Die Struktur der abgeschotteten Familiendiktatur der Kims begünstigt Machtmissbrauch auf allen Ebenen. Frauen sind die größten Verliererinnen in einem katastrophal gescheiterten Staatsexperiment.
Er kündigte nicht an, was er vorhatte. Er zog einfach seine Hose runter, drückte sie nieder und vergewaltigte sie. Yoon Soo Ryun, ihr Name wurde zu ihrem Schutz geändert, wehrte sich nicht, weinte nicht, bettelte nicht um Gnade. Sie wusste, dass sie gegen den Polizeibeamten keine Chance hatte. Er war eine Autorität, der verlängerte Arm der Regierung, Herr über ihr Leben. Er konnte sie für Tage einsperren. Sie zur Zwangsarbeit in eine der Fabriken stecken, wo sie bis zum Zusammenbruch schuften würde. Oder ihr irgendetwas anhängen, sodass sie in einem der Straflager verschwinden würde, aus denen die Leute als Gespenster zurückkehrten oder gar nicht. Yoon Soo Ryun dachte an ihre kleine Tochter, die alleine zuhause geblieben war. Sie musste zurück zu ihrem Kind, koste es, was es wolle. Als der Beamte sie am nächsten Tag tatsächlich laufen ließ, "da war ich nicht etwa traurig", sagt sie. "Ich war im Gegenteil davon überzeugt, großes Glück gehabt zu haben."
Als Kim Il-sung im Jahr 1948 die Demokratische Volksrepublik Korea ausrief, erklärte er das Ziel, "die Frauen gesellschaftlich zu befreien und Geschlechtergleichheit zu erlangen" – als Teil seiner "anti-imperialistischen und anti-feudalen demokratischen Revolution". Frauenrechte als Gegenpart zu den verteufelten Wertesystemen der "Anderen".
Die Realität ist heute eine andere. Der Bericht von Yoon Soo Ryun, die gemeinsam mit ihrem Kind aus Nordkorea flüchten konnte, wird im neuen Report der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" zitiert – einem ernüchternden Zeugnis über die tatsächlichen Lebensumstände von Frauen in Nordkorea. Übergriffe, Belästigungen, Gewaltakte ziehen sich durch jeden Lebensbereich; von den Marktplätzen im ländlichen Raum, wo Händlerinnen ihre Schutz- und Schmiergelder in "Gefälligkeiten" zahlen müssen, über die Straßen, auf denen Polizisten sich Mädchen aussuchen und filzen, bis sie etwas gefunden haben, das eine Mitnahme auf die Wache rechtfertigt, bis hin zum grauenhaften Gefängnis- und Lagersystem, in dem Frauen als Freiwild gelten. Die Hälfte der nach ihrer Flucht befragten Menschen gibt an, dass sexuelle Gewalt und Belästigung in Nordkorea allgegenwärtig ist. "Du nimmst es hin als etwas Normales", sagt eine geflüchtete Frau. "Und dann musst du nachts weinen und weißt nicht, warum."
Staatsdoktrin: Lügen und Leugnen
Dass Menschen eine Machtposition zu ihrem persönlichen Vorteil nutzen, ist freilich keine nordkoreanische Eigenheit. Der Blick auf das dystopische Privatreich des Kim-Clans lässt jedoch besonders deutlich erkennen, welche Faktoren strukturelle sexuelle Gewalt gegen Frauen fördern – beginnend mit dem Leugnen des Problems an sich.
Von den Vorwürfen, wie "Human Rights Watch" sie erhebt, will die nordkoreanische Regierung nämlich nichts wissen. Im vergangenen Jahr teilte eine Vertreterin der Regierung dem Komitee der Vereinten Nationen zur Eliminierung der Diskriminierung von Frauen (CEDAW) mit, dass in ganz Nordkorea weniger als zehn Männer pro Jahr wegen Vergewaltigung verurteilt würden. Diese lächerlichen Zahlen präsentierte sie als Beweis dafür, dass so etwas vielleicht ein Problem des Westens sei, nicht aber in ihrem Land. Tatsächlich deuten die offiziellen Zahlen (so diese überhaupt stimmen) auf ein Komplettversagen des staatlichen Instrumentariums zur Anzeige und Ahndung sexueller Gewalt hin.
Nordkorea ist ein männlich dominierter Staat. Nur 20 Prozent der Abgeordneten und knapp ein Zehntel der Richter und Rechtsanwälte sind Frauen. Es gibt keine Vorgaben für Untersuchungen und Betreuungsmaßnahmen für Vergewaltigungsopfer, ja nicht einmal einen Begriff für "häusliche Gewalt" – die Menschen behelfen sich mit "Männer, die ihre Frauen schlagen". Als die CEDAW-Abordnung die nordkoreanische Delegation zum Thema Gewalt in der Ehe befragte, erkundigte deren Leiterin sich, was "marital rape" – Vergewaltigung in der Ehe – denn eigentlich bedeute.
Wo kein Verbrechen erkannt wird, gibt es kein Schuldbewusstsein. Wo kein Schuldbewusstsein besteht, entsteht Gewohnheit. Wo Gewohnheit herrscht, wird sexuelle Gewalt Alltag. Hinzu kommt, dass gerade in Gesellschaften, in denen sexuelle Gewalt verbreitet ist, Frauen dazu angehalten werden, sich zu schämen, wenn "es" ihnen "passiert" – eine Folge der Abwärtsspirale, die sich aus dem Zusammenwirken von Überlebenstechnik (Opfer) und Reglementierung (Umfeld) ergibt und die ganze Gesellschaften auf Dauer deformiert. In einem solchen System sind die Mauern des Schweigens besonders dick, und selbst in modernen, demokratischen Ländern gelingt das Aufbrechen dieser Strukturen nur unter Schmerzen.

Hunger verschließt das Herz
In Nordkorea kommt zur politischen Kontrolle und der strengen Hierarchie noch die wirtschaftliche Not dazu. Privatleute versuchen, sich mit Handel oder Schmuggel durchzuschlagen. Hunderttausende schlecht oder gar nicht bezahlte Staatsdiener setzen auf Schmier- und Schutzgelder – der Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International reiht Nordkorea auf den 171. von 180 Plätzen. Wo noch vor 25 Jahren eine von der Regierung verschuldete Hungersnot Hunderttausende dahinraffte und Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge immer noch rund 40 Prozent der Bevölkerung unterernährt sind, kommt es zwangsläufig zur Verrohung. Man schaut auf sich selbst, auf seinen eigenen Vorteil, den eigenen Magen, den es zu füllen gilt. In einem solchen Klima gibt es keinen Anspruch auf persönliche Unversehrtheit, ja nicht einmal auf Verständnis. Eine geflüchtete Frau berichtet: "Frauen hören dann, wie Männer zu ihnen sagen: Was willst du überhaupt? Dein Körper bedeutet doch Geld!"
"Human Rights Watch" zitiert in seinem Report einen ehemaligen hochrangigen Geheimpolizisten, der von regelmäßigen Partys mit Kollegen in einem Hotelzimmer berichtet. Erst habe man gemeinsam Filme angesehen, erzählt er, dann habe sich jeder eine Schauspielerin ausgesucht und die Hotelangestellten angewiesen, diese Frauen zu bringen. "Welche auch immer wir aussuchten, sie erschien innerhalb einer Stunde in unserem Hotelzimmer." Nachsatz: "Damals ging ich völlig selbstverständlich davon aus, dass sie sich freuten, von uns gerufen zu werden."
Auf dem Papier hat Nordkorea natürlich Strafen für Vergewaltigung oder sexuelle Gewalt gegenüber Untergebenen. Doch die Realität ist immer noch vom konfuzianischen, patriarchalen Gesellschaftsbild geprägt und wird durch das streng hierarchische Staatssystem noch verstärkt. Frauen werden öffentlich angehalten, in erster Linie "harmonische Familien" zu unterhalten und "herausragend in der Erziehung der Kinder" zu sein. Die Stellung der Frau ist niedriger als die des Mannes, ihr Ruf untrennbar mit ihrer "Keuschheit" und der Bereitschaft, männlichen Familienmitgliedern zu gehorchen, verknüpft – daran haben auch drei Generationen von Kims nichts geändert. "Als Nordkoreanerin", sagen geflohene Frauen, "hast du heute nur zwei Möglichkeiten, der Gefahr sexueller Übergriffe durch Fremde zu entkommen: Du wirst als Tochter eines mächtigen Mannes geboren – oder du heiratest einen."
Und so ist "Platons Utopie vom perfekten Staat", wie die Schriftstellerin Luise Rinser die kleptokratische Familiendiktatur der Kims nach einem Besuch Nordkoreas 1981 naiv besang, am Ende genau das geworden, worauf der Staatsgründer 1948 empört mit dem Finger zeigte: eine rückständige, frauenfeindliche Unrechtsherrschaft weniger Privilegierter – kurz: ein System, wie wir es im kapitalistischen Westen hinter uns gelassen haben.
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