Die Zahl der Insekten sinkt rapide. Die Konsequenzen sind dramatisch. stern-Redakteurin Nicole Heißmann sucht Antworten auf das Insektensterben beim "Tag der Insekten".
Umdenken in der Landwirtschaft Warum das Insektensterben für uns Menschen dramatisch ist – und was dagegen getan wird

Nicole Heißmann: Hier im Berliner Naturkundemuseum treffen sich heute beim "Tag der Insekten" Wissenschaftler und Vertreter der Wirtschaft mit besorgten und interessieren Bürgern. Es geht um die Frage: Warum sterben die Insekten aus? Warum gehen weltweit Biomasse und Artenzahl der kleinen Tiere zurück? Was der Einzelne dafür tun kann, dass Insekten ein zu Hause finden oder der Rückgang gebremst werden kann und was die Verantwortung der Industrie und der Unternehmen dabei ist, darauf will der "Tag der Insekten" heute Antworten finden.
Aber warum sterben die Insekten überhaupt aus? Die Ursachen liegen in der Zerstörung von Lebensräumen und dem Einsatz von Pestiziden.
Prof. Dave Goulson: Insbesondere für Insekten haben wir die meisten der blumenreichen Habitate verloren. In Europa Heuwiesen und so weiter. Jenseits von Europa holzen wir immer noch Regenwälder ab.
Das ist einer der größten Faktoren. Und darauf bezieht sich auch die Art, wie wir Landwirtschaft betreiben, denn der Großteil des gewonnenen Landes wird zu Ackerboden. Aber die moderne industrielle Monokultur-Landwirtschaft macht das Land unbewohnbar für jede Lebensform außer dem Anbauprodukt.
Eine wesentliche Rolle spielt auch die Anzahl von Pestiziden. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass das Trommelfeuer von Insektiziden und anderen Chemikalien, wie Fungiziden, die wir auf das Ackerland sprühen, ein weiterer Grund für den Rückgang der Insekten ist.
Die Insekten selber werden entweder direkt vergiftet oder ihre Fresspflanzen werden von Unkrautvernichtungsmitteln getötet.
Das größte Problem liegt also in der Industrie. Was muss sich hier ändern, um das Ruder noch herumzureißen?
Prof. Dave Goulson: Das jetzige System mit großen Feldern und Monokulturen ist unfassbar schädlich für die Umwelt. Nicht nur für Insekten.
Ich finde es unfassbar, dass wir an einem System festhalten, welches nicht zukunftsfähig ist.
Es gibt Alternativen des Anbaus: Wir könnten auf organische Landwirtschaft umstellen, also aufhören Pestizide zu nutzen. Die Erträge sind ein bisschen niedriger, aber wenn wir effizienter im Umgang mit Essen wären, wenn wir nicht ein Drittel des Anbaus wegschmeißen würden, wenn wir uns nicht überfressen würden, was zu einer Epidemie von Fettleibigkeit und Diabetes führt, wenn wir nicht so viel Fleisch konsumieren würden, könnten wir leicht mit den etwas geringeren Erträgen umgehen.
Johannes Vogel: Wie können die Businessmodelle geändert werden, wie kann Insektenschutz Teil des Funktionieren des Unternehmen werden, sodass man Sachen, die man vielleicht achtlos bisher macht, wobei viele Insekten zu Schaden kommen, einfach weglässt. Oder wie man sogar positiv auf Insektenvielfalt einwirken kann.
Neben einem Umdenken auf globaler Ebene können auch kleine Ideen eine große Veränderung bewirken. So wie in der Firma von Hans Dietrich Reckhaus. Fünfzehn Jahre lang vertreibt er insektizidhaltige Produkte. Nun hat er seine Unternehmensstrategie komplett geändert.
Dr. Hans Dietrich Reckhaus: Wir denken nicht mehr in der Insektentötung, wir denken nur noch in der Insektenrettung.
Reckhaus setzt sich für Dachbegrünungen auf Firmengeländen ein. Er hat das Label "Insect Respect" für insektizidfreie Produkte ins Leben gerufen.
Dr. Hans Dietrich Reckhaus: Wir ermitteln wie viele und welche Insekten die Produkte töten. Also auf der einen Seite die Biomasse, die der Natur entzogen wird, und auf der anderen Seite legen wir insektenfreundliche Lebensräume an. Wir geben also der Biomasse, die im Vorfeld entzogen ist, einen neuen Lebensraum.
Die Dachbegrünungen sichern den Artenschutz und die Biodiversität. Sie kompensieren auch die Menge an Insekten, die beispielsweise durch Klebefallen-Fliegenfänger stirbt.
Dr. Hans Dietrich Reckhaus: Also Fliegenfänger sind Produkte die wirklich viele Fliegen fangen. Jetzt muss ich ein bisschen rechnen. Wenn wir 200qm insektenparadies bauen, dann kompensiert das ungefähr eine Menge von 50 000 Fliegenfängern pro Jahr.
Reckhaus gestaltet die Grünflächen so, dass nicht nur fliegende Insekten Schutz finden.
Dr. Hans Dietrich Reckhaus: Dachbegrünungen sind ja nicht drei oder fünf Zentimeter Substrat, sondern wir fangen an bei zwölf Zentimetern. Und wir haben Anhügelungen drin. Wir gehen bis zu 30 Zentimetern. Die meisten Insekten sind im Boden, die sieht man gar nicht. Auf den Flächen sind mindestens fünfzig verschiedene Blühpflanzen und Kräuter und Holzhaufen und Steinhaufen.
Das Monitoring von unabhängigen entomologischen Vereinen beweist, dass sogar bedrohte Tierarten hier ein neues zu Hause finden.
Doch was kann jeder Einzelne tun?
Prof. Settele: Letztlich das Bewusstsein dafür, dass Insekten wichtig sind, ist Voraussetzung überhaupt, was dafür zu machen. Der Einzelne kann natürlich in seinem konkreten Umfeld was machen, in seinem Garten zum Beispiel. Oder er kann sich auch bewusster machen, wie er mit seinem Konsumverhalten umgeht. Letztlich ist das Konsumverhalten ja auch ein ganz wichtiger Faktor auf die Nutzung der Landschaft und damit auch auf die Kulturen, die angebaut werden. Auch das, was wir letztlich an Landschaft verbrauchen. Sprich: mehr nicht-tierische Ernährung ist letztendlich für die Insekten auch ein wichtiger Punkt, um Artenvielfalt in landwirtschaftlichen Systemen zu erhalten.
Das Berliner Naturkundemuseum handelt bereits. Es digitalisiert seine Insektensammlung. Sie soll im Netz frei zugänglich werden und so jeden auf unsere kleinen Nachbarn und ihren Rückgang aufmerksam machen.
Johannes Vogel: Insekten sind wunderschön. Manchmal braucht man ein bisschen Vergrößerung, manchmal braucht man Tiefenschärfe. Und genau das haben unsere Fotografen und Ingenieure entwickelt. Wir werden die unheimliche Ästhetik dieser Insekten zeigen und damit schaffen wir eine emotionale Nähe zu Insekten, die es vielleicht bisher noch nicht so gibt.
Eine emotionale Bindung zur Schönheit von Insekten könnte helfen, dass wir Bienen, Schmetterlinge, Käfer besser schätzen lernen und so die Dringlichkeit begreifen, sie zu schützen anstatt sie auszurotten.