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Demenz bei Hunden Leider ein besonderer Hund: Emily ist an Demenz erkrankt – Orientierungslosigkeit macht ihr Angst

Hündin Emily in einem Kinderbett
Familie Luza tut alles, damit Emily sicher leben kann. Selbst wenn das bedeutet, dass die Hündin im Kinderbett schläft.
© privat
Auch Hunde können in hohem Alter an Demenz erkranken. Das stellt nicht nur den Halter vor große Herausforderungen. Statistiken und Studienergebnisse gibt es zu der Krankheit bei Hunden bisher nicht, aber Erkenntnisse aus der Humanmedizin liefern Aufschluss. 
Von Frauke Gans

Die Neufundländer-Dame ist groß und stark und Rudelführerin von fünf anderen Hunden. Sie lebt auf dem Land in Österreich und hat durch eine Genmutation wunderschönes graues Fell. Leider hat sie all das vergessen, denn: Emily ist dement. Trotzdem schleppt sie voller Stolz und sehr gemächlich ihre 65 Kilogramm in die Spätsommersonne im Garten ihres Zuhauses im österreichischen Loimersdorf. Ein Rundumblick und kurz überlegt: Wo bin ich? Die Erkenntnis huscht über das bärenähnliche Gesicht, dann steuert sie erleichtert den Steg zum Hundeschwimmteich an. Der einzige Ort, an dem sie seit dem Vergessen Ruhe findet. Demenz beim Hund oder auch: das Kognitive Dysfunktionssyndrom entsteht genau wie beim Menschen durch Ablagerungen im Gehirn, die die Verbindungen der Nervenzellen zunehmend stören und schließlich zum Zelltod führen. Wann genau die Erinnerung schwindet, lässt sich bei Vier- wie Zweibeinern schwer sagen. Emily war elf, als Susanne und Michael Luza es zum ersten Mal bemerkten.

Es war ein Sommermorgen. Die Hündin hatte Hunger, stürmte durch die Küche in Richtung Fressnapf im Keller und knallte mit vollem Gewicht gegen die geschlossene Tür. Mit leichten Blessuren blieb sie verwirrt sitzen. Warum kam sie nicht hindurch? Die anderen Hunde der Familie, Justin, Bounty, Cayenne, Can und Anouk, warteten geduldig hinter ihr, Frauchen Susanne fand das Ganze damals noch amüsant, aber auch verstörend und öffnete ihnen den Weg in das Untergeschoss. Abends eine ähnliche Szene: Emily hatte gemeinsam mit ihren fünf Rudelmitgliedern gefressen und trabte durch das Schlafzimmer hinaus in ihren geliebten Garten. Fünf Minuten später trottete sie gemächlich wieder hinein in die Küche und forderte mit treuem Blick erneut ihre Mahlzeit. Sie hatte schlicht vergessen, was sie kurz zuvor verputzt hatte, und stellte sich bellend vor die Kellertür. Susanne stieg achselzuckend mit ihr die Treppe hinab und hielt Emily eine Handvoll Trockenfutter unter die Nase. Mit einem Happs schlang die Hündin es herunter und wedelte zufrieden mit dem buschigen Schwanz. "Jener Tag war der Startschuss für den rasanten Abstieg", erinnert sich Susanne heute. Kurz darauf befiel Emily die für Demenz typische Unruhe. Ab dem ersten Herbstregen wanderte die Hündin in dem Einfamilienhaus nachts auf und ab, bellte ängstlich und hechelte laut, an Schlaf war für das Ehepaar Luza nicht zu denken. Da die Neufundländerin außerdem die Führerin der Hundegang war, trippelten ihr alle anderen Tiere hinterher. Was nun?

Emily ist oft unruhig und braucht viel Zuwendung

Die Erfahrung mit dem Phänomen Hundedemenz ist generell gering, da relativ neu. Erwischt es kleine Hunde, holt man den ängstlichen Yorkshire ins Bett, damit er sich beruhigt. Wo aber legt man einen 65-Kilo-Neufundländer ab? Transportboxen können gegen die Orientierungslosigkeit helfen, die betroffenen Hunden solche Angst macht. Die Kunststoffkiste für Emily brach unter dem Gewicht der rumorenden Neufundländer-Dame mit einem Knall auseinander. Im Winter schließlich stürzte sich der Hund während eines Unwetters panisch auf die im Bett liegende Susanne und drückte mit ihren Pfoten deren Kopf zusammen. Zum Glück konnte Michael seine Frau unter dem massigen Körper hervorziehen und den Hund beruhigen. Von dieser Nacht an setzten sich Michael und Susanne Luza im Wechsel an ihren antiken Gasthaustisch: Solange einer seine Füße unter die Tischplatte streckte, konnte Emily beruhigt darunter schlafen.

Den ganzen Winter hielten sie das durch. Als sie im Frühjahr am Abend die Terrassentür ihres Schlafzimmers öffneten, trottete Emily zum ersten Mal mitten in der Nacht hindurch, bis auf den Steg zum Schwimmteich. Mit einem Brummen warf sie sich darauf und schlief ein. Seitdem dürfen Michael und Susanne wieder gemeinsam und ohne Hund in ihrem schwedischen Holzbett liegen. Nur die Tür muss offen bleiben. Emily trabt einmal hinein und hinaus und ist zufrieden. "Wenn im Winter die Schneeflocken durch die Terrassentür in unser Schlafzimmer wehen, wird es frisch. Aber dafür finden wir eine Lösung", hofft Susanne Luza. Sollte Emily allerdings jemals vergessen, wo sie ist, könnte sie in das tiefgrüne Wasser unter ihrem neuen Schlafplatz fallen und ertrinken. "Das Risiko müssen wir eingehen. Der Steg hat ihr Lebensqualität zurückgegeben."

Das Phänomen bei Hunden ist neu und noch wenig erforscht

Das Alter macht Emily ebenfalls sehr besonders, und es trägt eine Mitschuld an ihrer Demenz. Emily ist dreizehn Jahre alt, für Neufundländer ein ziemlich hohes Alter. Ebenfalls wie beim Menschen tritt auch bei Hunden die Demenz erst spät im Leben auf. Statistiken gibt es bislang zwar nicht, genauso wenig wie Studienergebnisse zur Erblichkeit, zu frisch ist die Erkrankung bei Hunden. Aber die Erkenntnisse in der Humanmedizin liefern Aufschluss. Entspricht also auch die Behandlung der am Menschen? Die Tierärztin Dr. Stefanie Sprauer aus München bejaht das: "Bewegung, eine spezielle Diät, Gehirnjogging und vertraute Tagesabläufe können helfen." Für Hunde gibt es auf dem Markt außerdem ein hilfreiches Psychopharmakon: "Selgian". Außerdem ein durchblutungsförderndes Mittel.

Susanne Luza schwört auf CBD-Öl aus Hanf, das es überall frei zu kaufen gibt, mit einer Minimenge des Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol. Mit Hilfe der Cannabidiole liegt die Neufundländerin entspannt auf ihrem Steg und scheint leicht bekifft in den Abend zu träumen. Damit Frauchen Susanne weiß, was sie ihrer Hündin verabreicht, träufelte sie sich selbst etwas Öl auf einen Teelöffel. "Berauscht fühlt man sich eigentlich nicht." Zu Medikamenten, Behandlungsmethoden und zur Ursachenforschung des Kognitiven Dysfunktionssyndroms scheint es alle sechs Monate neue Erkenntnisse zu geben. Zurzeit gilt als mögliche Prävention oder Verzögerung eine ausgewogene Ernährung, Bewegung und ein aktives Gehirn.

Emily sitzt oft mitten im Wohnzimmer und starrt an die weiße Wand. Susanne spricht sie an und krault sie vorsichtig hinter den wuscheligen Ohren. Keine Reaktion. Die Hündin scheint in ihr Inneres zu schauen, auf der Suche nach Erinnerungen oder hypnotisiert von etwas, das nur sie sehen kann. Susanne dreht sie dann nach einiger Zeit einfach um: Wenn sie Emilys Blickwinkel verändert, schaut der Hund sie plötzlich wieder aufmerksam an und macht sich auf die Suche nach seinem riesigen blechernen Wassernapf. Oft findet sie ihn nicht mehr. Neue Erinnerungen scheinen zu schwinden, dafür die aus Welpenzeiten aufzutauchen – wie beim Menschen. Weil Emily die Schüssel am Standort von vor zehn Jahren sucht, stellte Susanne Luza sie wieder dorthin zurück. "Soll der Hund in der Vergangenheit leben, wenn es ihn glücklich macht." Wichtig sei nur regelmäßig zu überprüfen, ob Emilys Schmerzgedächtnis noch funktioniert, habe ihre Tierärztin gesagt. Sonst bestehe das Risiko der Selbstverletzung. Stefanie Sprauer war es auch, die bei der Neufundländerin Demenz diagnostiziert hatte. Was nicht einfach ist, denn es gibt nicht den einen gültigen Test.

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"Das Kognitive Dysfunktionssyndrom lässt sich nur anhand der Symptomatik oder mit einer Magnetresonanztomografie feststellen", erklärt Dr. Sprauer. "Erscheint ein alter Hund in der Praxis etwas verwirrt, verkeilt er sich hinter Möbeln und in Ecken, frage ich mich durch weitere Symptome." Berichten die Besitzer von gestörtem Schlaf-Wach-Rhythmus, grundlosem Bellen, Orientierungsproblemen, Trennungsangst, Unsauberkeit und dass der Hund sich ständig im Kreis dreht, steht die Diagnose. In der Behandlung ist aber bisher nur eine Verlangsamung des Verlaufs möglich und eine Linderung der Folgen.

Susanne Luza arbeitet mit ihrem Mann Michael beständig gegen Emilys Symptome an, seit sie diese mit der Hilfe von Tierärztin Dr. Sprauer festgestellt haben. Die zwei Österreicher hieven die alte Dame für leichtes Training aus der Sitzposition auf ihre Hinterläufe und spazieren mit ihr gemächlich zum Gartentor hinaus, den Bachlauf entlang. Immer an der Leine, denn man weiß nie, ob Emily nicht vergisst, wo und wer sie ist. Ihre fünf Hundekumpel traben nebenher, scheinen dabei besorgt zu schauen. Susanne lächelt traurig und amüsiert zugleich: "Eigentlich war Emily immer schon etwas anders als andere."

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