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Der Fall Murat Kurnaz Regierung gesteht Kontakt zwischen KSK und Kurnaz

Die Bundesregierung hat zugegeben, dass deutsche Soldaten der Eliteeinheit KSK in Afghanistan Kontakt mit dem entführten Murat Kurnaz hatten. Geschlagen hätten diese den Deutschtürken jedoch nicht, hieß es. Die Grünen geißelten die Informationspolitik der Regierung.
Von Florian Güßgen, Stefan Braun und Oliver Schröm

Christian Schmidt hatte am Mittwochvormittag eine undankbare Aufgabe. Tagelang hatte das Verteidigungsministerium dementiert und sich in Schweigen gehüllt: Jetzt musste der CSU-Abgeordnete und Staatssekretär im Verteidigungsausschuss des Bundestag eine unbequeme Tatsache eingestehen. Ja, gab Schmidt nach Angaben von Teilnehmern im Saal 2700 des Paul-Löbe-Hauses in geheimer Sitzung zu: Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) hatten im Januar 2002 in Afghanistan Kontakt mit dem von Amerikanern entführten Deutschtürken Murat Kurnaz. Das habe eine Befragung von KSK-Soldaten ergeben. Aber, nein, versicherte Schmidt gleichzeitig, die Deutschen hätten Kurnaz nicht geschlagen.

"Du warst wohl auf der falschen Seite"

In einem Interview mit dem stern hatte Kurnaz vor rund zwei Wochen von Misshandlungen berichtet. Es habe sich lediglich um verbale Kontakte gehandelt, sagte Schmidt nun, nicht um körperliche. Nach Informationen von stern.de waren die KSK-Einheiten zu diesem Zeitpunkt an der Bewachung eines US-Gefängnisses in Kandahar beteiligt. Am Mittag bestätigte auch Thomas Raabe, Sprecher des Verteidigungsministeriums, dass "deutsche Soldaten" Kurnaz in dem Lager in Afghanistan getroffen hätten. Details nannte er nicht. Viele Soldaten vor Ort hätten gewusst, dass sich in dem Lager ein deutschsprachiger Häftling befunden hätte. Ein Gespräch zwischen den deutschen Soldaten und Kurnaz habe es nach bisherigen Erkenntnissen jedoch nicht gegeben. "Du warst wohl auf der falschen Seite", habe ein Soldat Kurnaz nach seinen Informationen lediglich zugerufen, sagte Raabe. Auch dass die Deutschen das US-Lager immer mal wieder bewacht haben, bestätigte Raabe. Genaue Angaben über die Dauer dieser Einsätze könne er aber nicht machen, sagte er.

Von Pakistan über Afghanistan nach Guantanamo

Der mittlerweile 24-jährige Kurnaz war im November 2001 in Pakistan gefangen genommen worden. Nach einem Zwischenaufenthalt in Afghanistan wurde er über viereinhalb Jahre unschuldig im US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba inhaftiert. Erst Ende August 2006 überstellten die Amerikaner den gebürtigen Bremer nach Deutschland und ließen ihn frei. Gegenüber der ehemaligen rot-grünen Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder stehen zwei zentrale Vorwürfe im Raum: Erstens soll es schon 2002 ein Angebot der US-Regierung gegeben haben, Kurnaz frei zu lassen - das Berlin seinerzeit angeblich ablehnte. Zweitens behauptet Kurnaz nun, von KSK-Soldaten in Afghanistan misshandelt worden zu sein. Dabei wirft allein die Tatsache, dass deutsche Stellen offenbar schon Anfang 2002 von Kurnaz' Entführung wussten, eine Reihe von Fragen auf.

Keine Entscheidung über Untersuchungsausschuss

Nach der Sitzung des Verteidigungsausschusses am Mittwoch hieß es, es sei vorerst noch keine Entscheidung darüber gefallen, ob der Ausschuss sich zu einem Untersuchungs-Ausschuss erklären werde. Dazu hat das Gremium bei allen Angelegenheiten das Recht, die die Bundeswehr betreffen. Man wolle jedoch den Vorwürfen im Fall Kurnaz zügig auf den Grund gehen, hieß es. Mit der Verstrickung deutscher Geheimdienste in den möglicherweise völkerrechtswidrigen Antiterrorkampf der USA befasst sich bereit der BND-Untersuchungsausschuss. Dieser konzentriert sich auf die Fälle des Deutschlibanesen Khaled el Masri und den Fall Kurnaz. Am Mittwoch war darüber spekuliert worden, ob der Verteidigungsausschuss nun einen "Sonderausschuss Kurnaz" etabliere. Dieser würde geheim tagen. Oppositionspolitiker wie der FDP-Abgeordnete Max Stadler und Grünen-Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele sagten, der BND-Ausschuss behalte sich in jedem Fall das Recht vor, sich auch mit dem Verhalten der Bundesregierung im Fall Kurnaz in Afghanistan zu befassen.

Was wusste Berlin?

Schmidts Zwischenbericht an das geheim tagende Bundestags-Gremium erfolgte, nachdem das Verteidigungsministerium in den vergangenen Tagen 69 KSK-Soldaten schriftlich befragt hatte, die noch im Dienst der Bundeswehr sind. Von diesen antworteten nach Auskunft des Sprechers des Verteidigungsministeriums 60. Außerdem sei bei 23 Ex-Soldaten angefragt worden, von denen allerdings nur einer geantwortet habe. Ein zweiter sei mittlerweile eines natürlichen Todes gestorben. Nach Informationen von stern.de haben zwei der KSK-Soldaten eingeräumt, dass ihnen im US-Gefängnis im afghanischen Kandahar der gebürtige Bremer von Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte vorgeführt wurde. Das Eingeständnis der Regierung wirft nach Einschätzung des FDP-Abgeordneten Max Stadler weitere Fragen über den KSK-Einsatz auf. Zum einen müsse der Vorwurf der Misshandlungen geklärt werden, sagte Stadler. Zum anderen müsse jedoch auch geklärt werden, wer in der Regierung davon gewusst habe, dass ein Deutscher in Afghanistan von US-Streitkräften inhaftiert worden sei. Und wichtig sei auch die Frage, was die Bundesregierung mit dieser Information angefangen habe. Zwar habe Kurnaz nicht die deutsche, sondern die türkische Staatsbürgerschaft, aber die Regierung in Berlin hätte trotzdem informiert sein müssen.

Kritik an Ex-Minister Rudolf Scharping

Hinsichtlich der politischen Verantwortung wurde nach der Sitzung auch von Politikern der großen Koalition indirekte Kritik am damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping geäußert. Der SPD-Politiker war über die Details des KSK-Einsatzes in Afghanistan und die Begegnung der Soldaten mit Kurnaz von seinem militärischen Stab offenbar nicht unterrichtet worden. "Im Jahr 2002 sind bestimmte militärische Informationen nicht weiter gegeben worden und haben die politische Ebene nicht erreicht", sagte Bernd Siebert, der verteidigungspolitische Sprecher derCDU-Fraktion. "Die Brisanz ist offenbar nicht erkannt worden." SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold war nach der Sitzung folgende Frage auf: "Gab es eine Phase, in der der politischen Führung die Kontrolle der Streitkräfte entglitten ist?" Der Informationsstrang, so Arnold, sei "irgendwo hängen geblieben" und habe die Ministeriumsspitze nicht erreicht. Beide Koalitionspolitiker nahmen Scharpings Nachfolger Peter Struck, heute SPD-Fraktionschef, und Franz Josef Jung in Schutz. Ströbele sagte, Scharping müsse in jedem Fall die politische Verantwortung übernehmen. Wenn er nicht informiert worden sei, habe er sein Haus nicht im Griff gehabt. Ministeriumssprecher Raabe gab am Mittwoch einen Überblick über den Informationsfluss Anfang 2002. Es habe als Teil einer normalen Tagesmeldung einen Hinweis an das Einsatzführungskommando zu der Begegnung mit Kurnaz gegeben. Dieses habe den Hinweis an den Führungsstab der Streitkräfte weiter geleitet. Dort aber sei die Information verblieben und nach bisherigen Erkenntnissen nicht an die politische Spitze weiter gegeben worden.

Die KSK sollte Terroristen jagen

Siebert und Arnold sagten übereinstimmend, dass der Einsatz der KSK-Einheit vom Bundeswehr-Mandat des Bundestags für die Antiterror-Operation "Enduring Freedom" unter Führung der USA gedeckt gewesen. Die KSK-Einheiten hätten den Auftrag gehabt, Terroristen zu jagen und gefangen zu nehmen, sagte Arnold. Die Deutschen hätten nicht wissen können, dass die Amerikaner in den entsprechenden Gefängnissen auch Menschen grundlos inhaftiert hätten. "Wir sind der Auffassung: wenn man fest nehmen darf, darf man auch bewachen", sagte Ministeriumssprecher Raabe.

"Das ist Tarnen und Täuschen"

Grünen-Vizefraktionschef Ströbele kritisierte die bisherige Informationspolitik der Bundesregierung: "Das ist Tarnen und Täuschen" sagte Ströbele stern.de. "Und mir reicht das langsam." Deshalb wolle er beantragen, dass der BND-Untersuchungsausschuss Kurnaz bereits in der nächsten Sitzung des Gremiums am 9. November befragen könne. "Wenn ich die Erklärungen von Scharping bis Jung bewerte - Jung hat noch vor zwei Tagen gesagt, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass das richtig sei, was Kurnaz mehrfach gesagt hat - dann war das einfach nicht richtig. Die Bundesregierung dementiert mit klaren und geschickten Äußerungen alles. Das stinkt zum Himmel." Winfried Nachtwei, verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, sagte im Anschluss an die Sitzung des Verteidigungsausschusses, dass es bisher einen Vertrauensvorschuss gegenüber dem Militär gegeben habe. Diesem, deutete er an, sei die militärische Führung nicht vollends gerecht geworden. Deshalb müsse man über neue Formen der Ausübung der Kontrollrechte des Parlaments über die Bundeswehr nachdenken.

Florian Güßgen, Stefan Braun und Oliver Schröm

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