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Coronakrise Coronavirus im Iran: Das Vertrauen in die Krisenkommunikation ist nahe Null

Desinfektion am Schrein der Heiligen Massume im Wallfahrtsort Qom. Trotz des Virus bleibt die heilige Stätte vorerst geöffnet
Desinfektion am Schrein der Heiligen Massume im Wallfahrtsort Qom. Trotz des Virus bleibt die heilige Stätte vorerst geöffnet
© Mehdi Marizad / AFP
Neben China ist Iran zum zweitgrößten Infektionsherd der Corona-Krise geworden. Das Gesundheitssystem ist mit der Situation überfordert, hochrangige Repräsentanten der Islamischen Republik sind selbst erkrankt. Die Lage scheint desolat.

Ein klassischer Pilger, dieses Virus", so beginnt ein bitterböser Corona-Witz, der gerade in Iran der Runde macht. "Erst geht es in die heilige Stadt Qom, zum Beten. Dann reist es an die Strände am Kaspischen Meer, zur Erholung. Jetzt ist es in Teheran angekommen, zum Shopping." Mit solch schwarzem Humor kommentieren viele Bürger der Islamischen Republik die desolate Lage ihres Landes, das neben China zum zweitgrößten Infektionsherd der Corona-Krise geworden ist.

Viel mehr als Ironie und das Vertrauen auf das eigene Immunsystem bleibt ihnen nicht im Abwehrkampf gegen das Virus. Das Gesundheitssystem ist mit der Situation offenbar überfordert. Es fehlt an Test-Kits genauso wie an Atemmasken für das Klinik-Personal. Noch verheerender: Das Vertrauen in die Krisenkommunikation der Regierung ist nahe Null.

Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Nach diesem Motto verschwieg die Führung in Teheran die Ausbreitung des Virus zunächst. Und redete die Krise anschließend klein. Nicht zuletzt, weil die Parlamentswahl am vergangenen Freitag zum Debakel zu werden drohte. Schon im Vorfeld hatten viele Iraner sich entschlossen, den Urnengang zu boykottieren, weil nach Ausschluss Tausender liberaler Kandidaten ein Sieg der Hardliner ohnehin absehbar schien. Die Staatsführung fürchtete offenbar, die Angst vor einer Ansteckung mit Corona könnte die Wahlbeteiligung ins Bodenlose fallen lassen, was einer Blamage für das System gleichgekommen wäre. Und ließ das Volk im Ungewissen. Inzwischen scheint klar: Ohne die geringe Wahlbeteiligung von nur 42 Prozent wäre die Situation im Land wohl noch verheerender.

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Am Fall des stellvertretenden Gesundheitsministers Iradsch Harirschi wird die verzweifelte Vertuschungsstrategie der iranischen Führung besonders deutlich. Noch am Montag redete der Leiter des staatlichen Corona-Komitees auf einer gemeinsamen Pressekonferenz Meldungen über Dutzende Todesfälle in der Wallfahrtsstadt südlich der Hauptstadt Teheran herunter und erklärte: "Quarantäne ist eine Maßnahme aus der Steinzeit." Dabei wischte Harirschi sich ständig den Schweiß von der Stirn. Wenige Stunden später wurde er bei einem Live-Auftritt im Fernsehen von einer Hustenattacke geschüttelt. Tags darauf kam heraus: Harirschi war selbst infiziert. In einer bizarren Video-Botschaft auf Twitter teilte der stellvertretende Minister kurz darauf mit, er sei nun zu Hause isoliert und habe Fieber. "Wir werden das Virus besiegen."

Religionsstreit verhinderte offenbar Eindämmung des Virus'

Offenbar hat auch der seit Jahren schwelende Streit zwischen religiösen Hardlinern und Reformern dazu beigetragen, eine frühzeitige Eindämmung des Virus in Iran zu verhindern. So hatte die Regierung von Präsident Rohani schon Anfang Februar beschlossen, sämtliche Flugverbindungen nach China – infolge der westlichen Sanktionen heute Irans wichtigster Handelspartner – zu kappen. Doch nach einer Intervention des chinesischen Botschafters in Teheran flog die private Airline "Mahan", die im Besitz einer religiösen Stiftung ist, weiter chinesische Städte an. 55 Mahan-Flüge von und nach China haben iranische Journalisten für die drei Wochen vor dem 23. Februar dokumentiert. Anfang der Woche übergab Chinas Botschaft in Teheran 250.000 Atemschutzmasken, als solidarische Spende für die befreundete Nation in Not.

Auch im Wallfahrtsort Qom, den in den vergangenen Wochen neben einheimischen Gläubigen auch Zehntausende schiitische Pilger aus Afghanistan, Pakistan, Tadschikistan und anderen Ländern der Region besucht haben, stoßen bei der Frage, wie dem Virus zu begegnen sei, die Weltanschauungen aufeinander. Eine Schließung des dortigen Schreins der Heiligen Massume konnte der Krisenstab der Regierung gegen den Widerstand der Schreinverwaltung offenbar nicht vollständig durchsetzen. Auf der Hardliner-Website "Dschamaran" etwa hieß es, der Schrein sei "ein Haus der Heilung" für psychische und körperliche Gebrechen. "Darum sollte er geöffnet bleiben und man sollte die Menschen ermutigen, hierher zu kommen." Viele Pilger küssen während des Gebets die Marmor-Wände des Heiligtums und die geschmiedete Außeneinfassung des Grabmals. Ein prominenter Geistlicher aus Qom vermutete, Donald Trump habe das Virus in die heilige Stadt bringen lassen, "um deren die Kultur und Ehre zu beschädigen."

Bis heute ist der Schrein von Qom nicht geschlossen. Genauso wenig das noch stärker frequentierte Grabmal des Imam Reza in Irans zweitgrößter Stadt Maschhad nahe der Grenze zu Afghanistan. Die Zahl der Pilger sei aber stark gesunken, ist aus Qom zu hören. Ein lokaler Parlamentsabgeordneter hatte schon vor Tagen von mehr als 50 Corona-Toten in der Stadt gesprochen und der Regierung vorgeworfen, sie belüge die Menschen über das Ausmaß der Krise. Offiziellen Angaben zufolge sind bis heute 34 von 388 Corona-Infizierten in Iran gestorben. Das entspräche einer kaum plausiblen Mortalität von rund 10 Prozent. Ein Forscher-Team aus Kanada geht davon aus, dass über 18.000 Menschen im Land infiziert sind. Vorsichtig geschätzt. 

Die Nachbarländer Türkei, Iran und Afghanistan haben die Landgrenzen zu Iran geschlossen und fast alle Flugverbindungen eingestellt. Doch die Ausbreitung des Virus über die Grenzen Irans hinaus ist womöglich nicht mehr zu stoppen. Im Libanon, in Kuwait, Afghanistan und sogar im fernen Kanada ist in den vergangenen Tagen das Virus bei Menschen nachgewiesen worden, die kürzlich in Iran gewesen waren. Aus Sorge vor einer weiteren Ausbreitung hat Saudi-Arabien heute Pilger-Visa für die heiligen Stätten in Mekka und Medina annulliert, auch Touristen aus Ländern mit dokumentierten Corona-Fällen dürfen nicht mehr ins Land. Die Regierung der kurdischen Regionalregierung im Nord-Irak hat sämtliche Schulen geschlossen und die Feierlichkeiten zum großen Nowruz-Fest im März vorsorglich abgesagt. Weil viele Menschen aus Angst vor einer Ansteckung aus den Städten aufs Land ausweichen, bildeten sich in der Kurden-Hauptstadt Arbil lange Schlangen vor den Tankstellen.

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Was passieren könnte, wenn das Virus die großen Flüchtlingslager im Nord-Irak, Syrien oder Jordanien erreicht, wo Hunderttausende durch Kälte und Mangelversorgung geschwächte Menschen ausharren, mag sich niemand ausmalen.

Unterdessen hat auch die Regierung in Teheran reagiert. Die großen Freitagsgebete in Teheran und Isfahan sind für diese Woche abgesagt – erstmals in 41 Jahren seit der Islamischen Revolution. Weitere Offizielle sind erkrankt, darunter die stellvertretende Familienministerin und der mächtige Vorsitzende des Parlaments-Komitees für Auswärtige Beziehungen. Schulen und Universitäten im Land sind geschlossen, sollen aber ab Samstag wieder öffnen. Bis dahin, so Präsident Rohani noch gestern, habe man die Lage im Griff. Worauf er diese Hoffnung stützt, verriet er nicht. Viele Eltern in Iran sind schon jetzt entschlossen, ihre Kinder für längere Zeit nicht zum Unterricht zu schicken.

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