Unter den Toten in Dschenin ist nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums eine ältere Frau, 20 weitere Menschen seien verletzt worden. Eine so hohe Opferzahl bei einem einzigen israelischen Einsatz im Westjordanland hat die UNO seit Beginn ihrer Zählungen im Jahr 2005 noch nicht festgehalten.
Die israelische Armee sprach mit Blick auf Dschenin von einer "Anti-Terrorismus-Operation". Die Palästinenser warfen der Armee vor, absichtlich Tränengas in die Kinderstation eines Krankenhauses geschossen zu haben, die israelische Armee bestritt dies.
Ein weiterer Palästinenser wurde später nach palästinensischen Angaben im zwischen Jerusalem und Ramallah gelegenen al-Ram erschossen. Der offiziellen palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa zufolge wurde der Mann während Protesten gegen die Razzia in Dschenin getötet.
Mit den Todesopfern von Donnerstag stieg die Zahl der in diesem Jahr bislang getöteten Palästinenser im Westjordanland auf 30. Die meisten von ihnen wurden bei Auseinandersetzungen mit der israelischen Armee erschossen.
Die Palästinenserbehörde setzte ihre Sicherheitszusammenarbeit mit Israel aus und begründete dies mit der Razzia in Dschenin. Angesichts "wiederholter Angriffe auf unser Volk" und der "Verletzungen unterzeichneter Abkommen insbesondere im Sicherheitsbereich" betrachte seine Behörde die Zusammenarbeit mit der "israelischen Besatzungsregierung" als beendet, erklärte das Büro von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.
Die US-Regierung drückte ihr Bedauern über die Entscheidung aus. Es sei vielmehr wichtig, dass beide Seiten "die Sicherheitskoordinierung beibehalten und, wenn möglich, sogar noch vertiefen", erklärte Barbara Leaf, US-Chefdiplomatin für den Nahen Osten. Kommende Woche besucht US-Außenminister Antony Blinken Israel und die Palästinensergebiete. Unter anderem sind Treffen mit dem seit Januar wieder amtierenden israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu und Palästinenserpräsident Abbas geplant.
Die israelische Armee widersprach am Donnerstag palästinensischen Vorwürfen zu ihrem Einsatz in Dschenin. "Niemand hat absichtlich Tränengas auf ein Krankenhaus geschossen", sagte ein Sprecher der Nachrichtenagentur AFP. "Aber die Operation war nicht weit vom Krankenhaus entfernt und es ist möglich, dass etwas Tränengas durch ein offenes Fenster hineingelangte."
Die palästinensische Gesundheitsministerin Mai al-Kaila hatte zuvor mitgeteilt, "Besatzungstruppen" hätten ein Krankenhaus in Dschenin "gestürmt und absichtlich Tränengas auf die Kinderabteilung des Krankenhauses abgefeuert". Sie sagte auch, israelische Streitkräfte hätten Rettungswagen daran gehindert, die Verletzten zu erreichen.
Der Chef des Krankenhauses in Dschenin, Wisam Bakr, sprach zwar von israelischen Schüssen nahe seiner Klinik - jedoch nicht davon, dass gezielt auf das Krankenhaus gefeuert worden wäre.
Die israelische Armee sprach von einer "Anti-Terrorismus-Operation zur Festnahme einer Terrorgruppe des Islamischen Dschihads", die ein Attentat in Israel geplant habe. Bei dem Einsatz seien Soldaten unter Beschuss geraten und hätten ihrerseits mehrere Kämpfer erschossen. Israelische Soldaten seien nicht verletzt worden.
Ein AFP-Fotograf sah vor Ort junge Palästinenser, die Steine auf israelische Militärfahrzeuge warfen, bevor die Soldaten aus Dschenin abzogen. Das Flüchtlingslager aus dem Jahr 1953 ist eine Stadt in der Stadt, in der nach Angaben des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) 20.000 Menschen leben.
Die palästinensische Regierung rief eine dreitägige Staatstrauer aus. Tausende kamen am frühen Nachmittag zu den Beerdigungen in Dschenin. Die sterblichen Überreste der neun Todesopfer waren in palästinensischen Flaggen eingehüllt.
Die Arabische Liga forderte internationales Handeln und verurteilte das "blutige Massaker" unter "den direkten Befehlen" der Regierung Netanjahu. Die den Gazastreifen kontrollierende radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas erklärte, Israel werde "den Preis für das Massaker von Dschenin zahlen".
Das vergangene Jahr war laut UNO im Westjordanland das Jahr mit den meisten Todesopfern seit dem Ende der Zweiten Intifada, dem Palästinenser-Aufstand von 2000 bis 2005. Der UN-Gesandte für den Nahen Osten, Tor Wennesland, erklärte, er sei "zutiefst beunruhigt und traurig über die kontinuierliche Spirale der Gewalt im besetzten Westjordanland".