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Faktencheck Tatort "Totenstille" Wie funktioniert Lippenlesen?

Ein Gehörloser entschlüsselt eine geheime Botschaft, indem er Lippen liest. Im "Tatort" ging es diesmal viel um Taubheit, Lippenlesen und Gebärdensprache. Wie die Sprache funktioniert und wie schnell man sie lernt.
Von Lea Wolz

Der "Tatort" spielte diesmal in der Welt der Hörenden und der Gehörlosen: In "Totenstille" bekommt der Gehörlose Ben Lehner (Benjamin Piwko) auf einer Totenfeier zufällig ein Telefonat mit, in dem Georg Weilhammer (Martin Geuer) einen Freund damit beauftragt, eine Leiche zu beseitigen. Lehner, geübt in Lippenlesen, versteht den Inhalt des Telefonats. Nach einem weiteren Mord an einer schwerhörigen jungen Frau rückt Lehner selbst ins Zentrum der Ermittlungen - und der Zuschauer lernt viel über Lippenlesen, Cochlea-Implantate und das nicht immer ganz reibungslose Verhältnis zwischen Behinderten und Nichtbehinderten.

Doch über die Fragen hinaus, die der "Tatort" beantwortet, wirft er auch neue auf.

Ist Lippenlesen wirklich so einfach, wie in der Filmszene dargestellt?

Ganz so einfach geht es nicht, schreibt die Bloggerin Julia Probst, die selbst gehörlos ist und am "Tatort" mitgearbeitet hat. Die Fähigkeit von Ben sei überdurchschnittlich und keineswegs die Norm. Nicht alle Gehörlosen könnten so gut Lippenlesen.

Wer von den Lippen abliest, macht sich die Tatsache zunutze, dass bei verschiedenen Lauten Lippen und Mundregion unterschiedlich geformt sind und die Zunge eine bestimmte Position einnimmt, wie auch Probst in einem anderen Blogeintrag erklärt. Beim Wort "Sonne" etwa ist die Zunge zu Beginn für das "s" hinter den oberen Schneidezähnen, das "o" erfordert runde Lippen, das "n" einen eher breiten Mund und eine Zunge, die wiederum mit der Spitze den oberen Gaumen hinter den Zähnen berührt. Beim "e" sind die Lippen ebenfalls zurückgezogen.

Spricht das Gegenüber deutlich und nicht zu schnell, lassen sich so manche Wörter ganz gut erkennen. Bei lautsprachlich ähnlichen wie "Mutter" und "Butter" werde es aber schon schwierig, schreibt Probst. Um gut im Lippenlesen zu sein, komme es auf diverse Faktoren an - etwa die Lichtverhältnisse, wie gut man sein Gegenüber und dessen Lippenbild kennt und nicht zuletzt, wie gut der eigene Wortschatz und das Allgemeinwissen sind.

Wer sich in Lippenlesen testen will, für den hat Probst einen Tipp: In diesem Spiel kann sich jeder darin versuchen, die gesprochenen Sätze zu entschlüsseln.

Ist die Gebärdensprache eine eigene Sprache?

Ja, Gebärdensprachen sind eigene, vollwertige Sprachen, die sich entwickelt haben. Wie jede natürliche Sprache besitzen sie eine eigene Grammatik und einen reichen Wortschatz. Jedes Land hat seine eigene Gebärdensprache, auch regionale Dialekte sind vorhanden. Als eigenständige Sprache wurde die Gebärdensprache in Deutschland allerdings erst spät anerkannt: mit Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetztes im Jahre 2002. Gehörlose haben seitdem ein Recht auf einen Dolmetscher, etwa bei Behördengängen.

Wie viele Menschen sprechen sie?

In der Regel benutzen Gehörlose und stark schwerhörige Menschen in der Kommunikation untereinander Gebärdensprache, schreibt der Deutsche Gehörlosen-Bund. Dem Bund zufolge leben in Deutschland circa 80.000 Gehörlose, denen die Gebärdensprache als Kommunikationsmittel dient. Zählt man Schwerhörige, Dolmetscher und andere Sprecher, etwa hörende Kinder tauber Eltern, hinzu, verwenden geschätzt 200.000 Menschen die Gebärdensprache. Eine offizielle Statistik gibt es allerdings nicht, darauf weist der Deutsche Gehörlosen-Bund hin. Ihm zufolge nimmt das Interesse an den Kursen seit der Anerkennung der Gebärdensprache als eigenständige Sprache zu. 

Wo lässt sich Gebärdensprache lernen?

Verschiedene Universitäten bilden in Gebärdensprache aus. Auch an Volkshochschulen können Kurse belegt werden. Eine Übersicht über verschiedene Anbieter in den Bundesländern findet sich auf den Seiten des Deutschen Gehörlosen-Bundes. Wer sich für Kurse interessiert, kann sich auch bei den Landesverbänden der Gehörlosen über Angebote informieren. Die Bloggerin Julia Probst hat zudem eine Übersicht über verschiedene Anbieter zusammengestellt.

Wie lange braucht es im Durchschnitt, bis man sich mit Gebärden unterhalten kann?

Kriminalhauptkommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow) eignet sich im "Tatort" schnell ein paar Gebärden an. Auch einen Wunsch für die Zuschauer kann der Schauspieler schon gebärden.

Doch bis sich jemand in Gebärden wirklich unterhalten kann, braucht es mehr Übung. Wie beim Erlernen einer Fremdsprache sind dafür Monate bis Jahre notwendig, je nachdem wie intensiv trainiert wird.

Der Lernaufwand sei allerdings nicht höher als bei jeder anderen Sprache, schreibt Probst, aber anders: "Man lernt mehr auf die Mimik und auf die Körpersprache zu achten." Einen Einblick, was es alles zu lernen und zu beachten gibt, bietet etwa dieser Schnupperkurs, der online abrufbar ist.

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