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Nach Putschversuch Eine Säuberungswelle rollt über die Türkei

Mehr als 7500 Menschen verhaftet, fast 3000 Richter entlassen und 9000 Beamte suspendiert: Nach dem Putschversuch holt Erdogan zu einem Rundumschlag gegen seine Gegner aus. Eine Säuberungswelle rollt über die Türkei.

Nach dem gescheiterten Putschversuch gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan rollt eine gewaltige Säuberungswelle über die Türkei. 7543 Menschen sind unter dem Verdacht der Beteiligung bereits festgenommen worden: darunter 6038 Soldaten, 755 Staatsanwälte und Richter und hundert Polizisten. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Montag meldet, sind seit der Niederschlagung des Umsturzversuchs am Samstagmorgen insgesamt 103 Admiräle und Generäle in Gewahrsam genommen worden. Unter ihnen befindet sich auch der frühere Kommandeur der Luftwaffe, Akin Öztürk. Nach Ansicht der türkischen Regierung soll er der "der formale Anführer der Junta" gewesen sein.

Die von Erdogan angekündigte "Säuberung der Armee" beschränkt sich nicht nur aufs Militär, sondern erstreckt sich aber auch auf den Sicherheitsapparat, das Justizsystem und die Exekutive. Bis Montag suspendierte das türkische Innenministerium 8777 Staatsbedienstete aus seinem Verantwortungsbereich vom Dienst, darunter allein 7899 Polizisten.

Bei den anderen handelt es sich unter anderem um Angehörige der Gendarmerie oder der Küstenwache. Wie die Nachrichtenagentur Associated Press meldet, sollen auch 30 Gouverneure abgesetzt worden sein. Ebenso wurden offenbar 52 Inspekteure entlassen. Das berichtet die Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf das türkische Innenministerium. Beinahe über Nacht wurden außerdem 2745 Richter ihres Amtes enthoben.

Erdogan schwärmt vom Putsch als "Geschenk Gottes"

Und die "Säuberungsoperation wird weiter gehen", kündigte bereits der türkische Justizminister an. Der Putsch könnte sich für Erdogan tatsächlich als "Geschenk Gottes" erweisen, wie er ihn bereits schwärmerisch bezeichnete. Er liefert ihm den Vorwand für den finalen Rundumschlag gegen den angeblichen "Parallelstaat", den der Prediger Fethullah Gülen aus seinem US-Exil orchestrieren soll. 

Seit Jahren glaubt Erdogan, dass Gülen an seinem Thron sägt und macht ihn für die meisten innenpolitischen Krisen verantwortlich. Gegen dessen mutmaßlichen Anhänger geht er massiv vor, die sie vor allem bei der Polizei und in der Justiz vermutet. In der jüngsten Vergangenheit wurden reihenweise angebliche Gülenisten suspendiert.

Vor allem nachdem 2013 viele Polizisten an den Ermittlungen zum Korruptionsskandal im engsten Umfeld von Erdogans Regierungspartei AKP teilgenommen hatten. Auch in der Armee gab es bereits mehrere "Säuberungswellen". Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren Offiziere entlassen, die unter dem Verdacht standen, der Bewegung Gülens anzugehören.

Geplanter Schlag gegen Erdogan-Gegner?

Nun droht der Gülen-Bewegung eine Hexenjagd neuen Ausmaßes. Die Angst, Erdogan könnte den Putsch zur Ausschaltung seiner Gegner nutzen, ist groß. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn äußerte in Brüssel am Monatg die Vermutung, dass die türkische Regierung ein Vorgehen gegen Gegner bereits länger geplant hatte. "Dass die Listen schon nach dem Ereignis verfügbar waren, weist darauf hin, dass es vorbereitet war und sie zu einem bestimmten Zeitpunkt genutzt werden sollten", sagte Hahn vor einem Treffen der EU-Außenminister.

Auch der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn schlug in die gleiche Kerbe und kritisierte explizit das Vorgehen gegen Justizvertreter sofort nach dem Ende des Putschversuchs. "Es ist befremdlich, dass einige Stunden nach dem Versuch fast 3000 Richter abgesetzt werden", sagte er im ZDF-"Morgenmagazin".

Verschwörungstheorien zum Türkei-Putsch

Unterdessen werden Vermutungen laut, der Putsch könnte sogar inszeniert gewesen sein, um den Vorwand zu haben, eine Präsidialdiktatur aufzubauen. Die Regierung in Ankara weist jedoch diese Theorien empört zurück: "Dieser Vorwurf ist nicht seriöser als der, dass 9/11 ein Insider-Job war oder dass Barack Obama ein heimlicher Muslim aus Kenia ist", sagte ein Regierungsvertreter in Ankara, der nicht namentlich genannt werden wollte, am Montag.

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