Nordkorea schießt weiter um sich. Die selbsterklärte Atommacht feuerte am Freitag eine Interkontinentalrakete (ICBM) "neuen Typs" ab, nach Pjöngjangs gewohnt schriller Propaganda wähnt sich das weithin isolierte Land damit in Besitz der "weltweit stärksten strategischen Waffe" und eines weiteren Mittels, um "auf totale Konfrontation mit uneingeschränkter Konfrontation" antworten zu können.
Der Test, der sich in die aggressive Waffenschau der vergangenen Wochen einreiht, wurde von Machthaber Kim Jong Un beaufsichtigt und sei erfolgreich gewesen. Die Streitkräfte hätten nun eine weiteres Mittel zur Hand, um "jede atomare Bedrohung abzuschrecken", wurde Kim zitiert.
Angesichts der pausenlosen Provokationen und des anhaltenden Dauerfeuers war die eigentliche Überraschung die Anwesenheit von Kims Tochter, die zuvor noch nie öffentlich gesehen wurde. Nicht einmal ihre Existenz hatte die nordkoreanische Seite bisher bestätigt.
Die staatliche Nachrichtenagentur KCNA veröffentlichte am Samstag eine bizarre Bilderserie, die den Diktator "zusammen mit seiner geliebten Tochter und Frau" im Rahmen des Raketentests zeigen sollen.

Das jugendlich wirkende Mädchen trug auf den Fotos eine weiße Winterjacke und rote Schuhe, eine Aufnahme zeigt sie und ihren Vater Hand in Hand vor dem Fahrzeug mit der Startvorrichtung, von der die "Monsterrakete" – wie der Marschflugkörper in südkoreanischen Medien bezeichnet wurde – abgeschossen werden sollte.

Angaben über das Alter oder den Namen des Mädchens blieb die Staatspropaganda schuldig. Das Land ist von der Außenwelt weithin abgeschottet, folglich fallen die Informationen über Nordkoreas Herrscherfamilie spärlich aus. Südkoreas Geheimdienste gehen allerdings davon aus, dass Kim und seine Frau Ri Sol Ju drei Kinder haben: einen Sohn, eine Tochter und ein weiteres Kind, dessen Geschlecht unbekannt ist.

Auch innerhalb Nordkoreas ist wenig über die Kim-Dynastie bekannt. Im November 2012 war Kim Jong Uns offenbar schwangere Frau zwar im Staatsfernsehen zu sehen, möglicherweise mit der nun präsentierten Tochter, darüber hinaus wurden jedoch keine offiziellen Informationen über das Mädchen bekannt.

Im Jahr 2013 sagte der ehemalige US-Basketballstar Dennis Rodman, der Kim als einen "Freund fürs Leben" bezeichnete, dass er seine Tochter – damals ein Baby – bei einem Besuch in Pjöngjang auf dem Arm gehalten habe. Seinerzeit sagte er in einem Interview mit dem britischen "Guardian", dass ihr Name Ju-ae sei.
Dass Kim seine Tochter nun im Rahmen einer Waffenschau der Weltöffentlichkeit präsentierte, und letztlich auch dem nordkoreanischen Volk, könnte Beobachtern zufolge daher als Botschaft nach innen wie außen angelegt sein, dass er den Ausbau des Nuklearprogramms als Generationenaufgabe betrachtet – und als Vermächtnis auch von Ju-ae verantwortet werden soll.
Nordkoreas Machthaber und sein "Vermächtnis"
"Das ist der erste öffentliche Anlass, bei dem wir Kim Jong Uns Tochter gesehen haben", zitierte Reuters den Nordkorea-Experten Michael Madden von der US-Denkfabrik Stimson Center. "Es ist von großer Bedeutung und zeugt von einem gewissen Grad an Selbstbewusstsein Kim Jong Uns, dass er sie auf diese Weise an die Öffentlichkeit bringt."
Jenny Town von 38 North, einer Forschungsinstitution in Washington, die sich mit Nordkorea befasst, liest aus dem Setting und den dazu veröffentlichten Bildern gewissermaßen eine langfristige Staffelübergabe. Es wirke so, als wolle Kim "ein Vermächtnis weitergeben", sagte sie der Nachrichtenagentur. "Diese Optik vermittelt das Gefühl, dass sie (die Tochter) jetzt auch ein Teil des Vermächtnisses ist."
Nordkorea werde seine Nuklearstreitkräfte "auf lange Sicht behalten", schlussfolgert Antik Panda, Nuklearexpertin bei der US-Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace, aus den Bildern. Sie betrachtet Kims Entscheidung, seine Tochter beim Raketenstart zu präsentieren, als möglichen Hinweis darauf, dass der Diktator sein Nuklearprogramm als Mehrgenerationenanstrengung ansehe, sagte sie zur "New York Times".
Kims eigener erster Auftritt in den nordkoreanischen Staatsmedien erfolgte 2010, kurz nachdem er zum Nachfolger seines Vaters Kim Jong Il ernannt worden war, der im darauf folgenden Jahr verstarb. Das erste offizielle Foto, das die Staatspropaganda seinerzeit veröffentlichte, zeigte Kim mit seinem Vater und einer Reihe hochrangiger Parteifunktionäre.
Nach Ansicht von Beobachtern sollten die Fotos auch seine Familienverbundenheit demonstrieren. Über interne Diskussionen in dem abgeschotteten Land über eine mögliche Nachfolge Kims ist jedoch nichts bekannt. Im vergangenen Jahr hatte Südkoreas Geheimdienst mitgeteilt, Kims jüngere und einflussreiche Schwester Kim Yo Jong sei mittlerweile anscheinend die "De-facto-Führerin Nummer zwei".
Kim, der nach südkoreanischen Angaben 38 Jahre alt ist, wurde nach dem Tod seines Vaters Kim Jong Il Ende 2011 zum "obersten Führer"der Streitkräfte, der Partei und des Staats ausgerufen. Die Kim-Dynastie ist bereits seit mehr als 70 Jahren in dem verarmten, aber hochgerüsteten Staat an der Macht.
Quellen: "The New York Times", Reuters, "The Guardian", CNN, Sky News, "Business Insider", Deutsche Welle, mit Material der Nachrichtenagentur DPA