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Weihnachtsbesuch bei der Familie Psychologin erklärt: Warum uns ausgerechnet unsere Eltern so sehr nerven

Sohn sitzt in der Küche und ist von seinen Eltern genervt
Besuchen erwachsene Kinder ihre Eltern, gibt es immer wieder Zoff, über die gleichen Dinge.
© Highwaystarz-Photography/Getty Images
Eltern bleiben Eltern – und Kinder immer Kinder. Genau darin liegt in der Eltern-Kind-Beziehung das Konfliktpotenzial, wenn bereits erwachsene Kinder ihre Eltern zu Weihnachten besuchen.

Julia ist genervt von den Scherzen ihres Vaters. Felix stört, dass seine Mutter ohne Punkt und Komma redet und ihn nie zu Wort kommen lässt. Und auch ich möchte am liebsten aus der Haut fahren, wenn mein Vater mir auf Proberunden die Besonderheiten des Familienautos erklären will, bevor ich ans Steuer darf.  Zum Weihnachtsfest werden wieder viele Eltern von ihren bereits erwachsenen Kindern besucht. Oft fährt – zumindest bei mir – schon auf der Hinfahrt nach Hause die Anspannung mit, wohl wissend welche Diskussionen, Nervereien oder Konflikte im Elternhaus warten. Doch warum gehen uns ausgerechnet unsere Eltern so sehr auf die Nerven?

Constanze Bossemeyer
Constanze Bossemeyer ist Kommunikationspsychologin aus Hamburg.
© Saskia Giebel

Wer schon mit einem Grummeln in der Magengrube zu seinen Eltern fährt, sei für den Besuch nicht gut aufgestellt, sagt die Hamburger Kommunikationspsychologin Constanze Bossemeyer. "Erwachsene Kinder reagieren schnell angespannt, wenn sie schon in Habachtstellung darauf warten, dass ihre Eltern sie wieder wie Kinder behandeln." Wenn im Hinterkopf schon der Gedanke sitzt: "Der Besuch wird bestimmt wieder ganz schlimm, weil meine Mutter sich sicher wieder über meinen neuen Freund auslässt", dann sei es nicht verwunderlich, dass es im Kontakt schnell ungemütlich werde.

Zurück in die Pubertät

Eine Erklärung für diese Reaktion findet sich in der Kommunikationspsychologie: Es wird davon ausgegangen, dass wir alle verschiedene Teile in uns tragen, auch innere Teammitglieder genannt. "Ein Teammitglied hat sich zum Beispiel in der Pubertät entwickelt, um für die eigene Autonomie zu kämpfen und sich von den überbehütenden Eltern abzugrenzen. Kommt nun der befürchtete Kommentar der Mutter, kann es sein, dass genau dieses innere Teammitglied wieder anspringt und sich auf der inneren Bühne breitmacht." Und so reagiert dieser Mensch als Erwachsene oder Erwachsener in der gleichen Art, wie er oder sie vor zehn oder 20 Jahre darauf reagiert hätte.

Der Grund: "Wir überlassen diesem inneren Teil das Zepter und realisieren in dem Moment nicht, dass wir schon erwachsen sind. Als Chef:in unseres inneren Teams, in der Kommunikationspsychologie Oberhaupt genannt, könnten wir eine übergeordnete Rolle einnehmen. Aus dieser übergeordneten Position könnten wir gut entscheiden, welches Teammitglied wir von uns am besten auf die Bühne schicken."

Das innere Kleinkind reagiert pampig

Doch sich nicht den letzten Nerv rauben zu lassen, ist bei dem ein oder anderen Kommentar gar nicht so einfach: Sei es die Aufregung, um die zu dünne Jacke, das Aufdrängen des dritten Stücks Kuchen oder das ungefragte Putzen der Schuhe. Wahrscheinlich kann jede oder jeder sich an eine solche Situation mit den eigenen Eltern erinnern.

Ich zum Beispiel kann mir sicher sein, dass mein Vater mir bei jedem Gang in die Küche entweder erklärt, wie ich die Mikrowelle bedienen sollte oder kritisiert, dass ich das Gemüse nicht richtig klein schneide. Nur ein Ton von meinem Vater bringt mich sofort auf die Palme und ich reagiere pampig. Das sei kein Wunder, erklärt Constanze Bossemeyer: "Werde ich wie eine Fünfjährige behandelt, übernimmt das innere Kleinkind das Ruder, das trotzig oder pampig reagiert." Darum erkennen wir uns manchmal auf Familienfeiern selbst nicht mehr wieder, fügt Bossemeyer hinzu.

Eltern-Kind-Beziehung: Rückfall in alte Rollenmuster

Dieses Zurückkommen in die Familie sei nicht ohne. Beim Besuch der Eltern kommen häufig immer wieder die gleichen Diskussionen und Konflikte auf. Eltern und Kinder rutschen in alte Rollen hinein, doch erwachsene Kinder wollen auf keinen Fall mehr in ihre alte Rolle aus Kindheit und Pubertät schlüpfen. "Bei Eltern springen alte Teile an, die sie nicht realisieren lassen, dass ihre Kinder längst erwachsen sind." Das sei häufig noch nicht einmal böse gemeint, sondern resultiere oft aus einem gut gemeinten liebevollen Impuls, so die Psychologin.

Doch auch ein gut gemeinter Ratschlag der Eltern kann einen Streit auslösen. Würde er aber von Freund:innen kommen, wäre es gar kein Problem: "Wenn uns ein Freund oder eine Freundin genau das Gleiche sagt wie unsere Eltern, können wir es gelassen nehmen, weil wir uns auf Augenhöhe begegnen." Bei den eigenen Eltern hingegen entwickelt sich ein Konflikt, der sich scheinbar um den Inhalt des Gesagten dreht. "Wir reagieren aber auf die Botschaft auf der Beziehungsebene: 'Ich weiß, was für dich gut ist!'. Wir möchten uns aber nicht mehr als Kind behandeln lassen", erklärt die Psychologin. Wer will sich auch schon als 32-jährige Tochter anhören, dass die Turnschuhe bei Regenwetter nicht angebracht sind? Oder als 50-jähriger Sohn noch Bescheid sagen, wie spät man vom Treffen mit den alten Schulfreunden zurückkommt?

Dass Eltern und Kinder schnell in ihre lang eingeübten Rollen zurückfallen, sei wie ein Reflex, sagt Constanze Bossemeyer. Ein übergriffiges Verhalten der Eltern lässt die erwachsenen Kinder immer wieder um ihre Autonomie kämpfen. Doch wer sich nicht sofort durch einen Kommentar zu den Klamotten, der zehnten Erklärung der Mikrowellen-Funktionen oder durch die unlustigen Witze der Eltern aus der Fassung bringen lassen möchte, kann dem Teammitglied, das gerade sauer, wütend, zornig oder pampig reagieren würde, das Zepter aus der Hand nehmen.

Gelassenheit kann Konflikte reduzieren

"Statt sofort einem inneren Kind die innere Bühne zu überlassen, kann es helfen, sich einen Moment zu besinnen und zu überlegen, welcher Teil von uns reagieren soll – ein zorniger, ein gelassener oder ein humorvoller." Es könne helfen, zunächst die Körperhaltung zu verändern und einmal auszuatmen. Eine mögliche Antwort: "Mama, lass gut sein. Ich bin schon 32 Jahre alt, ich weiß schon, was gut für mich ist." Wer so souverän agiere, helfe den eigenen Eltern zu realisieren, dass ihr Gegenüber schon längst erwachsen ist.Die Psychologin erklärt: "Wer nicht in alte Muster zurückfällt, kann die Beziehungsebene mit den Eltern neu gestalten."

Ein anderer Weg könne natürlich auch sein, in den Konflikt zu gehen, wenn erwachsene Kinder sich ein gewisses Verhalten ihrer Eltern nicht mehr bieten lassen wollen, sagt Constanze Bossemeyer. "Wichtig ist nur, dass wir nicht unseren kindlichen Teammitgliedern die Bühne überlassen. Wenn wir aus der Position des Oberhauptes agieren, können wir bewusst entscheiden, wie wir reagieren wollen." Und so souverän, selbstbewusst, erwachsen und vielleicht sogar liebevoll in den Kontakt mit den Eltern gehen, sagt die Psychologin.

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