Man kann sich nur auf wenige Dinge im Leben verlassen. Als Frau kann man aber immerhin darauf bauen, dass einigermaßen regelmäßig, etwa alle vier Wochen, die Periode eintrudelt. Ist das nicht der Fall und man befragt besorgt eine Suchmaschine nach möglichen Gründen, dann bieten sich meist direkt zwei Antworten an: schwanger – oder PCOS. Beide lösen in dieser Situation gleichermaßen Panik aus.
Was ist das PCO-Syndrom überhaupt?
Was ist diese Krankheit, von der viele Frauen und vermutlich 99 Prozent aller Männer noch nie etwas gehört haben? "Das Syndrom polyzystischer Ovarien (PCO) ist eine hormonelle Störung", erklärt die Gynäkologin Maggie Banys-Paluchowski vom Marienkrankenhaus in Hamburg.
Um es zu diagnostizieren, "müssen zwei der drei Kriterien erfüllt sein: seltene Blutungen oder sogar ausbleibende Regelblutung. Hyperandrogenämie, das heißt: ein Überschuss männlicher Hormone, der zu vermehrter Körperbehaarung und Akne führt. Und mehrere kleine Zysten an den Eierstöcken – von diesem Symptom leitet sich der Name des Syndroms ab."
Was bedeutet das? "Der Reifemechanismus der Eizellen ist bei den Frauen mit PCO-Syndrom durch einen Überschuss an männlichen Hormonen gestört. Der fehlende oder sehr seltene Eisprung führt zur verminderten Fruchtbarkeit", erklärt Banys-Paluchowski.
PCOS trifft etwa jede zehnte Frau im gebärfähigen Alter. Viele hören zum ersten Mal von der Krankheit, wenn sie bei ihnen selbst festgestellt wird. Oft wird sie erst erkannt, wenn nach dem Absetzen der Pille die Periode ausbleibt. Aber, Achtung: "Bei den meisten Frauen reguliert sich der Zyklus innerhalb des ersten halben Jahres – es kann aber auch bis zu einem Jahr dauern", sagt die Gynäkologin. Erst dann sollte man sich wirklich Sorgen machen.
"Auch Hautprobleme und ungewöhnliches Haarwachstum – z.B. im Gesicht und an den Oberschenkeln – können die ersten Anzeichen sein", so Banys-Paluchowski. Dunkler Flaum an der Oberlippe, an den Randbereichen des Gesichts, oder ein breiter Streifen, der sich vom Intimbereich bis zum Bauchnabel zieht. Auch dünnes, fettiges Haar auf dem Kopf kann ein Hinweis sein, ebenso eine Neigung zu Akne. Wer diese Symptome an sich erkennt, sollte seinen Gynäkologen darauf ansprechen.
"Da das PCO-Syndrom auch mit verminderter Fruchtbarkeit verbunden ist, wird die Diagnose manchmal gestellt, wenn das Paar mit unerfülltem Kinderwunsch in die Praxis kommt", berichtet Maggie Banys-Paluchowski.
Eine Krankheit also, die tief in die elementaren Bereiche des Frauseins eingreift. Männliche Behaarung, ausbleibende Periode, Schwierigkeiten beim Schwangerwerden. Ein harter Schlag für betroffene Patientinnen. Ist die eigene Weiblichkeit kaputt? Ist man ein "Montagsexemplar"?
Was bedeutet die Diagnose für betroffene Frauen?
Auch für Nadine Müller kam die Diagnose als Schock. Die 27-Jährige, die in Darmstadt Pädagogik studiert, bloggt auf "I Am Sick Of PCOS" über ihr Leben mit PCOS.
"Ich war damals zirka 18 Jahre alt, als ich zu einem Gynäkologen ging. Ich hatte zwar einen regelmäßigen Zyklus, aber Schmerzen während der Periode. Er verschrieb mir die Pille und das war's. Mehr hat er nicht gesagt", erzählt sie. "Ich habe die Pille, da ich sie damals schon kritisch gesehen habe, mit ca. 20 oder 21 wieder abgesetzt."
Daraufhin meldete sich ihr Körper: "Mein Zyklus hat damals dann völlig verrückt gespielt. Als ich einen Monat komplett durchgeblutet habe, bin ich wieder zur Gynäkologin gegangen, diesmal zu einer anderen. Diese hat bei mir die klassischen vergrößerten Eierstöcke gesehen und in meinem Blut vermehrte männliche Hormone festgestellt." Diagnose: PCOS.

Nadine war erst einmal erschüttert. "In meinem Kopf schwirrten nur die Wörter 'unfruchtbar', 'zu viele männliche Hormone' herum. Ich wusste auch nicht mehr, wie ich mich als Frau definieren kann. Denn unbewusst definiert man sich irgendwie schon darüber, dass man später Mutter wird. Zumindest habe ich das getan. Und das wurde mir einfach so genommen. Ich fühlte mich nicht mehr als Frau und nicht mehr begehrens- und liebenswert."
Diese Reaktion auf die Diagnose kennt auch die Gynäkologin. "Das PCO-Syndrom betrifft nicht nur den Körper", weiß sie. "Das durch das hormonelle Ungleichgewicht verursachte männliche Erscheinungsbild und der unerfüllte Kinderwunsch können seelisch sehr belastend sein", sagt Maggie Banys-Paluchowski.
Im Praxisalltag ist es schwierig, den Bedürfnissen der betroffenen Frauen gerecht zu werden: "Meine Aufgabe als Frauenärztin ist in erster Linie die Linderung der Symptome", so Banys-Paluchowski.
"Ich lege auch viel Wert darauf, der Patientin die Zusammenhänge zwischen den Hormonen und ihren Beschwerden zu erklären, damit wir gemeinsam nicht nur eine Therapie mit Medikamenten, sondern vor allem die Umstellung der Ernährung und des Lebensstils angehen können. Begleitend kann eine psychologische oder naturheilkundliche Beratung hilfreich sein."
Was kann man selbst gegen die Symptome tun?
Das PCO-Syndrom ist nach wie vor eine recht rätselhafte Krankheit. Die Ursachen sind bis heute nicht erforscht. "Vermutet wird ein Zusammenspiel von Umwelteinflüssen und genetischen Faktoren. Des Weiteren scheinen übergewichtige Frauen deutlich häufiger betroffen zu sein", sagt Banys-Paluchowski.
Deshalb ist in diesem Fall der erste Ratschlag: abnehmen. Bloggerin Nadine Mülle rberichtet: "Ich kenne einige Frauen über Selbsthilfegruppen in Facebook. Diese ernähren sich streng Low-Carb. Ich würde ihnen aber ebenfalls empfehlen, auf Fleisch- und Milchprodukte zu verzichten. Oder zumindest, nur hochwertige Produkte beim Bauern zu kaufen."

Da auch Insulin, das im Zuckerhaushalt eine große Rolle spielt, ein Hormon ist, ist die kohlenhydratarme Ernährung in diesem Fall mehr als ein Abnehm-Hype. Sagt auch die Ärztin: Maggie Banys-Paluchowski rät zu einer "gemäßigten kohlenhydratarmen Diät. Falls eine Insulinresistenz diagnostiziert wird, können begleitend orale Diabetes-Medikamente wie Metformin angezeigt sein".
Nadine musste nicht abnehmen, krempelte ihr Leben aber dennoch komplett um. Den Ausschlag gab eine Reise durch Chile, wo ihr eine Kräuterfrau Tees, Tinkturen und Bäder mit Wirkstoffen wie Mönchspfeffer, Schafgarbe oder Frauenmantel empfahl. Ferner strich sie Milchprodukte und Fleisch von ihrem Speiseplan. "Außerdem sollte man anfangen, Sport zu machen. Der Kreislauf kommt in Gang und man wird auch emotional glücklicher", rät die 27-Jährige.
Die Pille als Medikament gegen PCOS – ja oder nein?
Der erste Behandlungsvorschlag von Ärzten ist meist das Verschreiben der Anti-Baby-Pille. "Durch die Einnahme der speziell ausgewählten Antibabypille, die sich besonders gegen die männlichen Hormone richtet, bessern sich die Haut und die Haare", sagt Maggie Banys-Paluchowski. "Die Anti-Baby-Pille erfüllt dabei zwei wichtige Aufgaben: Sie lindert die unangenehmen Auswirkungen der männlichen Hormone."
Viele Frauen wollen aber nur ungern Hormone schlucken. Die Ärztin macht Hoffnung: "Hat sich der Zyklus nach der Gewichtsreduktion und Ernährungsumstellung normalisiert, kann manchmal komplett auf die Medikamente verzichtet werden."
Nadine wollte nicht mehr die Pille nehmen und verhütet per NFP (Natürliche Familienplanung mit Thermometer und Schleimbeobachtung). Sie ärgert sich, "dass man nur dann adäquat behandelt wird, wenn man sagt, dass ein Kinderwunsch besteht". Durch die Ernährungsumstellung und die naturheilkundlichen Präparate wie Mönchspfeffer hat sich Nadines Zyklus nach drei Monaten wieder so gut wie normalisiert. Ihre Eierstöcke waren bei der nächsten Kontrolluntersuchung unauffällig.
Das PCO-Syndrom kann zwar nicht geheilt werden, man kann die Symptome aber mit dem richtigen Lebensstil nahezu ausschalten. Das erfordert jedoch Disziplin: "Zum Beispiel habe ich im letzten Zyklus ganz gern mal zur Schokolade gegriffen, dafür aber wieder Menstruationsschmerzen gehabt", so die Bloggerin. Manchmal, sagt sie, brauche sie aber einfach eine Pause vom ständigen Denken an die Krankheit. Dann nimmt sie solche "Ausrutscher" in Kauf.
Wichtig ist, dass Frauen sich frühzeitig behandeln lassen, sonst kann aus einer leichten Neigung zu PCOS die voll ausgeprägte Krankheit mit all ihren Symptomen werden. Wer jedoch mit einer Änderung des Lebensstils und den richtigen Medikamenten konsquent gegen das Hormonchaos vorgeht, wird nach einer Weile kaum noch Probleme haben. Und kann dann auch, meist relativ problemlos, schwanger werden. Wichtig ist laut Maggie Banys-Paluchowski aber: "Hat das Schwangerwerden geklappt, erhöht das PCO-Syndrom das Risiko einer Schwangerschaftsdiabetes, so dass eine engmaschige Vorsorge notwendig ist."
Was raten die Expertinnen Frauen, die von der Diagnose überrumpelt werden?
"Auf jeden Fall Ruhe bewahren", empfiehlt Bloggerin Nadine Müller anderen Frauen, die gerade frisch die Diagnose erhalten haben. Und dann Informationen über die Krankheit suchen – die bekam sie nämlich von ihrer Ärztin nicht ausreichend. "Ich habe mich, ehrlich gesagt, ganz schön allein gefühlt. Beim zweiten Besuch erklärte sie mir zwar grob, was PCOS ist, aber für mich war das immer noch zu wenig. Da sie stets unter Zeitdruck ist, traute ich mich nicht, mal genauer nachzufragen."
Nadine recherchierte im Internet. "Ich habe gegooglet und gegooglet. Ich bin immer weiter in die Materie eingestiegen und hatte stets das Gefühl, dass ich trotzdem noch gar nichts weiß. Ich habe mich das erste Mal mit dem weiblichen Zyklus auseinandergesetzt und wie er funktionieren sollte. Ich wollte verstehen, was bei mir schiefging."
Nadines Fazit und ihr Rat an andere Betroffene: "Es klingt zwar plump, aber das Wichtigste ist, sich selbst zu akzeptieren und zu lieben. Sich selbst Gutes zu tun. Ich mache zum Beispiel Yoga. Kampfgeist entwickeln und sich nicht unterkriegen lassen. Selbstbewusst im Leben stehen und offen über die Krankheit reden. Ich war auf Facebook in Selbsthilfegruppen aktiv und habe Tipps gegeben."
Sie findet, Weiblichkeit definiert sich nicht über Hormone, sondern über ein schönes, glückliches Lachen. "Es war aber ein Prozess, bis ich das so sehen konnte. Ich war in Therapie, wo das Thema auch behandelt wurde. Das, mein Freund und mein überarbeitetes Selbstbewusstsein haben mir geholfen."
Einen wichtigen Ratschlag hat auch Maggie Banys-Paluchowski: "Da die Behandlung oft einen längeren Zeitraum umfasst, ist es wichtig, dass Sie sich bei Ihrem Frauenarzt oder Ihrer Frauenärztin gut aufgehoben und beraten fühlen."
