Der Bertelsmann-Studie zufolge waren 2021 knapp 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche und weitere rund 1,55 Millionen junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren von Armut betroffen. Die Lage habe sich zuletzt nicht gebessert, sondern durch aktuelle Krisen und Preissteigerungen verschärft.
Opposition und Sozialverbände nahmen die Studie zum Anlass für scharfe Kritik an der Bundesregierung. Linken-Chefin Janine Wissler sprach gegenüber der Nachrichtenagentur AFP von einem "Armutszeugnis für die derzeitige Sozialpolitik der Ampel und ihrer Vorgängerregierungen". Sie forderte eine Anhebung des Kindergelds auf 328 Euro pro Kind und Monat und ein kostenloses Schulmittagessen.
Auch die Bertelsmann-Stiftung forderte Gegenmaßnahmen von der Bundesregierung. "Kinder- und Jugendarmut bleibt ein ungelöstes Problem in Deutschland", erklärte sie. Die im Koalitionsvertrag versprochene Kindergrundsicherung müsse "schnellstmöglich" beschlossen werden. Zentraler Maßstab müsse sein, dass die Kindergrundsicherung Armut "wirksam vermeidet".
Überdurchschnittlich von Armut betroffen sind nach Angaben der Stiftung junge Menschen in Alleinerziehenden-Familien sowie in Familien mit drei oder mehr Kindern. Ein oftmals unterschätztes Armutsproblem gibt es nach Auffassung der Bertelsmann-Experten auch bei den jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren. Frauen sind demnach zudem gefährdeter als Männer, in Ostdeutschland ist das Risiko größer als im Westen.
Die geplante Einführung der Kindergrundsicherung müsse "die Verteilung mit der Gießkanne beenden und gezielt denjenigen helfen, die besonders darauf angewiesen sind", forderte Bertelsmann-Bildungsexpertin Anette Stein. Als "unerlässlich" bezeichnete die Bertelsmann-Stiftung zudem eine Reform der Ausbildungsförderung Bafög sowie die Einführung einer Ausbildungsgarantie.
In der geplanten Kindergrundsicherung sollen nach dem Willen der Ampel-Koalition vorhandene finanzielle Unterstützungsleistungen gebündelt und erweitert werden. Erstmals ausgezahlt werden soll die Kindergrundsicherung 2025.
"Jedes Kind braucht faire Chancen und soziale und kulturelle Teilhabe. Deshalb ist es so wichtig, dass wir jetzt mit der Kindergrundsicherung als zentralem, sozialpolitischen Reformprojekt an den Start gehen", sagte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann dazu der Nachrichtenagentur AFP. "Denn wir brauchen eine Familienförderung, die alle Familien und Kinder auch erreicht", hob sie hervor.
"Eine Gesellschaft, die nicht genug in ihre Kinder investiert, verspielt ihre Zukunft", warnte SPD-Chefin Saskia Esken in der "Rheinischen Post". Mit der Kindergrundsicherung knüpfen wir ein Sicherheitsnetz für alle Kinder, Jugendliche und jungen Erwachsenen und ihre Familien", erklärte die Grünen-Bildungspolitikerin Nina Stahr.
Auf die rasche Einführung der Kindergrundsicherung drängte auch DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. "Kinderarmut muss verhindert werden, weil sie ausgrenzt, den Weg zu schulischen und beruflichen Erfolgen verstellt und im schlimmsten Fall sehr einsam macht", erklärte die Gewerkschafterin.
Versöhnliche Töne im regierungsinternen Ringen um die Kindergrundsicherung kamen aus der FDP. Deren Einführung "hat für die FDP-Fraktion eine hohe Priorität", versicherte der FDP-Familienpolitiker Matthias Seestern-Pauly in der "Augsburger Allgemeinen". Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte nach der Vorstellung des Konzepts von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) für die Kindergrundsicherung zuvor Bedenken hinsichtlich der Finanzierbarkeit geäußert.