Kim Frank war einst der blonde Sänger von "Echt", jener Flensburger Schülerband, die zur Jahrtausendwende mit ihrem Song "Du trägst keine Liebe in dir" steil ging. Heute ist der frühere Teenieschwarm 36 Jahre alt, trägt Bart, hat schulterlanges Haar, raucht an seinem Schreibtisch: Er ist ein Künstler geworden. Im vergangenen Jahr hat er sich seiner neuen Leidenschaft gewidmet und seinen ersten Fernsehfilm gedreht. In "Wach" geht es um zwei Mädels, die keine Perspektive in ihrem Leben sehen und ausbrechen aus ihrem Alltag. Sie rebellieren auf ihre ganz eigene Art: Sie wollen so lange wach bleiben wie es geht – ohne Drogen.
NEON hat Kim Frank und die beiden Hauptdarstellerinnen des neuen Films, Alli Neumann und Jana McKinnon, getroffen und mit ihnen über Kim Franks Leben und den Film gesprochen.
NEON: Kim, wann hast du das letzte Mal eine Nacht durchgemacht? Wie lange warst du wach?
Kim: Ich bin gar nicht so gut im Durchmachen. Als ich jung war, habe ich höchstens mal 32 Stunden geschafft. Ich war doch eher derjenige, der im Club auf dem Sofa kurz einpennt. Aber das mache ich schon lange nicht mehr. Jetzt bin ich alt und da merkt man solche Nächte hinterher.
NEON: Apropos: Wie hast du denn Party gemacht in jungen Jahren? Und wie diszipliniert warst du in Sachen Drogen?
Kim: Das schöne an solchen Feiernächten ist ja, dass man sich treiben lässt. Ich habe auch viele Drogen in meinem Leben genommen. Aber ich habe immer darauf geachtet, dass ich das mit Leuten mache, denen ich vertraue, die auch viel Erfahrung haben. Gerade was Drogen angeht, muss ich sagen: Ich habe selber erlebt, dass sie sehr gefährlich werden können. Es gibt aber auch einen Weg, das inspirierend und verantwortungsbewusst zu machen.
NEON: Und wie sieht es bei Nike und C., den Protagonisten des Films, mit Drogen aus? Zumindest während ihres Experiments nehmen sie keine.
Kim: Die Figuren im Film haben das alles schon hinter sich. Ich habe einmal auf Island ein Musikvideo gedreht. Da habe ich zwei Mädels gesehen – eine Dunkelhaarige und eine Blonde, die an einem Platz abhingen und den Skatern zugeschaut haben. Die waren super hübsch, 14 oder 15, und ich dachte: Wie geil wäre das, wenn wir mit denen was drehen könnten. Aber gerade bei so jungen Menschen finde ich es doof, sie einfach anzulabern. Dann bin ich einer der Beiden aber später in einem Restaurant noch einmal begegnet. Das war für mich ein Zeichen, also habe ich sie gefragt und dann haben wir mit ihnen gedreht. Und das war krass, denn sie waren so jung und hatten alles schon hinter sich: Drogen, Psychiatrie, Entzug, und sie waren davon auch ziemlich abgefuckt. Und gerade Leute, die vom Land kommen, können das ziemlich gut nachvollziehen, glaube ich: Drogen sind da normal. Die Langweile ist sehr groß, das ist ein sehr großes Problem der Jugend. Und dann haben die das alles eben durchexerziert und das war auch die Inspiration für die beiden Figuren im Film. Die machen das Wach-Experiment weil sie jung sind, weil Ihnen langweilig ist, weil sie eine pure Erfahrung wollen und weil der ganze andere Scheiß sie langweilt.
NEON: Die Idee für das Drehbuch von "Wach" stammt von einer Freundin von dir. Und eigentlich war die Idee längst abgeschrieben, weil keiner die Frage beantworten konnte, warum Nike und C. überhaupt wach bleiben wollen. Was war deine Antwort?
Kim: Ich musste wirklich lachen, als sie sagte, dass sie keine Antwort auf diese zentrale Frage weiß. Ich habe gesagt: "Die machen das weil sie jung sind, weil sie es können, das reicht als Grund." Und sie so: "Ok."
NEON: Im Film laufen Nike und C. gemeinsam von Zuhause weg und machen einen Roadtrip. Glaubst du, das macht auch im echten Leben Sinn, zu flüchten?
Alli: Mit 15 bin ich wirklich mal zuhause ausgezogen und nach Hamburg gegangen, habe die Schule abgebrochen und wollte Musik machen. Aber nach drei, vier Monaten bin ich zurück zu meinen Eltern. Meine Erwartungen als 15-Jähriger, wie das mit Musik läuft, waren einfach falsch. Ich war sehr naiv und habe auch komische Leute kennengelernt. Also bin ich zurück nach Hause gegangen. Und danach ging es mir besser. Alleine das Gefühl zu haben, dass ich mich aus den Umständen lösen und im Notfall die Handbremse ziehen kann, tat gut. Ich hatte durch diesen Ausbruch gemerkt, dass ich für mich selber lebe und nicht dieser Willkür unterlegen sein muss.
NEON: Ihr spielt fast den kompletten Film extrem gute Laune, macht die verrücktesten Sachen und seid emotional total drüber, beinahe wie im Rausch. Ist das nicht anstrengend zu spielen? Vielleicht sogar anstrengender als Trauer zu spielen?
Alli: Gute Laune zu spielen, fand ich überhaupt nicht schwer. Es herrschte auch eine sehr gute Stimmung am Set. Da waren über 30 Leute, die so motiviert daran gearbeitet haben und das hat Monster-Energien freigesetzt. Ich fand es eher befreiend, dass man während des Drehs die Möglichkeit hatte, das auszuleben. Du wirst da einfach reingezogen in diese Stimmung. Trauer finde ich eher schwer.
NEON: Was unterscheidet dich privat am meisten von der Figur im Film?
Jana: Die Sprache auf jeden Fall. Ich bin ja Wienerin und habe mir diese Sprache sehr mühsam aneignen müssen. Aber ich habe tolle Unterstützung erhalten von Kim und einem Sprechtrainer. Das war wohl der offensichtlichste Unterschied.
NEON: Was war die schlimmste Szene im ganzen Film?
Alli: Natürlich die Sex-Szene. Halleluja! Das war eine Katastrophe für mich: weil ich mir so einen Stress gemacht habe, wie ich selbst und die Menschen in meinem Umfeld damit umgehen werden. Ich sah mich schon bei der Premiere zwischen meinem 75-jährigen Vater und meinem Freund sitzen, und dachte: Das wird sicherlich ein toller Spaß. Aber der Dreh ist dann gar nicht so schlimm, wie man vorher denkt. Morgens hat man Bauchschmerzen, aber am Ende läuft alles ganz professionell. Es fühlt sich auch überhaupt nicht an, als hätte man Körperkontakt mit jemand anderem. Man ist tatsächlich in einem sehr professionellen Modus. Das sieht man später aber überhaupt nicht. Das finde ich total krass.
NEON: Wie sieht das bei dir aus, Jana? Ist das in deiner Beziehung auch ein Problem?
Jana: Mein Freund hat es noch nicht gesehen. Er ist jedoch selbst Filmemacher und muss damit klarkommen können. Das ist Teil meines Jobs, und man sollte diesem Aspekt auch nicht zu viel Bedeutung beimessen. Man unterdrückt diese Gefühle im besten Fall nicht, man redet darüber und man darf auch traurig sein. Aber das ändert nichts daran, dass es Teil des Berufs ist, den ich liebe.
NEON: Es gibt auf Instagram schon einen Nachahmer zum Film, der versucht, seinen eigenen Rekord im Wachbleiben zu brechen. Wie stehst du dazu, Kim? Ist das Experiment zum Nachmachen gedacht?
Kim: Der Film zeigt, dass das nicht so eine gute Idee ist. Ich kann nur sagen: Die Regeln, die im Film gelten, sollte man meiner Meinung nach schon berücksichtigen: Keine Drogen, viel essen, viel trinken, nicht alleine sein. Sobald du irgendwie anfängst, anders zu hören oder zu sehen, dann schlafe! Höre auf deine Grenzen! Weil sonst Psychosen und Traumata ausgelöst werden können – damit sollte man wirklich vorsichtig sein. Auf der anderen Seite will ich es auch nicht verteufeln, weil es eine pure Erfahrung ist. Wenn sich Leute entschließen, das zusammen zu machen, mit Spaß und Bedacht, dann finde ich das ehrlich gesagt weitaus besser als drei Tage wach zu sein auf MDMA.
NEON: Du hast in den vergangenen Jahren schon viele Musikvideos gemacht, Kim. Wie kommst du nun zum Fernsehfilm?
Kim: Ich habe jahrelang versucht meinen ersten Film zu finanzieren, habe jedes Jahr ein neues Drehbuch geschrieben und versucht das zu realisieren, bin aber immer an den Geldgebern gescheitert. Dann habe ich mir einen kleinen digitalen Fotoapparat gekauft. Der lag neben mir auf dem Schreibtisch und irgendwann dachte ich: Ich mache jetzt einfach damit einen Film und packe den auf Youtube. Aber als ich das Drehbuch fertig hatte, war es zu teuer, um es selbst zu stemmen. Und dann hatte ich Glück: Funk (Online-Medienangebot der ARD und des ZDF für Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 29 Jahren – Anm. d. Red.) hat das zusammen mit dem ZDF finanziert. Und jetzt sitzen wir hier mit einem fertigen Film.
NEON: Und wie sieht deine Zukunft aus? Du hast nach deiner Zeit mit "Echt" schon vieles gemacht: Musikvideos, Schauspielerei, eine eigene Soloplatte. Wirst du dich nun weiteren Filmprojekten widmen?
Kim: Ich kann verstehen, wenn man das Gefühl hat, dass ich alles mal ausprobiere. Das stimmt aber tatsächlich gar nicht. Ich hätte wahrscheinlich schon alte Hits auf Autohaus-Eröffnungen spielen und davon leben können, bis ich alt und grau gewesen wäre – aber das wollte ich nicht. Also habe ich mich meiner anderen Leidenschaft zugewandt: dem Film. Und alles, was ich gemacht habe – also dass ich in einem Film mitgespielt habe und einen Roman geschrieben habe und so – waren Teil meiner Ausbildung. Das habe ich alles ganz bewusst gemacht. Ich wollte damals schon Filmemacher werden. Die fast 100 Musikvideos waren sozusagen auch Teil der Ausbildung, außerdem habe ich viele Drehbücher geschrieben. Das waren alles Schritte auf dem Weg zum Filmemacher. Jetzt einfach weitermachen zu können, wäre das Schönste, was ich mir vorstellen könnte. Wenn mir irgendjemand Geld geben und sagen würde: "Hier – was möchtest du denn jetzt machen, Kim?" Dann würde ich antworten: "Ich habe da so ein paar Ideen."
NEON: Gruppen wie die Spice Girls und andere haben sich wiedervereint und sind nochmal gemeinsam auf Tour gegangen. Wird es auch eine Reunion von "Echt" geben?
Kim: Der Grund für die Trennung war damals, dass jeder von uns andere Leidenschaften hatte. Und tatsächlich ist jeder von uns mittlerweile mit seiner Leidenschaft erfolgreich und das ist ganz, ganz toll. Ich freu mich aber: Die Boys kommen tatsächlich alle auf die Premiere von "Wach". Das ist sehr süß! Eine Reunion wird es aber nicht geben.
