Die Menschen in Dänemark sind am Mittwoch in einer Volksabstimmung aufgerufen, an die Wahlurnen zu gehen und sich zu entscheiden: Soll Dänemark seinen Vorbehalt bei der EU-Verteidigungspolitik abschaffen? Knapp 4,3 Millionen stimmberechtigte Däninnen und Dänen können seit 8 Uhr mit Ja oder Nein stimmen. Hintergrund ist der russische Einmarsch in die Ukraine vor gut drei Monaten.
Die EU-Sonderregelung bedeutet, dass sich Dänemark zwar an zivilen, nicht aber an militärischen EU-Missionen und auch nicht an der gemeinsamen Entwicklung etwa von Waffensystemen beteiligen kann. Das Land ist zum Beispiel nicht bei der Kooperationsplattform Pesco dabei, über die gemeinsame Militärprojekte von EU-Staaten organisiert werden.
Umfragen deuten auf Ja zur Abschaffung hin
Umfragen deuten darauf hin, dass eine Mehrheit der Bürger den Vorbehalt abschaffen will. In der letzten Befragung vor der Wahl im Auftrag des Rundfunksenders DR sprachen sich 44 Prozent für eine Abschaffung der Sonderregelung aus. 28 Prozent waren dagegen. Die Zahlen zeigen allerdings auch, dass bis kurz vor dem Abstimmungstag viele Menschen noch unentschlossen waren oder keine Angaben machen wollten. Es ist daher noch nicht sicher, ob Dänemark sich für mehr EU-Engagement entscheidet. Außerdem wird mit einer niedrigen Beteiligung gerechnet. Um zehn Uhr meldete die Nachrichtenagentur Ritzau, das schon jede:r sechste Wähler:in abgestimmt hat.
Eine weitere Umfrage des Fernsehsenders TV2 zeigt allerdings ein deutlicheres Ergebnis: Demnach wollen mehr als 65 Prozent derjenigen, die eine Entscheidung gefällt haben, für die Abschaffung des Verteidigungsvorbehaltes stimmen – knapp 35 Prozent dagegen. 19 Prozent waren laut Umfrage aber noch unschlüssig.
Bis 20 Uhr sind Abstimmungslokale geöffnet. Fernsehsender wollen im Anschluss erste Prognosen veröffentlichen. Mit einem vorläufigen Ergebnis wird am späten Abend gerechnet.
Vom Kalten Krieg bis zur russischen Invasion der Ukraine: die Chronik der Nato

Zehn westeuropäische Länder, die USA und Kanada gründen in Washington die Nato, um der Bedrohung durch die Sowjetunion zu begegnen. Sie verpflichten sich zum gegenseitigen Beistand im Falle eines Angriffs ("Bündnisfall"). Nach und nach wird die Allianz in den folgenden Jahren erweitert. Im Foto: die Vertreter der beteiligten Länder während der feierlichen Unterzeichnungszeremonie am 4. April 1949 in Washington D.C.
Rechtspopulisten und Linke für Beibehaltung des Vorbehalts
Wenn es nach der Stimmung im Folketing, dem dänischen Parlament, ginge, dann wäre der EU-Vorbehalt mit Sicherheit abgeschafft: 11 von 14 der dänischen Parteien – einschließlich der regierenden Sozialdemokraten von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen – haben sich für eine Abschaffung des Vorbehalts ausgesprochen.
Für die Beibehaltung des Verteidigungsvorbehaltes sind die beiden rechtspopulistischen Parteien Nye Borgerlige und Dansk Folkeparti sowie die links-alternative Enhedsliste. Alle drei Parteien halten es für keine gute Idee, an EU-Missionen in Afrika teilzunehmen. "Wenn ich mir die Liste dieser Missionen ansehe, mache ich mir wirklich Sorgen. Sie hinterlassen blutige Spuren, und ich glaube nicht, dass wir der Sicherheit der Dänen oder der Menschen in Mosambik oder Mali dienen, wenn wir mit Schießpulver und Kugeln dorthin gehen", sagte etwa Mai Villadsen von der Enhedsliste am Dienstag in einer Fernsehdebatte.
Außerdem argumentiert die Nein-Seite, dass eine Teilnahme an der EU-Verteidigungspolitik eine Schwächung der Nato bedeute. "Wenn man Soldaten in EU-Einsätze schickt, werden diese aus dem Nato-Beitrag rausgenommen", argumentierte Morten Messerschmidt, Chef der Dansk Folkeparti.

Vorbehalt schon mehr als 30 Mal aktiviert
Die Befürworter der Abschaffung des Verteidigungsvorbehaltes sagen, dass die neue Sicherheitssituation in Europa eine Teilnahme an der EU-Verteidigungspolitik nötig mache. So argumentierte auch Ministerpräsidentin Frederiksen in der TV-Debatte. Am Mittwoch sagte sie bei der Stimmabgabe vor Journalist:innen: "Dieses Mal stimme ich wirklich mit dem Herzen, weil ich denke, dass dies das Richtige für Europa und für Dänemark in unserer Zukunft ist."
Ihre Mitstreiter:innen sind zudem für ein Ja zu Abschaffung, da dies ein Zusatz zur Nato sei – und diese nicht schwäche. Zudem könne man bei militärischer Ausrüstung besser zusammenarbeiten.
Laut dem Fernsehsender TV2 hat Dänemark seinen Vorbehalt bei Fragen der EU-Verteidigungs- und Sicherheitspolitik mindestens 31 Mal aktiviert. Dazu gehören die EU-Mission im Mittelmeer sowie Militär-Missionen in der Zentralafrikanischen Republik, in Libyen und Mali.
Dänemark hat mehrere Vorbehalte bei der EU
Dänemarks EU-Verteidigungsvorbehalt besteht seit 1993. Ein Jahr zuvor hatten die Däninnen und Dänen gegen den Vertrag von Maastricht gestimmt. Darauf hatte das skandinavische Land vier Sonderregelungen bei der EU-Zusammenarbeit ausgehandelt, um unter anderem in Verteidigungsfragen außen vor zu bleiben. Im zweiten Anlauf stimmte das dänische Volk dem Maastricht-Vertrag dann mehrheitlich zu.
Zu den weiteren Sonderregelungen, den sogenannten Opt-outs, gehören die Zusammenarbeit bei der Justiz, der Euro und die Unionsbürgerschaft. Der Vorbehalt bei der Justiz-Zusammenarbeit bedeutet unter anderem, dass Dänemark in den Bereichen Grenzkontrolle, Einwanderungspolitik, Zivilrecht, Strafrecht und Polizei nicht mit der EU zusammenarbeitet.
Sollte Dänemark bei der jetzigen Volksabstimmung mit Ja stimmen, wäre es das erste Mal, dass sich Dänemark in einer Volksabstimmung für einen Abschied von einer solchen Sonderregelung ausspricht. Im Jahr 2000 hatte der nördlichste deutsche Nachbar gegen den Euro und 2015 auch gegen die EU-Justizzusammenarbeit gestimmt.
Weitere Quellen: TV2, "Jyllands-Posten"