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Gewalteskalation Proteste in Hongkong: Warum die Losung "ein Land - zwei Systeme" eine Farce ist

Molotowcocktail gegen die Polizei. An der Polytechnischen Universität Hongkong ist es erneut zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und den Sicherheitskräften gekommen
Molotowcocktail gegen die Polizei. An der Polytechnischen Universität Hongkong ist es erneut zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und den Sicherheitskräften gekommen
© Kyodo / DPA
Im Netz pesten Nationalisten gegen Demonstranten und 30 Kilometer entfernt von Hongkong marschieren bereits Soldaten auf. Angesichts der Proteste zeigt sich, dass die Regierung in Peking nicht mehr viel auf die Losung "Ein Land - zwei Systeme" gibt.
Von Philipp Mattheis, Hongkong

Im Konflikt um Hongkong ist kein Ende in Sicht. Die jüngste Entscheidung Pekings, die Aufhebung des Vermummungsverbots nicht anzuerkennen, dürfte noch mehr Öl ins Feuer gießen. Eingebracht hatte den Vorschlag zunächst Regierungschefin Carrie Lam, um mehr rechtliche Handhabe gegen die Demonstranten zu bekommen. Nun aber hat ein Gericht in Hongkong entschieden, das Vermummungsverbot sei verfassungswidrig - das wäre rund 300 Demonstranten zu Gute gekommen, die wegen eines Verstoßes dagegen angeklagt sind.

Peking pocht auf Deutungshoheit

"Chinas Verfassung und das Basic Law Hongkongs formen zusammen den verfassungsrechtlichen Boden Hongkongs", heißt es beim ständigen Ausschuss in Peking. "Ob Hongkongs Gesetzgebung mit dem Basic Law konsistent ist, kann nur vom Nationalen Volkskongress beurteilt und entschieden werden." Dass Peking dem Urteil widerspricht, macht deutlich, wie wenig der einstige Slogan "Ein Land - zwei Systeme" noch gilt. Autonomie innerhalb Chinas war den rund sieben Millionen Hongkongern 1997 bei der Rückgabe der einstigen britischen Kronkolonie an das Festland versprochen worden. 

Unterdessen hat die Gewalt zuletzt einen neuen Höhepunkt erreicht. Mehrere hundert Studenten hatten sich am Wochenende in der Polytechnischen Universität verschanzt. Sie waren mit Schleudern, Pfeil und Bogen und Molotow-Cocktails bewaffnet. Die Polizei reagierte mit Tränengasgranaten. Am Sonntag wurden dabei 38 Menschen verletzt. Ein Demonstrant traf einen Polizisten mit einem Pfeil ins Bein. Ein Polizei-Auto ging in Flammen auf. Die Polizei drohte daraufhin mit dem Einsatz von scharfen Schusswaffen, und blockierte die Ein- und Ausgänge zur Hochschule.

Xi fordert, Gewalt zu beenden

Am Montag versuchten mehrere tausend Studenten und Dozenten, den Eingeschlossenen zu Hilfe zu kommen. Inzwischen konnten unter deren Vermittlung rund 600 Demonstranten das Gelände verlassen, nachdem ihre Personalien aufgenommen wurden. Viele von ihnen sollen noch minderjährig gewesen sein. Noch etwa 100 harren aber weiter dort aus. 

Präsident Xi Jinping sprach davon, die "Gewalt unter allen Umständen zu beenden". Noch immer sind keine Soldaten der Volksbefreiungsarmee in Hongkong - zumindest nicht offiziell. Wie die "South China Morning Post" berichtet, waren unter den "Freiwilligen", die am Samstag die Straßen von den Protesten säuberten, verkleidete Spezialeinheiten der "Xuefeng Special Operations Brigade".

Im Festland ist man nach wie vor davon überzeugt, nur eine Politik der "harten Hand" helfe gegen die protestierenden Studenten in Hongkong. So titelte die "People's Daily", ein Sprachrohr der Kommunistischen Partei, es gebe "keinen Raum für einen Kompromiss mit den Demonstranten". Das Staatsfernsehen CCTV sprach von "Terroristen". "Hongkonger Bürger mit Gewissen haben längst erkannt, wie schlimm die Situation geworden ist. Dies ist ein Kampf von Gewalt gegen Gewaltfreiheit".

Eine Gefahr, die Proteste könnten auf das Festland überschwappen, droht nicht. Zwar gelten in Shenzhen, das keine 30 Kilometer entfernt von Hongkong liegt, verschärfte Sicherheitsregelungen. Das aber liegt eher an den dort aufmarschierten Soldaten und der Angst vor Terroranschlägen. 

Nationalisten geben den Ton im Netz an

Im zensierten chinesischen Internet geben Nationalisten den Ton an: So schreibt Userin "IVYYYY_Yueeee": Hongkong ist wie ein verwöhntes Kind, getäuscht von der Süße des Kapitalismus. Sie glauben, sie hätten einmal das gehabt, was sie glauben verdient zu haben."

Andere sind weitaus schärfer im Ton. "Sie sind so dumm wie verwöhnte Teenager in einer Familie", schreibt "Cybertron Fallen". "Wenn Du Unabhängigkeit willst, sprich nicht Kantonesisch, höre auf dieses Land besetzt zu halten und zieh woanders hin - zum Nordpol vielleicht?"

User "Salah's Fan" betont die Abhängigkeit der Insel vom Festland: "Hongkong hat keinen Deut Selbsterkenntnis. Es ist nicht Chinas Wirtschaft, die an Hongkong hängt, sondern umgekehrt. Es würde keinen Schaden anrichten, wenn wir Hongkong verlieren, aber man stelle sich nur vor, was Hongkong ohne das Festland täte. China ist nicht mehr das, was es vor 30 Jahren einmal war. Ich hoffe, dieser Abschaum von Jugend wird das noch einsehen."

Tatsächlich ist Hongkongs Bedeutung für China in den vergangenen Jahren kontinuierlich gefallen: Hatte das Bruttoinlandsprodukt der Insel 1993 noch fast ein Drittel der Wirtschaftsleistung des Festlands betragen, sind es heute nicht einmal mehr drei Prozent. Langfristig, so der Plan Pekings, soll Hongkong marginalisiert und zu einer von vielen Städten im Perflussdelta werden. Auch dagegen richtet sich der Protest vieler Studenten. Den Verlust kultureller und juristischer Autonomie aber beklagen auch viele Hongkonger Bürger, deren Protest nicht militant ist 

Was will die "schweigende Mehrheit"?

Peking betont immer wieder die Rolle der "schweigenden Mehrheit". Ein Großteil der Hongkonger Bürger wolle mit den Demonstranten nichts zu tun haben. Doch genau diese Argumentation greift nicht mehr.

Für den kommenden Sonntag sind in Hongkong Bezirkswahlen geplant. Eigentlich von geringer Bedeutung legen Umfragen doch nahe, dass die Pro-Peking-Fraktion deutlich an Stimmen verlieren könnte. Pekings Argumentation von der schweigenden Mehrheit dürfte sich damit als hohl erweisen. Gut möglich ist es deshalb, dass die Wahlen abgesagt werden. Dies aber dürfte die Wut der Hongkonger weiter anwachsen lassen.

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