Die Meldung klingt nach einem medizinischen Durchbruch: "Forscher haben ein neues Organ im menschlichen Körper identifiziert", das jahrzehntelang "einfach ignoriert" worden sei. "Sehr lange Zeit" habe niemand von seiner Existenz gewusst, heißt es weiter, der Fund eröffne eine neue Ära in der medizinischen Forschung. Schlagzeilen wie diese werfen Fragen auf: Wie kann es sein, dass ein Organ im menschlichen Körper einfach so übersehen werden konnte - trotz jahrhundertelanger Forschung? Sind Mediziner tatsächlich so blind?
Die Antwort: Es wurde überhaupt nicht übersehen. Denn das sogenannte Mesenterium ist ein alter Bekannter. Es befindet sich im Bauchraum und verbindet den Darm mit der Bauchwand des Körpers. Zum Großteil besteht es aus Bindegewebe und erfüllt zweifelsfrei eine wichtige Funktion: Es dient als Aufhängung für das Darmrohr und verhindert, dass unser Gedärm beim aufrechten Gehen in das Becken rutscht.
Neue Erkenntnisse - aber kein neu entdecktes Gewebe
Die Publikation, die derzeit für Schlagzeilen sorgt, ist bereits vor zwei Monaten im Fachblatt "The Lancet - Gastroenterology & Hepatology" erschienen. In ihr beschreibt Professor J. Calvin Coffey von der "University of Limerick" in Irland Form und Funktion des Mesenteriums. Das neue daran: Bislang ging man davon aus, dass sich das sogenannte Gekröse aus Einzelteilen zusammensetzt. Laut Coffey handelt es sich dabei aber um ein zusammenhängendes Gebilde.
"In unserer Studie erklären wir, dass es ein Organ in unserem Körper gibt, das bislang nicht als solches anerkannt wurde", erklärt Coffey in einer Pressemitteilung zu der Studie. "Bislang galt es als fragmentiert und sehr komplex. Doch das Organ ist weit davon entfernt. Es ist schlicht eine durchgehende Struktur." Nach Auffassung des Forschers rechtfertigt das die Klassifizierung des Mesenteriums als Organ.
Trotz der neuen Erkenntnis bleiben zahlreiche Fragen. So ist unklar, welche weiteren Funktionen das Mesenterium erfüllen könnte - abgesehen von seiner bekannten Stützfunktion. Coffey will weiterforschen und erhofft sich so neue Erkenntnisse über die Entstehung von Krankheiten im Magen-Darm-Bereich. Seiner Meinung nach könnte künftig auch ein neuer Bereich medizinischer Forschung entstehen, der sich mit den Besonderheiten des Mesenteriums beschäftigt.