allein schon angesichts galoppierender Mietpreise und bundesweit höchster Grundsteuern in NRW wäre die passende Überschrift für Wüsts Regierungsbilanz: "Man muss es sich leisten können!"

dpa