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Momente der TV-Geschichte Ein Satire-Redakteur narrt die Fernsehnation: Er wollte Buntstifte am Geschmack erkennen

"Wetten, dass..?"
Noch ist Moderator Thomas Gottschalk völlig ahnungslos: Er glaubt, dass sein Wettkandidat Bernd Fritz die Farbe von Buntstiften durch Lecken an der Stiftspitze erkennen kann.
© Weissbrod/ / Picture Alliance
Dieser Auftritt erregte 1988 ganz Fernsehdeutschland: Ein Kandidat behauptete bei "Wetten, dass ..?", er könne Buntstifte am Geschmack erkennen - outete sich aber hinterher als Redakteur der Satirezeitschrift "Titanic".

In den 1980er und 90er Jahren war "Wetten, dass ..?" die erfolgreichste TV-Show Europas. In den besten Zeiten schauten mehr als 20 Millionen Menschen zu. Der Erfolg der Sendung basiert zum großen Teil darauf, dass sich Menschen sinnlose Fähigkeiten aneignen und dann im Fernsehen demonstrieren. Im Laufe der 215 Sendungen, die zwischen 1981 und 2014 ausgestrahlt wurden, gab es tatsächlich die verrücktesten Wetten. 

Ein Kandidat riss 50 Telefonbücher in zweieinhalb Minuten auseinander. Zwei Brüder konnten mithilfe einer Baggerschaufel die Nadel eines Plattenspielers genau zwischen zwei Songs einer Schallplatte legen. Und ein Kandidat erkannte 23 Frauen mit verbundenen Augen am Fußgeruch. 

Warum also sollte es nicht auch Menschen geben, die Buntstifte am Geschmack erkennen können? Und so hegte Moderator Thomas Gottschalk nicht den geringsten Verdacht, als ein gewisser Thomas Rautenberg am 3. September 1988 mit dieser Wette in seiner Show auftrat.

Ein "Titanic"-Redakteur schlich sich ein

Was Gottschalk nicht wusste: Der Mann hieß in Wirklichkeit gar nicht Rautenberg - und er konnte auch keine Farben schmecken. Tatsächlich handelte es sich um den "Titanic"-Redakteur Bernd Fritz, der sich unter diesem Namen in die Sendung eingeschlichen hatte. Er machte seine Sache gut und verkörperte den Wettkandidaten glaubhaft.

Als er die Wette gewonnen hatte, wollte es Thomas Gottschalk natürlich genau wissen: "Wie kommt ein Mensch dazu, Stifte am Geschmack zu erkennen?" - "Ehrlich gesagt Herr Gottwald, äh, Herr Gottschalk: Das weiß ich auch nicht."

Der Groschen fiel nicht sofort: "Sie haben eines Tages gemerkt, dass Sie ein besonders Geschmäcklein haben?", hakte Gottschalk nach. "Nein, ich hab keine Ahnung, woran man das erkennen könnte. Ich kann's nicht, ganz einfach."

Erst langsam dämmerte es dem Moderator: "War's gemogelt, oder wie?" Fritz gab sich als Autor der Satirezeitschrift zu erkennen - verriet jedoch nicht, wie ihm die Schummelei gelang. Unter Pfiffen der Zuschauer erklärte er, die Auflösung sei erst in drei Wochen in der nächsten Ausgabe der "Titanic" zu lesen. Die Erklärung war dann denkbar banal und ohne jedes Raffinement: Fritz gestand, unter dem Rand der Brille hindurch gelinst zu haben.

Thomas Gottschalk legte nach

Gottschalk nahm das zum Anlass, zu Beginn der nächsten Sendung nachzutreten: "Das hätte er auch einfacher haben können", lästerte der Moderator. "Ein Satz hätte genügt. Was macht er stattdessen? Schreibt vier Wochen später 14 Seiten in einer Zeitschrift, die keiner liest."

Doch damit hatte Gottschalk nicht recht: Für die "Titanic" hatte sich der Auftritt durchaus gelohnt: Bis heute gilt diese Ausgabe als die meistverkaufte des Magazins. Und auch "Wetten, dass ..?" überstand den Schummel ohne große Kratzer: Das Lagerfeuer des deutschen Fernsehens brannte noch 26 weitere Jahre, ehe es im Dezember 2014 verglomm.

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