Man fragt sich ja schon, wozu die Welt fünf Jahre nach Ende der gefeierten "Spider-Man"-Trilogie von Sam Raimi eine Neuauflage braucht. Hat Tobey Maguire in seinem blau-roten Spandexanzug nicht schon alles gegeben? Sogar getanzt hat er! Was muss er denn noch tun?
Das fragwürdige Reboot "The Amazing Spider-Man" gibt die Antwort gleich in seinen ersten Sekunden: Der neue Peter Parker, gespielt von "The Social Network"-Schluffi Andrew Garfield, spiegelt sich in einer Scheibe und überrascht mit einem formvollendeten Justin-Bieber-Schwupp, mit dem er seine "Twilight"-verwuschelte Mähne in perfekte Unform bringt. Justin Bieber? "Twilight"? Ja, Sie haben richtig gelesen. Genau um deren Publikum scheint es "The Amazing Spider-Man" nämlich zu gehen.
Liebe, Zweifel, Familie
Nicht nur die Haare dieses Spinnen-affinen Edward-Verschnitts bieten den beliebten Comic-Superhelden erstmals laut und deutlich dem weiblichen Publikum an. Die gramvolle Augenbraue und den zärtlich-drohenden Blick von unten kann er auch. Und auch Emma Stone als Gwen Stacy ist eine Bella im Marvel-Universum geworden: schlau, eigensinnig, verletzlich mit starker Vaterbindung. Da wirkt das Highschool-Blond fast wie eine schlechte Tarnung. Die altklugen Dialoge, die handzahme Ironie, der Weltschmerz, die sich selbst verzehrende Vernunft - plötzlich kreuzen sich die Fantasiewelten nicht nur, sie werden deckungsgleich. Denn passenderweise ist "Twilight" ja auch gerade "männlicher" geworden Hat man erst einmal begriffen, um wen es in diesem Film wirklich geht, macht er richtig Spaß. Aus der eigenen Ästhetik hat "Twilight" schließlich alles rausgeholt.
Mike Webb (er heißt wirklich so), der bisher das Indie-Liebesdrama "(500) Days with Summer" vorzuweisen hat, zaubert einen "anderen" Spider-Man auf die Leinwand, der Tobey Maguire tatsächlich alt aussehen lässt. Denn ob es dem Kinozuschauer gefällt oder nicht, die Alleinherrschaft der werberelevanten Zielruppe "14 bis 25 und männlich" als Maßstab jeder großen Produktion ist offenbar gebrochen. "The Amazing Spider-Man" ist eine große Packung Gefühle: Liebe, Familie, Selbstfindung.
Perfekter Bösewicht
Vergessen werden die alten Herrscher aber natürlich nicht: Die 200-Millionen-Dollar-Produktion (geschätzt) wartet mit bisher ungesehener Technik auf. Es gibt Szenen vom fliegenden Wandkrabbler, die man so noch nicht zu Gesicht bekommen hat. Und das liegt nicht einmal am 3D, in dem der Film natürlich in die Kinos kommt. Noch entspannter ist das CGI, noch mehr gewöhnt an die Computerspiel-Grafik ist das Zuschauerauge. Auch der Bösewicht verkörpert die Schizophrenie vollkommen: Rhys Ifans brilliert als Bestie, die so menschlich geblieben ist, dass man nie das Mitleid verliert. Die Zuschauerzahlen werden zeigen, ob von "Twilight" lernen tatsächlich siegen lernen heißt.
Offen bleibt immer noch die Frage, warum die beliebte Spinne, die in diesem Jahr ihren 50. feiertdie Rechte am Filmfranchise