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Flugzeugabsturz Vater von Germanwings-Opfer: "Ich wache mit dem Gedanken an die Katastrophe auf"

Ein Gedenkstein nahe Le Vernet erinnert an die Opfer des Germanwings-Absturzes
Ein Gedenkstein erinnert nahe der Absturzstelle bei Le Vernet an die Opfer. Die Trauer wird die Angehörigen ein Leben lang begleiten.
© © Peter Kneffel/DPA
Klaus Radner verlor beim Germanwings-Flugzeugabsturz vor zwei Jahren seine Angehörigen. Er hört nicht auf, nach den wirklich Verantwortlichen zu fragen.

Vor zwei Jahren, am 24. März 2015, steuerte der an Depressionen erkrankte Copilot Andreas Lubitz eine Germanwings-Maschine auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf gegen einen Berg in den französischen Alpen. 150 Menschen starben, unter ihnen die Opernsängerin Maria Radner mit ihrer Familie. Die Sängerin hatte in Barcelona ein Engagement gehabt, war mit Sohn und Lebensgefährte auf dem Heimweg. Seit dem Absturz kämpft ihr Vater Klaus Radner darum, Antworten zu bekommen auf die Frage, wie es zu der Katastrophe kommen konnte.

Herr Radner, Sie haben Ihre Tochter Maria, Ihren 18 Monate alten Enkel Felix und Ihren Schwiegersohn Sascha bei dem Absturz verloren. "Der Schmerz, den man mir zugefügt hat, ist nicht auszuhalten", sagten Sie in einem früheren Gespräch mit dem stern. Wie leben Sie heute mit dieser Katastrophe?

Eine Psychotherapie hilft mir. Ich habe auch Medikamente genommen, die ich inzwischen abgesetzt habe. Nun muss ich jeden Tag daran arbeiten, auszuhalten, dass meine Kinder nicht mehr da sind. Ich wache mit dem Gedanken an die Katastrophe auf und schlafe mit ihm ein. Wie lange ich das durchhalte, weiß ich nicht.

Was quält Sie besonders?

Jeden Tag male ich mir aus, wie es wäre, wenn die Kinder noch am Leben wären. Meine Tochter hätte in Bayreuth gesungen. Das war immer ihr Traum gewesen. Sie wäre inzwischen bestimmt noch mal Mutter geworden. Wir hätten noch ein Enkelkind. Felix wäre jetzt vielleicht im Kindergarten. Maria und Sascha hätten das Haus fertig renoviert, das sie kurz vorher gekauft hatten. Als wir nach der Katastrophe zu ihrem Haus fuhren, standen da noch die Sandsäcke für die Auffahrt.

Die Eltern von Andreas Lubitz haben kürzlich bezweifelt, dass ihr Sohn die Maschine absichtlich gegen den Berg gesteuert hat. Sie glauben an einen Unfall. Was haben Sie empfunden, als Sie das gehört haben?

Ich war fassungslos. Die schlimmste Katastrophe meines Lebens war der Tod der Kinder. Das Zweitschlimmste war, erfahren zu müssen, dass der Pilot das Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht hat. Danach habe ich Fotos von seinem Grab gesehen. Seine Eltern haben eine Berglandschaft in den Stein meißeln lassen – wahrscheinlich ein Bild von der Absturzstelle. Das war für mich eine Provokation. Genau wie der Text der Todesanzeige, in dem die Eltern ein Jahr nach dem Absturz schrieben, sie hätten einen "wertvollen Menschen" verloren. Kein Wort, dass ihnen die Opfer leidtun. Und nun behaupten sie, ihr Sohn sei unschuldig, es sei ein Unfall gewesen. Ich frage mich, was wollen die Eltern den Angehörigen noch zumuten? Warum sind sie nicht einfach still?

Was glauben Sie, warum die Eltern so etwas behaupten?

Die Eltern wollen offenbar nicht wahrhaben, was ihr Sohn getan hat. Die Äußerung ist möglicherweise der Versuch, die Tat theoretisch zu bewältigen. Vielleicht sind sie auch dem schlechten Rat eines Therapeuten gefolgt. Ich weiß es nicht.

Sie wollten immer mit den Eltern von Andreas Lubitz reden, um zu erfahren, was für ein Mensch er war. Möchten Sie das noch?

Da bin ich mir nicht mehr so sicher. Wahrscheinlich würde so ein Gespräch doch nichts bringen.

Sie haben die Eltern des Piloten und seine Ärzte angezeigt. Warum?

Alle wussten, dass er depressiv war. Alle wussten, dass er Pilot war. Niemand hat versucht, ihn davon abzuhalten, ein Flugzeug zu steuern. Die Ärzte verschrieben ihm sogar Medikamente, die das Suizidrisiko erhöhen. Aber die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat alle Verfahren eingestellt. Die Frage, warum dieser Psychopath im Cockpit saß, ist für mich bis heute unbeantwortet. Ich denke deshalb über ein Klageerzwingungsverfahren nach. Ich will Antworten.

Welche Fragen sind für Sie beispielsweise noch offen?

Am Tag des Absturzes wartete die Freundin gemeinsam mit den Eltern in der Düsseldorfer Wohnung auf die Rückkehr von Andreas Lubitz. Warum warteten alle drei ausgerechnet an diesem Tag auf ihn? Der Vater arbeitet in der Schweiz, ist die Woche über dort. Wollten sie mit ihm reden? Ahnten sie, dass eine Katastrophe bevorstand? Als Lubitz nicht kam, fuhren alle drei nach Montabaur. Die Freundin packte in Lubitz’ Zimmer eine Tasche mit Sachen, darunter Krankenunterlagen. Warum? Sollten Beweismittel beiseitegeschafft werden?

Hat die Staatsanwaltschaft das nicht ermittelt?

Ich habe der Kripo diese Fragen gestellt. Und nie eine Antwort erhalten. Eltern und Freundin haben von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.

Sie haben 10.000 Seiten Ermittlungsakten gelesen und sich alle Fotos angesehen. Wie haben Sie das ausgehalten?

Ich habe versucht, die Emotion abzuschalten und die Akten so zu lesen, als stünde ich neben mir. Aber es war ein kaum auszuhaltender Kraftakt. Doch ich bin es meinen Kindern schuldig. Deshalb habe ich das auf mich genommen.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr hat den Angehörigen versprochen, die finanziellen Schäden unbürokratisch zu regeln. Hat er Wort gehalten?

Nein, jede kleinste Rechnung wurde hinterfragt, Beträge wurden gestrichen.

Was wurde nicht bezahlt?

Meine Tochter, die ja Opernsängerin war, war bei einer Agentur unter Vertrag, die ihr noch Auftritte für Gagen von rund 170.000 Euro vermittelt hatte. Doch dann starb Maria bei dem Absturz. Trotzdem bestand die Agentur auf die Provision von 17.000 Euro, die wir dann auch bezahlen mussten, weil die Lufthansa sich weigerte. Auch ihr Haus mussten wir verkaufen. Meine Tochter und ihr Lebensgefährte hatten für den Hauskauf einen Kredit aufgenommen. Da das Darlehen nach ihrem Tod nicht mehr bedient, sondern durch den Hausverkauf abgelöst wurde, verlangte die Bank Vorfälligkeitszinsen von 15.000 Euro. Auch die mussten wir selbst bezahlen, weil die Lufthansa darin keinen direkten Schaden des Absturzes sah.

Pilot Andreas Lubitz war psychisch krank. Hilft Ihnen das eigentlich?

Nein. Das ist auch keine Entschuldigung. Dieser Mann gehörte nicht ins Cockpit.

Lubitz flog mit Sondergenehmigung, weil er depressiv war.

Das war meiner Meinung nach rechtswidrig. Aber auch hier sehe ich keinen Willen zur Aufklärung. Wir haben 14 Beweisanträge an die Staatsanwaltschaft gestellt, die lapidar abgebügelt worden sind mit der Formulierung: Es gibt zu weiteren Maßnahmen keinen Anlass. Ich hätte von der Staatsanwaltschaft mehr Engagement erwartet. Ich habe ans Verkehrsministerium und ans Justizministerium geschrieben und keine Antwort bekommen. Ich war bei Politikern, bin im Landtag von Nordrhein-Westfalen empfangen worden. Alle sind nett, aber dann hört man nichts mehr.

In wenigen Tagen jährt sich der Absturz zum zweiten Mal. Was machen Sie an diesem Tag?

Meine Frau und ich werden an die Absturzstelle nach Le Vernet fliegen. Es wird das zweite Mal sein, das wir dort sind. Das erste Mal waren wir zwei Tage nach dem Absturz in Le Vernet. Aber es ist ja nicht nur der Todestag. Am 7. Mai hätte Maria Geburtstag gehabt. Sie wäre 36 Jahre alt geworden. Früher haben wir gefeiert. Jetzt treffen wir uns mit der Familie am Grab. Auch wenn Felix Geburtstag hat, stehen meine Frau und ich nun an seinem Grab. Und wenn Sascha Geburtstag hat, treffe ich mich mit seinen Freunden. Die Katastrophe begleitet uns durchs Jahr. Sie ist immer allgegenwärtig.

Inzwischen müssen stets zwei Leute im Cockpit sein. Es gibt Drogen- und Alkoholkontrollen für Piloten.

Ja, man fliegt heute vielleicht ein bisschen sicherer. Aber solange depressive Piloten fliegen dürfen, wenn sie Psychopharmaka genommen haben und trotzdem als dienstfähig gelten, könnte sich so eine Katastrophe jederzeit wiederholen, fürchte ich.

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