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Bundestag gedenkt erstmals besonders der queeren Opfer des Nationalsozialismus

Jüdische Holocaust-Überlebende Rozette Kats im Bundestag
Jüdische Holocaust-Überlebende Rozette Kats im Bundestag
© AFP
Zum Holocaust-Gedenktag hat der Bundestag am Freitag in Berlin der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung gedacht. Zum ersten Mal standen dabei verfolgte Homosexuelle und weitere Angehörige sexueller Minderheiten im Mittelpunkt. Diese Opfergruppe habe "lange um ihre Anerkennung kämpfen" müssen, sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) in ihrer Rede.

Viele homosexuelle Männer seien in der NS-Zeit zu langen Haftstrafen verurteilt, zur Sterilisation gezwungen und oft auch in Konzentrationslagern ermordet worden, erinnerte Bas. Doch "auch lesbische Frauen waren vor Verfolgung keineswegs sicher", fügte sie hinzu.

Zudem habe für queere Menschen auch das Ende des Nationalsozialismus kein Ende staatlicher Verfolgung gebracht, das Verbot der Homosexualität galt weiter. Erst 1994 sei der Strafrechtsparagraf 175 vollständig gestrichen worden und "es dauerte noch einmal viele Jahre, bis alle Urteile aufgehoben wurden", sagte die Bundestagspräsidentin.

"Das ist ein ganz, ganz wichtiges Signal heute, dass explizit der queeren Opfer, also der Lesben, der Schwulen, Bisexuellen, trans*, intergeschlechtlichen Menschen während der Nazi-Schreckensherrschaft gedacht wird", sagte der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, der Nachrichtenagentur AFP. Gerade weil es hier auch nach dem Krieg noch massive Diskriminierung gegeben habe, "ist es so wichtig, heute explizit zu sagen, diese Opfer gehörten dazu". Sie seien verfolgt worden, "bloß weil sie geliebt haben, wie sie geliebt haben".

"Wir gedenken aller Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt, beraubt, gedemütigt, ausgegrenzt, entrechtet, gequält und ermordet wurden", betonte Bas. Konkret nannte sie Jüdinnen und Juden, Opfer der deutschen Besatzungsherrschaft und Vernichtungspolitik insbesondere in Mittel- und Osteuropa, Sinti und Roma, Opfer der Euthanasie, Verfolgte wegen ihrer politischen Überzeugung oder ihres Glaubens, Angehörige sexueller Minderheiten, als "asozial" Diffamierte, Kriegsgefangene, Widerstandskämpferinnen und -kämpfer, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.

"Viele der Opfer des deutschen Vernichtungskriegs im Osten waren Ukrainerinnen und Ukrainer", sagte Bas auch. Sie äußerte sich erschüttert, "dass auch Überlebende des Holocaust durch die gegenwärtigen russischen Angriffe auf die Ukraine getötet wurden". Der Holocaust-Überlebende, Vorsitzende der Allukrainischen Vereinigung der Juden und heutige Kriegsflüchtling Boris Zabarko nahm an der Gedenkveranstaltung teil. 

Nachdrücklich mahnte Bas zum Gedenken an die im Namen des Nationalsozialismus begangenen Verbrechen. "Mich beunruhigen auch Versuche, die Einzigartigkeit des Holocausts zu relativieren", sagte die Bundestagspräsidentin. "Es kann keinen Schlussstrich geben", stellte sie klar.

"Antisemitismus und Antiziganismus, Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nehmen zu", wandte sie sich auch gegen aktuelle Diskriminierung - von Jüdinnen und Juden, aber auch von Homosexuellen. "Das ist eine Schande für unser Land", hob Bas hervor. "Nie wieder" – das ist ein Auftrag. Für uns alle."

Die jüdische Holocaust-Überlebende Rozette Kats erzählte in der Gedenkveranstaltung das Schicksal ihrer in Auschwitz ermordeten Familie. Weitere Reden erinnerten an die Schicksale von Opfern des Nationalsozialismus, deren Lebensgeschichten exemplarisch für die Verfolgung sexueller Minderheiten sind - für die Zeit des Nationalsozialismus Mary Pünjer und Karl Gorath sowie für die Zeit danach Klaus Schirdewahn.

Der 27. Januar ist der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz in Polen durch sowjetische Truppen 1945. Auschwitz ist "Inbegriff des Holocaust", sagte Bas. Bereits am Morgen wurde am Denkmal für die homosexuellen NS-Opfer im Berliner Tiergarten ein Kranz niedergelegt.

AFP

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