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Deutsche Olympia-Mannschaft Wenn Profisportler um Geld bangen

Kurz vor Ende der Olympiade erfuhren deutsche Athleten von Medaillenvorgaben. Viele müssen fürchten, dass ihre Förderung gekürzt wird. "Da wäre unfair", heißt es bei den erfolglosen Schwimmern.
Von Niklas Schenck

Als hätten sie genug von seinem Text: Dreimal in kurzer Folge ließen die Kapitäne der MS Deutschland und ihrer Begleitschiffe in voller Lautstärke ihre Signalhorne tönen, gerade als der NDR-Moderator Alexander Bommes eine kleine Expertenrunde auf seinem Podium begrüßen wollte - live auf Sendung. "Auch die Schwimmer wollen wir natürlich heute feiern", sagte Bommes kurz darauf und musste noch einmal ansetzen, "selbst wenn sie nicht so erfolgreich waren". Wie gnädig.

Die Sportler an Deck der MS Deutschland, nach 36 Stunden Überfahrt in Hamburg von rund zehntausend Fans mit Tröten und Transparenten empfangen, nahmen solche Tiefschläge regungslos zur Kenntnis. Die Erwartungen an deutsche Sportler, das haben sie in London erfahren, sind immer hoch. Zugleich liegt es nicht in der Macht der Athleten, wer sich nachher das Recht herausnimmt, von ihnen enttäuscht zu sein - egal ob ein Sportler nun seine eigenen Ziele nicht erreicht oder die, die ihm andere vorsetzen.

Allgemeine Verwunderung

"Wir Schwimmer standen ja besonders in der Kritik, weil wir angeblich versagt haben", sagt Markus Deibler, der im Finale über 200 Meter Lagen gegen Michael Phelps antrat und Achter wurde. "Dabei hatten wir hier mehr persönliche Bestleistungen und mehr Finalplätze als in Peking vor vier Jahren." 2008 rettete Britta Steffen mit zwei Goldmedaillen die Bilanz des deutschen Schwimmverbandes. "Dabei sehe ich in dem Ergebnis von London viel mehr Zukunft angelegt als in dem von Peking", sagt Deibler. "Da wäre es unfair, wenn uns jetzt Zuschüsse gekürzt werden, nur weil die Medaillen fehlen. Denn über die entscheiden ein Stück weit auch Glück und Pech."

Ob Verbände fürchten müssen, dass ihnen die Mittel gestrichen werden, wenn sie ihre Medaillenvorgaben nicht erreichen, das ist bisher unklar. Klar ist inzwischen nur, wie viele Medaillen der deutsche olympische Sportbund (DOSB) von jedem Verband erwartet. Denn am vergangenen Freitag hatte ein Gericht das Bundesinnenministerium gezwungen, die bis dahin geheimen Medaillenziele für deutsche Athleten öffentlich zu machen. Viele Athleten haben da zum ersten Mal von diesen so genannten Zielvereinbarungen erfahren – und reagierten verwundert. So hätten die Schwimmer in London je zwei Gold-, zwei Silber- und zwei Bronzemedaillen gewinnen müssen. "Klar, wir haben unsere Zielvereinbarung nicht erfüllt", sagt Markus Deibler. "Aber ich hoffe, dass sich ein paar schlaue Leute das Ergebnis genau anschauen und verstehen, dass wir weiter gefördert werden müssen."

"Unrealistisch hohe Anforderungen"

Leichter fällt der Blick in die Zukunft denen, die ausreichend Medaillen holten. Der Judoka Dimitri Peters etwa gewann Bronze. Dabei weiß er, wie leicht er auch ohne Medaille hätte dastehen können, bei gleicher Leistung – etwa, wenn er früh im Turnier auf den späteren Olympiasieger getroffen wäre. "Ich finde, Sportler müssen auch gefördert werden, wenn es nicht klappt mit einer Medaille – da gehört so viel Glück dazu, das wäre Unsinn, einem Verband ohne Medaille zu sagen, wir drehen euch jetzt den Hahn zu." Nur die Judoka, die Leichtathleten und die Tischtennis-Spieler erfüllten in London ihre mit dem DOSB ausgehandelte Zielvereinbarung.

Für viele Verbände, das zeigte sich nach Veröffentlichung der Medaillenziele schnell, waren unrealistisch hohe Anforderungen festgelegt worden. Wenigstens während der Spiele scheint das aber den Druck auf die Sportler nicht erhöht zu haben. "Als ich zum ersten Mal gehört habe, dass wir Kanuten drei Mal Gold holen müssen und neun Medaillen, da habe ich schon geschluckt", sagt die Kajakfahrerin Franziska Weber. Doch das war lange vor Olympia. Die Vorgaben seien aber nie auf einzelne Athleten heruntergebrochen worden, sagt Weber, die erst im Viererkajak Silber gewann und dann im Zweier mit Tina Dietze Gold nachlegte. Darüber ist Dietze auch froh. "Unsere Trainer wissen, dass es sich mit negativem Druck nicht gut fährt."

Miriam Welte gewann Gold im Bahnrad-Teamsprint und findet, die Zielvereinbarungen gehen Athleten nichts an. "Wir bekommen vom Verband keinen Druck, also beschäftigen wir uns damit überhaupt nicht. Wir setzen uns selbst stärker unter Druck als das von außen kommt." Florian Fuchs, Hamburger Hockeyspieler und ebenfalls mit Gold geschmückt, hat es auch so erlebt. "Wenn es da Druck geben sollte, dann wird der von der Mannschaft auf jeden Fall ferngehalten." Ihn schützt offenbar auch der Erfolg seiner Mannschaft, denn am weniger erfolgreichen Frauenteam ging die Diskussion nicht ganz so spurlos vorüber. "Wir müssen nicht für den DOSB oder irgendwen sonst Gold holen", sagt die Nationalspielerin Janne Müller-Wieland. "Aber als klar war, dass wir das Halbfinale verpassen, hat man uns schon gesagt, dass wir jetzt trotzdem eine gute Platzierung brauchen, weil wir auch um die zukünftige Förderung für den Hockeyverband spielen." Auch hätten alle Spielerinnen gewusst, dass sie ihre eigene finanzielle Absicherung verspielt hätten. Für eine Goldmedaille hätte jede Spielerin 15.000 Euro bekommen, ausgezahlt als Sporthilfe über die nächsten Jahre.

Keine Lust auf Gespräche

Ein Medaillengewinner von London findet, die deutsche Sportförderung stellt die Athleten zu wenig in den Vordergrund. Namentlich zitiert werden wollte er aber nicht, denn er fürchtet, das könnte seiner weiteren Karriere schaden. Öffentlich Stellung beziehen zur Geheimniskrämerei in der deutschen Sportförderung können nur frühere Sportler, wie die Kanutin Birgit Fischer, erfolgreichste deutsche Olympionikin überhaupt. "Dass man sich Ziele setzt, ist doch ganz normal", sagt sie. "Aber dann sollte man die auch öffentlich machen."

Markus Deibler sorgt sich, dass der Schwimmverband Einschnitte bei der Förderung hinnehmen muss. Auf der Kreuzfahrt mit der MS Deutschland wären Gespräche mit dem DOSB-Präsidenten Thomas Bach oder dem Generaldirektor Michael Vesper möglich gewesen, aber er hat sie nicht gesucht, aus verständlichen Gründen. "Ich habe seit der Abfahrt in London nur gefeiert und geschlafen, gefeiert, geschlafen und gefeiert."

Hier geht es zum zugehörigen Blog-Eintrag im Investigativ-Ressort des stern.

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