Die Staatsanwaltschaft in Brüssel nannte keine Namen, erklärte aber am Sonntag, vier Inhaftierten werde "Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Korruption" vorgeworfen.
Am Freitag waren in Brüssel Kaili und fünf weitere Beschuldigte festgenommen worden, darunter Kailis im EU-Parlament tätiger Lebensgefährte und der ehemalige EU-Abgeordnete Pier Antonio Panzeri, beide italienische Staatsbürger.
Nach der Durchsuchung in der Brüsseler Wohnung Kailis am Freitag wurde am Samstagabend auch die des belgischen Europaabgeordneten Marc Tarabella durchsucht, der wie Kaili Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion ist. Tarabella ist stellvertretender Vorsitzender der parlamentarischen Delegation für die Beziehungen zur arabischen Halbinsel. Ihm werden keine Straftaten zur Last gelegt.
Laut Brüsseler Staatsanwaltschaft besteht der Verdacht, dass Katar mit beträchtlichen Geldsummen und Geschenken versucht hat, Entscheidungen des EU-Parlaments zu beeinflussen. Am Sonntag wurde für vier Verdächtige Untersuchungshaft angeordnet, darunter nach Angaben aus Justizkreisen auch Kaili. Zwei weitere Festgenommene wurden wieder freigelassen.
Den Justizkreisen zufolge konnte Kaili ihrer Festnahme trotz parlamentarischer Immunität nicht entgehen, da sie auf frischer Tat ertappt wurde. Demnach fand die belgische Polizei bei Kaili am Freitagabend mehrere "Säcke mit Bargeld" vor. Über diesen Umstand hatten zuvor mehrere Medien berichtet.
Bei den Razzien beschlagnahmte die Polizei laut belgischer Bundesstaatsanwaltschaft rund 600.000 Euro in bar sowie Datenträger und Mobiltelefone. Eine Regierungsquelle in Rom bestätigte, dass auch Panzeris Frau und Tochter festgenommen worden seien.
Laut Brüsseler Staatsanwaltschaft steht ein "Golfstaat" im Verdacht, mit beträchtlichen Geldsummen und Geschenken "wirtschaftliche und politische Entscheidungen des europäischen Parlaments zu beeinflussen". Mit den Ermittlungen vertraute Kreisen bestätigten AFP Medienberichte, wonach es sich bei dem Staat um Katar handele.
Ein katarischer Regierungsbeamter sagte auf AFP-Anfrage, seinem Land seien "keine Details über eine Untersuchung bekannt". Jegliche "Behauptung eines Fehlverhaltens des Staates Katar" sei unzutreffend.
Am Samstagabend entzog EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola Kaili "mit sofortiger Wirkung alle Befugnisse, Pflichten und Aufgaben" als eine ihrer 14 Stellvertreter. Eine vollständige Absetzung der griechischen Politikerin als Vize-Parlamentspräsidentin erfordert ein Votum des Europaparlaments. Darüber will Metsola am Montag in Straßburg am Rande der ersten Plenarsitzung seit Bekanntwerden des Skandals mit den Fraktionschefs sprechen.
Kailis sozialistische Pasok-Partei hatte die 44-jährige frühere Fernsehmoderatorin bereits am Freitag ausgeschlossen. Am Samstag setzte die sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament Kailis Mitgliedschaft aus. EU-Vizeparlamentspräsidentin Katarina Barley (SPD) lobte die schnelle Reaktion von Kailis Partei und Fraktion. "Wir tolerieren keine Korruption. Korruption ist Gift für die Demokratie", sagte sie in der ARD.
Die Grünen-Fraktion im Europaparlament forderte eine umfassende Untersuchung der Korruptionsvorwürfe. "Wir müssen unsere Regeln verschärfen, damit so etwas nicht noch einmal passieren kann", erklärte die Fraktion. Grüne, Linksfraktion und die Sozialdemokraten wollen nun die Verhandlungen über Visa-Erleichterungen für Katarer aufschieben, die eigentlich am Montag formell beginnen sollten.
Ein Parlamentssprecher bestätigte AFP derweil, dass eine für Ende Dezember geplante Katar-Reise von Europaabgeordneten "wegen der derzeitigen Umstände" abgesagt werde.
Kaili hatte unlängst im EU-Parlament die Fußballweltmeisterschaft in Katar als "Beweis" angeführt, "wie Sportdiplomatie zu einer historischen Transformation eines Landes führen kann, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben". Katar sei "führend bei den Arbeitsrechten". Kurz vor der Rede hatte sich Kaili in Katar mit dem katarischen Arbeitsminister Ali bin Samikh Al Marri getroffen.
Das Golfemirat steht wegen der Menschenrechtslage im Land und wegen seines Umgangs mit Gastarbeitern auf den WM-Baustellen seit Jahren massiv in der Kritik. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen kamen in den vergangenen Jahren tausende Arbeiter in Katar ums Leben.