Sybil Volks ist Autorin und hat die Buchvorlage zur neuen Historien-Serie "Das Haus der Träume" bei RTL+ geschrieben. Der Roman heißt "Torstraße 1", erschien zuerst im Jahr 2012 und erzählt die Geschichte des Kaufhauses Jonass in Berlin. Es eröffnete 1929 und war das erste Kreditkaufhaus. Es sollte vor allem der armen Bevölkerung das Einkaufen erleichtern, indem es Ratenzahlungen anbot. In der Serie geht es um die späten 1920er und 30er Jahre, die Liebesgeschichte zwischen der Verkäuferin Vicky und Harry, Sohn der jüdischen Kaufhausinhaber. Im Buch umfasst die Geschichte 80 Jahre, zwei Familien in West- und Ostberlin und mehrere Generationen.
Im Interview mit dem stern erzählt Sybil Volks von ihren Recherchen und welchen Ort sie heute als "Haus der Träume" bezeichnen würde.
"Das Haus der Träume": Diese Hauptfiguren sollten Sie kennen
Frau Volks, über das echte Kaufhaus Jonass findet man nur wenige Informationen. Hat Sie das beim Schreiben gestört oder hat Ihnen das geholfen?
Ich würde es so sagen: Die Zeitgeschichte und das Gebäude waren die "Knochen", also mein Rahmen, aber das "Fleisch" daran, das sind die Figuren. Die machen die Geschichte lebendig. So hatte ich die Möglichkeit, mit erfundenen Personen die Geschichte selbst erzählen zu können. Auch von der Besitzerfamilie gab es nur Eckdaten. Ich habe mir auch hier die Freiheit genommen, den Namen in Grünberg zu ändern und viel zu erfinden. Alle Ereignisse, wie etwa die Enteignung des Kaufhauses, sind aber genau recherchiert und haben tatsächlich so stattgefunden.
Was hat Sie am Kaufhaus Jonass so gefesselt, dass Sie einen ganzen Roman darüber schreiben wollten?Das erste Mal habe ich im Jahr 2007 in einem Zeitungsartikel davon gelesen. Fasziniert hat mich sofort, wie sehr es sich in den Jahrzehnten gewandelt hat. Es war ein Kaufhaus jüdischer Inhaber, Sitz der Hitlerjugend, SED-Zentrale und Institut für Marxismus-Leninismus, in den 90ern stand es leer, bis es zum heutigen Soho House, einem hippen Hotel mit exklusivem Club, wurde. Alles immer typisch Berlin für die jeweilige Epoche.
Sie sind vor einigen Jahren nach Berlin gezogen. Hat Ihnen die Recherche geholfen, in der Stadt anzukommen?
Ja, tatsächlich. Man geht mit anderen Augen durch die Stadt. Das ist so interessant, sich alte Bilder anzusehen, Orte wiederzukennen und zu entdecken, was sich alles verändert hat. Aber es macht einen auch nachdenklich, zu sehen, was zerstört wurde und wie schön vieles früher war. Ich finde, man lebt anders in einer Stadt, wenn man über ihre Geschichte etwas weiß.
"Haus der Träume": Die 1920er sind für viele faszinierend
Woher kommt die Faszination vieler Menschen für die 1920er Jahre?
Ich denke, die Faszination hat damit zu tun, dass viele Menschen heute daran anknüpfen können. Die 1920er hatten eine große Modernität und deshalb fühlen wir uns den 20ern näher als den 50er Jahren, wo etwa Frauen sich weniger entfalten konnten. Auch die Umstände erinnern wieder mehr an heute: Die Finanzkrise, die Umbruchszeit in allen Bereichen: Technisch, wissenschaftlich, kulturell.
Gibt es einen Bereich, in dem die 1920er vielleicht sogar moderner waren als die Gegenwart?
Die Frauen waren sehr modern: Sie konnten berufstätig sein, Geld verdienen, es gab eine sexuelle Emanzipation. Aber die hatte auch Kehrseiten: Es gab viele alleinerziehende Mütter, Schwangerschaftsabbrüche. Doch Frauen hielten oft untereinander zusammen und halfen sich, wie auch im Buch und Film die besten Freundinnen Vicky und Elsie.
Es war damals für viele sehr reizvoll, vom Land in die Stadt zu ziehen. Es gab Chancen und Freiheiten, die sie vorher auf dem Dorf nicht hatten. Mit den Nationalsozialisten änderte sich auch das: Die Frauen wurden wieder an Heim und Herd gedrängt, die 1950er waren ebenso ganz konservativ in dieser Hinsicht, die 60er und 70er auch noch. In Westdeutschland mussten Frauen sogar ihre Ehemänner fragen, ob sie arbeiten oder Auto fahren durften. Ein großer Rückschritt. Und was viele nicht wissen: In den 20ern gab es eine vielfältige queere Kultur, viele Angebote für lesbische Frauen, sogar mehr als heute, etwa eigene Lokale und Zeitschriften. Doch diese Modernität und Emanzipation, das alles wurde in der Nazizeit zerstört, wie auch das jüdische Leben in Berlin, wie es in Roman und Serie wieder lebendig wird.
In Ihrem Roman und der Serie steht das Kaufhaus Jonass im Mittelpunkt. Sind Kaufhäuser noch der gleiche Ort wie in den 1920er Jahren?
Ich habe mir während der Recherchen viele Bildbände aus der Zeit angesehen. Und ich würde sagen, dieses Flair und die Faszination, die Kaufhäuser damals auf die Menschen ausstrahlten, das gibt es heute nicht mehr. Die Menschen hatten nicht viel, diesen Konsum wie heute gab es nicht. Kaufhäuser waren also magische Orte, an denen man Dinge aus der ganzen Welt bestaunen konnte. Es gab ein Café, eine Dachterrasse, ganz besondere Dekoration, große prunkvolle Hallen. Und es gab dort Sachen, von denen man noch nie gehört hatte. Sachen, die man sich nicht einmal vorstellen konnte, gerade wenn man vom Land in die Stadt kam.
Gibt es heute noch ein "Haus der Träume"?
Der Titel "Das Haus der Träume" meint, dass man im Kaufhaus mehr erleben konnte als nur Dinge zu kaufen. Es war auch ein Ausblick in andere Welten. Man konnte sich fragen: Wie könnte das Leben sein, wenn man reich wäre? Man konnte sich in ein anderes Leben träumen und Wünsche für die Zukunft entwickeln. Ich habe auch überlegt, welcher Ort es heute sein könnte und habe dazu einen Gedanken: Vielleicht sind es heute die Serien, die genau das befriedigen, man taucht ein in andere Welten und träumt…
Die Serie "Haus der Träume" erscheint am 18. September 2022 bei RTL+. Zeitgleich gibt es eine Neuausgabe des Romans "Torstraße 1" im dtv Verlag.