Die fünf Polizisten werden verdächtigt, den 29-jährigen Nichols vor knapp drei Wochen bei einer Verkehrskontrolle zu Tode geprügelt zu haben. Ihnen wird unter anderem Mord zweiten Grades, schwere Körperverletzung und Kidnapping zur Last gelegt. Mord zweiten Grades ist im Bundesstaat Tennessee, in dem Memphis liegt, eine Zwischenstufe zwischen Mord und Totschlag. Kidnapping bezieht sich in diesem Fall auf das illegale Festhalten eines Menschen.
Der Tod von Tyre Nichols sorgt in den USA schon seit Tagen für Empörung. Der 29-Jährige war am Abend des 7. Januar wegen des Vorwurfs der gefährlichen Fahrweise mit seinem Auto gestoppt worden. Laut einer Mitteilung der Polizei kam es zu einer "Konfrontation", und Nichols flüchtete zu Fuß. Als die Polizisten ihn nach einer Verfolgungsjagd stellten, soll es zu einer weiteren "Konfrontation" gekommen sein. Weil Nichols dann über Atemschwierigkeiten geklagt habe, sei ein Rettungswagen gerufen worden.
Der Schwarze wurde schwer verletzt in ein Krankenhaus gebracht und starb dort drei Tage später. Eine von der Familie in Auftrag gegebene Autopsie kam zu dem Schluss, dass Nichols massive Blutungen infolge "starker Prügel" erlitten hatt.
Nichols Mutter RowVaughn Wells sagte dem Fernsehsender CNN unter Tränen, die Polizisten hätten ihren Sohn "zu Brei geschlagen". Sie fragte: "Wo war die Menschlichkeit?" Weinend beschrieb sie den Zustand ihres Sohns im Krankenhaus: "Sein Kopf war geschwollen wie eine Wassermelone. Sein Hals war durch die Schwellungen zum Bersten gespannt. Sie haben ihm das Genick gebrochen."
Die Polizeichefin von Memphis, Cerelyn Davis, äußerte sich in einem Online-Video entsetzt über den Tod des 29-Jährigen. Das Vorgehen der Polizisten sei "abscheulich" und "unmenschlich" gewesen. "Das ist nicht nur ein professionelles Versagen. Das ist ein Versagen grundlegender Menschlichkeit."
Videoaufnahmen von dem Vorfall sollten aus Gründen der Transparenz am Freitagabend gegen 18.00 Uhr (Ortszeit, 01.00 Samstag MEZ) veröffentlicht werden. Der Leiter der Ermittlungsbehörden in Tennessee, David Rausch, sagte zu den Aufnahmen, diese seien "absolut entsetzlich". Polizeichefin Davis vermutete, dass die Bilder die Menschen "schockieren" würden. Die Behörden befürchteten, dass es zu gewaltsamen Protesten kommen könnte.
Präsident Biden rief am Donnerstag zur Ruhe auf und erklärte: "Während Amerika trauert, das Justizministerium seine Ermittlungen führt und die staatlichen Behörden ihre Arbeit fortsetzen, schließe ich mich dem Aufruf von Tyres Familie an, dass die Proteste friedlich sein müssen." Wut sei verständlich, aber Gewalt niemals akzeptabel, fügte er hinzu.
Die genauen Umstände der mutmaßlichen Tötung von Nichols waren noch unklar. Das Video wurde zunächst nur den Angehörigen und ihren Anwälten gezeigt. "Es handelt sich um eine dreiminütige, ununterbrochene Prügelattacke auf diesen jungen Mann", sagte Antonio Romanucci, einer der Anwälte. Die Anklage gegen die Polizisten gebe ihnen "Hoffnung, während wir weiterhin Gerechtigkeit für Tyre fordern", sagten die Anwälte.
In den USA sorgt tödliche Polizeigewalt gegen Schwarze immer wieder für Entsetzen und Empörung. Meist - wenn auch nicht bei Tyre Nichols - sind weiße Polizisten die Täter, wie im Fall des im Mai 2020 in Minneapolis bei einer Festnahme getöteten George Floyd.