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M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Meuterei ohne Bounty – Julian Reichelt, der Braveheart vom Bordbistro

Micky Beisenherz über Julian Reichelt
Micky Beisenherz schreibt über Julian Reichelt
© Tobias Steinmaurer/APA / DPA
Andere halten ein Stöckchen hin, bei ihm ist es ein Snack: Mit seinem Snickers-Posting hat Julian Reichelt eine Empörungslawine auf Twitter losgetreten. Completely nuts - so die Spontananalyse von Micky Beisenherz.

Die Absurdität der Situation muss man sich ja nun wirklich mal vorstellen. Da steht ein Mann Mitte vierzig zwischen zwei Waggons, breitbeinig und ist circa fünf Minuten damit beschäftigt, seinen Schokoriegel für ein Foto möglichst kunstfertig in Szene zu setzen.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Bekäme er wie der Sohn von Armin Laschet wenigstens Geld für sowas, man würde es doch verstehen. Wenn man allerdings bedenkt, dass er bis vor Kurzem noch Chefredakteur einer immer noch nicht ganz unwichtigen deutschen - nennen wir es mal - Zeitung gewesen ist, bekommt das Ganze einen ganz anderen Geschmack. (Vorsicht, der könnte Spuren von Nüssen enthalten.)

Seine Aufregung galt der Regel, dass man im ICE zwar als (getesteter) Ungeimpfter mitfahren könne,  aber wegen der 2G Plus-Regel im Bordrestaurant keine Speisen bekommt. Eine Regelung, deren Verwunderungspotenzial man auch schon unter deutlich lässigeren Leuten bemerkt hatte.

Da der Mann mit dem aufklärerischen Eifer sich nicht entblödete, sein Foto zu twittern, folgte postwendend die kollektive Verwunderung. Und eine Spontananalyse, die sowohl für den Fotografen wie auch den ausgestellten Riegel gilt: completely nuts.

Im selbsternährenden Empörungsgetöse Social Media ist so eine öffentliche Äußerung natürlich Porridge im Tank, eine Einladung, stündlich schlechter werdende Gags zehntausendfach folgen zu lassen. Wenn Julian Reichelt Twitter betritt, ist es, als würde ein frisch Verwundeter nur eben kurz zum Strullern ins Piranhabecken steigen.

Meuterei ohne Bounty

Andere halten ein Stöckchen hin, bei ihm ist es zumindest ein Snack. (Die Frage, ob er nicht schon genug Leuten ungefragt seine Nüsse gezeigt hat, muss dennoch erlaubt sein.) Meuterei ohne Bounty.

Entschuldigung, aber wie kann es sein, dass ein ehemaliger Topmanager binnen kurzer Zeit wie der Plebs ins Bordrestaurant zu schlurft, anstatt sich wie jeder anständige Mensch in der ersten Klasse am Platz bedienen zu lassen? Ja, haben sie ihm denn beim Rauskärchern aus dem Springerturm neben der laminierten Scheidungsurkunde die Black Mamba gleich mit geschreddert, oder was?

Und ist diese Zuckeratombombe, dieser Fernfahrer-Brennstab in seiner Hand nicht die eigentliche Provokation einer gesundheitlich aufgeklärten Gesellschaft. Wer so etwas regelmäßig in sich hineinschiebt, drückt sich proaktiv vor der Impfpflicht ab fünfzig.

Herumprantln bei Servus TV

Nun steht dieses Foto nicht für sich alleine, sondern ist Teil einer mittlerweile stattlichen Kollektion, in der der Braveheart vom Bordbistro seiner Fassungslosigkeit über die Inkohärenz der Coronamaßnahmen Luft macht.

Was mitunter zu Bilderserien führt, in denen er auf Papierservietten seinen Luftweg von Berlin über München nach Wien skizziert und sich in den Diagrammen und Formeln über FFP2-Maskenpflicht, 2G, 3G, 2GPlus fast verliert. A beautiful mind.

Dass er es gewagt hat, diese Strecke zu fliegen, lässt man ihm darob fast durchgehen. Abends wird dann noch kräftig bei Servus TV herumgeprantlt, und dann ist es auch gut.

Die meisten von uns haben sich daran gewöhnt

Im Nachhinein muss man sich fast wünschen, er hätte bei der "Bild"-Zeitung bleiben dürfen, um ein bisschen soziale Kontrolle über ihn zu haben und mit dem gezielten Einsatz attraktiver Mitarbeiterinnen vom Anketten an die Zugtoilette abzulenken. Eingedenk der ganzen Vorgeschichte macht man sich ja doch Sorgen.

Andererseits: Das Letzte, was man dem Mann vorwerfen kann, ist die mangelnde Stringenz staatlicher Maßnahmen aufzuzeigen. Begleiten uns die Unstimmigkeiten der Regularien doch seit Pandemiebeginn und werden alltäglich in Satire-, Talk- und Bühnenshows lustvoll durchdekliniert und aufgezeigt.

Der Unterschied: Die meisten von uns haben sich einfach an die verschiedenen Botschaften so mancher Auflagen gewöhnt. Wir haben akzeptiert, dass es Dinge gibt, die kaum noch epidemiologisch oder virologisch begründbar sind, sondern bestenfalls politisch dem Ziel dienen, möglichst viele Leute an eine Impfung zu kriegen. (Hallo, RKI! Genesenenstatus, knickknack.)

Man will es endlich hinter sich haben

Dass ihm diese Dinge auffallen, er sich darüber aufregt, das ist nur menschlich und auf Wartezimmergesprächsniveau - und letztlich wieder ein schönes Beispiel dafür, dass es nicht nur wichtig ist, was gesagt wird, sondern eben auch von wem. Vielleicht sind auch wir mittlerweile zu erschöpft, uns über so einen Scheiß nicht aufzuregen. Man will es einfach nur endlich hinter sich haben.

Da ist der Lacher über den Dorfirren, der die Wahrheit spricht, oft energetisch das leichtere Mittel. Trotzdem wäre es besser, bis auf Weiteres kein 2G plus für Supermärkte einzuführen. Sonst liegt der tatsächlich demnächst mit blau angemaltem Gesicht im Feldbett vorm Lidl.

Und das kann ja wirklich niemand wollen.

P.S.: Jemand, der es 'der Snickers' nennt, sollte in Deutschland sowieso nirgendwo mehr eine gehobene Position besetzen dürfen. Meine Meinung.

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