"Die Nichteinhaltung der Lieferverträge hat keine technischen Gründe", sagte Scholz. Mit dem Fehlen dieser Turbine, die in Kanada gewartet worden war, hatte der russische Energiekonzern Gazprom die Reduzierung der Gaslieferungen auf inzwischen nur noch 20 Prozent des möglichen Umfangs begründet.
Die Turbine "kann jederzeit eingebaut und eingesetzt werden", betonte jedoch Scholz. "Es muss nur jemand sagen, ich will sie haben." Was von russischer Seite dagegen vorgebracht werde, sei "nicht auf einer Faktenbasis nachvollziehbar". Zudem gebe es auch abgesehen von Nord Stream 1 Kapazitäten, Gas über Pipelines durch Belarus oder die Ukraine zu liefern.
Auch der Vorstandschef von Siemens Energy, Christian Bruch, stellte anlässlich des Besuchs von Scholz mit Blick auf die Reduzierung der Gaslieferungen klar: "Technisch können wir es aus unserer Sicht nicht nachvollziehen." Was die Turbine angehe, so fehle für deren Lieferung nach Russland lediglich eine Anforderung durch Gazprom. Alle Zollpapiere seien vorbereitet.
Auch sei die in Mülheim auf ihren Weitertransport wartende Turbine nur eine von mehreren dieser Geräte, sagte Bruch weiter. In Russland gebe es "sechs solcher Turbinen plus zwei kleinere". Für die vollständige Auslastung von Nord Stream 1 seien fünf Turbinen nötig. Derzeit laufe nur eine davon - "deswegen sind wir bei 20 Prozent" Auslastung der Pipeline, sagte der Siemens-Energy-Chef.
Russland hatte die Gasliefermengen zunächst auf 40 Prozent der üblichen Menge verringert, dann auf nur noch 20 Prozent. Die Bundesregierung hatte dies zuvor bereits als politische Maßnahme vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine bezeichnet.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow verwies hingegen auf bürokratische Hürden wegen der westlichen Sanktionen. Gazprom als Eigentümer der Turbine benötige "ein Dokument, das bestätigt, dass es sich nicht um ein von den Sanktionen betroffenes Gut handelt" sowie Papiere zum technischen Zustand der Turbine. "Im Moment haben wir diese Papiere nicht", sagte Peskow.
Zudem sei eine weitere Turbine wegen technischer Probleme außer Betrieb genommen, sagte Peskow weiter. "Gazprom wartet auf die Reparateure." Siemens scheine es damit aber nicht eilig zu haben.
Der Kreml-Sprecher verwies des Weiteren auf die nicht in Betrieb genommene neue Pipeline Nord Stream 2. Präsident Wladimir Putin habe erst kürzlich betont, dass es "technisch möglich" sei, Lieferungen über diese Leitung zu tätigen; sie sei "jederzeit bereit zur Nutzung".
Das deckt sich mit der Empfehlung von Altkanzler Gerhard Schröder: In einem Interview mit dem "Stern" und dem Sender RTL/ntv hatte er die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 als "einfachste Lösung" der Gasprobleme Deutschlands bezeichnet. Schröder, der als Verwaltungschef der Betreiberfirma der neuen Gasleitung fungiert, war vergangene Woche in Moskau gewesen und hatte dort nach eigenen Angaben auch Putin getroffen.