Paula Beer steht auf der Bühne des Palazzo del Cinema in Venedig und will ihre Rede beginnen, da schüttelt es sie vor Glück. Ihr Gesicht wird ein einziges Strahlen, die grünen Augen schimmern, die sonst so souveräne Stimme bricht. Bonasera, sagt sie, ich bin ein bisschen aufgeregt. Sie bedankt sie sich für den Marcello-Mastroianni-Award der 73. Filmfestspiele, den Nachwuchspreis für ihre Rolle als Anna in François Ozons Melodram "Frantz". Danke Jury, danke Filmteam, danke Agentin, danke Mama. Der Saal ist hingerissen. Nina Hoss sitzt in der Jury und schaut, als würde sie Beer in den Arm nehmen wollen. Auf der Bühne des Palazzo bahnt sich in diesen Augenblicken eine steile, internationale Karriere an. Paula Beers Vorgänger in Venedig heißen Gael García Bernal, Mila Kunis, Jennifer Lawrence. Absurd.
Im Gespräch in einem hellen Hotelzimmer am Potsdamer Platz in Berlin, einige Wochen vor Venedig, ist das ihr Lieblingswort: absurd. Paula Beer, 21, sitzt da wie hineindrapiert, tiefblauer Jumpsuit, weiße Stoffschuhe, leichtes Make-Up, Renaissancegesicht. Sie sucht sorgfältig nach den richtigen Worten. Absurd ist für sie zum Beispiel: jetzt schon an Venedig zu denken, das ganze Trara. Nach dem Abitur mit Schlöndorff in Paris zu drehen und dann rausgeschnitten werden. Mit 14 drei Monate weg von Zuhause sein, in Estland, um die Hauptrolle in einem millionenschweren Historienfilm zu spielen.
Paula Beer spielte mit acht den "Feuervogel"
Aber der Reihe nach. Ihre erste Hauptrolle spielt Paula Beer mit acht, im Schultheater ihrer Montessori-Schule. Sie spielt den "Feuervogel" - weil sich das sonst keiner traut. Und bereut ihren Mut vor der Premiere auf einem Theaterfestival. "Aber der Moment in dem ich auf die Bühne kam, war absolut magisch", erinnert sie sich mit kindlicher Freude. "Und dann wollte ich gar nicht mehr runter". Ihre Mutter im Publikum, selbst Künstlerin, Malerin, erkennt Paula kaum wieder: Da war eine ganz andere Stimme, eine ganz andere Körperspannung. Bald zieht die Familie nach Berlin, der Feuervogel spielt und tanzt weiter, im Jugendensemble des Friedrichstadtpalasts. Paula Beer lehnt sich vor, erzählt mit großen Augen. "Ich dachte, irgendwann mal in 'nem Film mitspielen, das wär richtig cool. Und dann ist das auch passiert, das ist alles so toll passiert."
Berlin Prenzlauer Berg, Januar 2009. Die Casterin Britt Beyer sucht ein Mädchen, das die komplizierte Hauptrolle im Historienfilm "Poll" spielen kann: Oda, eine junge, melancholische Aristokratin, die sich in einen estnischen Anarchisten verliebt. Auf einem Schulhof im Prenzlauer Berg, zwischen grauen Jacken und Alltagsgesichtern, entdeckt sie Paula Beer: "Das Gesicht, der Blick - ich habe gleich gesehen, da ist ein Geheimnis, Anmut, zeitlose Schönheit".
Ein offenes, ruhiges Mädchen, 14 Jahre alt, das an diesem Tag Bauchschmerzen hat und eigentlich zu Hause bleiben wollte. So kommt alles anders. In den nächsten Monaten muss Paula Beer durch vier Castingrunden. Sie spricht ein wenig zu schnell, und steht ein bisschen zu schief, erinnert sich Britt Beyer, verbessert sich aber rasant und wird aus über tausend Mädchen ausgewählt. Regisseur Chris Kraus bekommt mit ihr eine Oda, die melancholisch ist und kindlich, abgründig und schelmisch. Die Kritiker sind verzaubert. In München überreicht ihr Hannah Herzsprung, mit der sie schon verglichen wird, den Bayerischen Filmpreis. "Ich hab damals nicht mitbekommen, was das grad bedeutet", sagt Paula Beer. "Das ist ein bisschen über mich hergefallen."
Viele Angebote lehnt sie ab
Es gibt schlicht keine Zeit zu reflektieren. Nach drei Monaten Dreh, isoliert in Estland, kommt sie zurück nach Berlin und muss gleich am nächsten Tag wieder in die Schule. Manche Mitschüler schauen sie jetzt anders an, aber ihre Freunde bleiben ihre Freunde. Nach "Poll" weiß Paula Beer: Sie will Schauspielerin werden. Aber: erst die Schule beenden. Viele Angebote lehnt sie ab, erst kurz vor dem Abitur spielt sie wieder, eine Nebenrolle in "Ludwig II", wieder ein Historienfilm. Und Stress. Donnerstags und freitags ist sie am Set, Hausaufgaben zwischen den Szenen machen oder in der Maske, für die Schule muss sie viel nachholen. "Kurz vor den Prüfungen hab ich oft meinen Stift nicht gefunden und manchmal geweint, weil es wirklich viel war", sagt sie. Trotzdem schafft sie beides.
Nach dem Gymnasium geht Paula Beer nicht auf die Schauspielschule, sondern für ein Jahr nach Paris, dreht dort mit Volker Schlöndorff "Diplomatie", den nächsten Historienfilm. Bitter: Sie ist die Erzählerin der Rahmenhandlung, die im Schnitt gestrichen wird. "Schon absurd", sagt Paula Beer heute, "aber lehrreich". Und hätte sie damals nicht so gut Französisch gelernt, hätte sie nicht die Hauptrolle in "Frantz" bekommen, wäre nicht in Venedig gewesen. Und so weiter.
Paula Beer erzählt ihre Karriere staunend, ein bisschen wie einen True-Story-Film, als unglaubliche Reihe von Zufällen. Viel weniger zufällig erscheint das alles, wenn man Regisseure und Kollegen schwärmen hört von ihrem Fleiß, ihrer Reife, ihrer Ernsthaftigkeit. "Ich würde mir komisch vorkommen, wenn ich vor der Kamera stehe und irgendwas behaupte", sagt Paula Beer. "Ich nehme total ernst, was meiner Figur passiert und suche die Wahrheit darin."
"Frantz" spielt kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Paula Beer ist Anna, schwermütige Witwe eines deutschen Soldaten, die bei ihren Schwiegereltern lebt. Eines Tages taucht ein Franzose in der Kleinstadt auf, ein Freund von Frantz, aus dessen Studienzeit in Paris, vor dem Krieg. Die Einheimischen beargwöhnen ihn, doch Anna und ihre Schwiegereltern nähern sich ihm an - und er befreit sie aus ihrer Melancholie. Doch das Glück endet jäh, Paula Beers Anna muss irrsinnig stark sein, vergessen und verzeihen lernen. Es ist berührend, wie behutsam sie das spielt, mit 21.
In Frankreich läuft der Film seit Anfang September. Magnifique, extraordinaire, lumineuse, steht in den Zeitungen über die junge Deutsche. Paula Beer hat es in der Schublade, in der sie ein wenig zu stecken scheint, fast schon zur Vollkommenheit geschafft. Als historische Frauenfigur, melancholisch, aber neugierig, ernst, aber auch kindlich. Gerade hat sie mit Oscar-Preisträger Florian Henckel von Donnersmarck gedreht. Es geht darin nicht um die Gegenwart. In der Schule fand Paula Beer Geschichte immer "wahnsinnig langweilig", aber dass sich der deutsche Film immer wieder mit der Vergangenheit beschäftigt, findet sie "nicht verkehrt". Außerdem sei Geschichte im Kino ja was völlig anderes: unendliche Schicksale, Konflikte, Geschichten statt absurd staubiger Fakten. Trotzdem, klar, würde sie gern mal was Neues probieren.
Zum Beispiel? "Theater, Komödien. Oder sowas 'Bonnie und Clyde'-mäßiges, das wäre wäre toll." Für Britt Beyer, die Frau, die Paula Beer vor sieben Jahren auf dem Schulhof entdeckte, liegt ihre Zukunft woanders: "Ich hab den Trailer zu 'Frantz' gesehen und gedacht: Die ist bald in Hollywood."