Asylbewerber Dutzenden Flüchtlingen werden Leistungen gestrichen - Kritik

Über 140 Flüchtlingen in Thüringen wurden bereits die Leistungen gestrichen. (Symbolbild) Foto: Boris Roessler/dpa
Über 140 Flüchtlingen in Thüringen wurden bereits die Leistungen gestrichen. (Symbolbild) Foto
© Boris Roessler/dpa
Seit einem Jahr können Asylbewerberleistungen komplett gestrichen werden. In Thüringen gibt es etliche Betroffene - und heftige Kritik an dem Vorgehen.

Kein Geld, keine Gesundheitskarte, keine Unterkunft? Dutzenden Flüchtlingen in Thüringen sind in den vergangenen Monaten die Leistungen gestrichen worden. Ende September habe das insgesamt 144 Menschen betroffen, 29 davon minderjährig, wie das Migrationsministerium mitteilte. Mindestens 26 der Betroffenen seien in den ersten neun Monaten des Jahres ausgereist, sieben von ihnen seien abgeschoben worden. 

Seit rund einem Jahr gibt es die Möglichkeit, bestimmten Flüchtlingen Asylbewerberleistungen komplett zu streichen. So sollen Anreize für den Aufenthalt in Deutschland beseitigt werden, wie die Landesregierung argumentiert. Flüchtlingsverbände üben daran Kritik und werfen Thüringen besondere Strenge vor. Und auch die Vereinten Nationen sollen sich nach Darstellung der Verbände bereits eingeschaltet haben. Darum geht es: 

Welche Geflüchteten sind davon betroffen? 

Konkret geht es beim Leistungsentzug um sogenannte Dublin-Fälle. Also Flüchtlinge, die zuerst in einem anderen EU-Staat registriert wurden. Deren Asylantrag wird in der Regel als unzulässig abgelehnt, weil der andere Staat zuständig ist. Wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihre Abschiebung angeordnet und geprüft hat, dass die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich ist, besteht kein Anspruch mehr auf Asylbewerberleistungen, wie das Migrationsministerium erklärt. 

Werden alle Leistungen gestrichen? 

Nicht direkt: Es gibt eine zweiwöchige Übergangsfrist. Außerdem gibt es Möglichkeiten für Härtefall-Lösungen. Ob die Menschen auf der Straße landen, darüber gehen die Darstellungen auseinander. Der Thüringer Flüchtlingsrat etwa berichtet, dass etliche Menschen aus ihren Unterkünften geworfen worden sein sollen und sich von da an bei Freunden oder Bekannten durchschlugen. Landkreise wie etwa der Ilm-Kreis weisen diese Darstellung zurück: Es sei niemand auf die Straße gesetzt worden. 

Wieso steht Thüringen im Fokus? 

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Ein Fall im Ilm-Kreis sorgte jüngst auch bundesweit für Aufsehen. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl berichtete, dass der Sozialausschuss der Vereinten Nationen (UN) Deutschland wegen des Umgangs mit einem Flüchtling dort gerügt habe. Eine UN-Sprecherin in Genf äußerte sich nicht direkt zu dem Fall. Generell seien solche Verfahren vertraulich, bis eine finale Entscheidung steht, sagte sie auf dpa-Anfrage. 

Konkret geht es um einen jungen Mann, der zuerst in Malta registriert worden war. Laut Flüchtlingsrat und Pro Asyl wurden ihm Unterkunft, Sozialleistungen und Gesundheitskarte entzogen. Nach Darstellung des Ilm-Kreises lehnte der Mann aber eine ihm angebotene Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft ab. 

Welche Positionen gibt es zu dem Thema? 

Nach Ansicht von Pro Asyl und Thüringer Flüchtlingsrat sind die Behörden und Gerichte im Freistaat besonders restriktiv in der Umsetzung des Leistungsentzugs. "Leistungsstreichungen für Geflüchtete werden in etlichen Orten in Thüringen rücksichtslos durchgesetzt, selbst Kinder sind davon betroffen", heißt es vom Flüchtlingsrat. Er fordert von der Landesregierung eine Aufforderung an die Landkreise, die Praxis zu unterlassen. 

Von Seiten der Landesregierung heißt es jedoch, dass es sich um ein Bundesgesetz handelt. Die Thüringer Behörden seien daran gebunden. Generell steht die Landesregierung hinter dem Verfahren, wie ein Sprecher des Migrationsministeriums sagte. Es werde ein wesentlicher Anreiz beseitigt, sich trotz einer Verpflichtung zur Ausreise wegen erwarteter Sozialleistungen weiterhin in Deutschland aufzuhalten. 

Der Flüchtlingsrat hält dagegen: Bei Dublin-Fällen sei das Problem oft, dass die Staaten, in die die Menschen zurückkehren sollen, einer Rückführung nicht zustimmen. Selbst wenn die Menschen also wollten, könnten sie nicht geordnet zurück. Dann würden ihnen die Leistungen entzogen und sie hätten auch kein Geld, um sich ein Flugticket zu leisten. 

Zumindest bei dem Mann im Ilm-Kreis war es aber nach Darstellung des Landkreises anders: Seine Überführung nach Malta sei schon organisiert gewesen. Der Mann sei an dem Tag aber nicht auffindbar gewesen.

dpa