In den großen Städten des Landes wurde die Verkündung von Erdogan als Wahlsieger mit Jubel aufgenommen. Auf dem zentralen Taksim-Platz in Istanbul kam der Verkehr zum Erliegen, vor dem Präsidentenpalast in Ankara versammelte sich eine große Menschenmenge.
Der Präsident, der als klarer Favorit ins Rennen gegangen war, hat sich mit dem Ergebnis nach bereits 20 Jahren an der Macht eine weitere fünfjährige Amtszeit gesichert. Im Verlauf der Stimmauszählung war Erdogans Vorsprung allerdings geschrumpft. Nach Auszählung von rund 40 Prozent der Stimmen hatte er noch bei 57,1 Prozent gelegen, Kilicdaroglu bei 42,9 Prozent. Die oppositionsnahe Nachrichtenagentur Anka sah Kilicdaroglu zwischenzeitlich sogar vor Erdogan.
Doch offenbar haben weder die verheerende Wirtschaftskrise noch das scharf kritisierte zögerliche Krisenmanagement Erdogans nach dem Erdbeben im Februar mit 50.000 Toten seine Anhänger davon abgehalten, dem islamisch-konservativen Staatschef die Treue zu halten. Zu seinen wichtigsten Wählern gehört die fromme Landbevölkerung im anatolischen Kernland, der Erdogan zu mehr religiöser Freiheit und Wohlstand verholfen hat.
Die Präsidentschaftswahl gilt als historisch - nicht nur, weil es die erste Stichwahl in dem Land überhaupt war, sondern auch, weil sie als besonders richtungsweisend angesehen wird. Erdogan, einst Hoffnungsträger des Westens, wird vorgeworfen, mit zunehmend harter Hand zu regieren und das Land in den vergangenen zwei Jahrzehnten in eine Autokratie geführt zu haben.
Kilicdaroglu und das hinter ihm vereinte Oppositionsbündnis aus sechs Parteien hatten für den Fall eines Wahlsiegs die Wiederherstellung der Demokratie und die Abschaffung des von Erdogan eingeführten Präsidialsystem angekündigt. Noch am Wahltag, nach der Stimmabgabe in Ankara, hatte Kilicdaroglu seine Landsleute dazu aufgerufen, "für echte Demokratie und Freiheit in diesem Land zu stimmen" und "die autoritäre Regierung loszuwerden".
Erdogans Wiederwahl könnte nun bedeuten, dass dieser seine Macht weiter zementiert. Sein hartes Vorgehen gegen Andersdenkende und die Inhaftierung zahlreicher Oppositioneller werden in der westlichen Welt mit Sorge gesehen. Auch Erdogans Außenpolitik stößt zunehmend auf Kritik: So pflegt der Staatschef - trotz des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine - gute Beziehungen zu Russlands Präsident Wladimir Putin und blockiert seit Monaten den Nato-Beitritt Schwedens.
Im ersten Wahlgang vor zwei Wochen hatte keiner der Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit erhalten. Umfragen vor der ersten Runde hatten den sozialdemokratischen Oppositionschef vorn gesehen. Anders als vorhergesagt landete Erdogan dann jedoch knapp fünf Prozentpunkte vor Kilicdaroglu und verfehlte die absolute Mehrheit nur knapp.