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"Anne Will" "Sein oder Nichtsein" in der Ukraine – und Deutschland im Dornröschen-Schlaf

Waffen an die Ukraine liefern oder nicht? Das diskutierte die Rund bei Anne Will am Sonntagabend
Waffen an die Ukraine liefern oder nicht? Das diskutierte die Rund bei Anne Will am Sonntagabend
© Wolfgann Borrs/NDR / stern
"Wo steht Deutschland im Ukraine-Konflikt?", diese Frage galt es in der Runde bei Anne Will zu klären. Während Kühnert und Trittin weiterhin Sanktionen bevorzugen, sah es der ukrainische Botschafter Melnik erwartungsgemäß anders. Auch die Helme waren noch einmal Thema.
Von Ingo Scheel

Dritter Talk nach der Winterpause, drittes Thema bei "Anne Will", das Virus scheint, zumindest was seine Talkshow-Inzidenz angeht, auf dem Rückzug zu sein. Stattdessen ging es diesmal um die Lage der Ukraine. Washington, Kiew und Moskau, das ist die Reiseroute von Olaf Scholz in den kommenden Tagen, vorher betonte der Bundeskanzler noch einmal, dass man keine "letalen Waffen" in die Ukraine liefern würde. Trägt Deutschland damit zur Friedenssicherung in Europa bei oder spielt das Russland in die Hände? Sollte die Bundesregierung womöglich doch Waffenlieferungen an die Ukraine zustimmen? Welche Rolle spielt die Abhängigkeit von russischem Gas für die deutsche Außenpolitik? Und: Welches Ziel verfolgt Wladimir Putin?

Wer hat diskutiert?

Das diskutieren am Abend bei "Anne Will" folgende Gäste:

  • Kevin Kühnert (SPD, Generalsekretär)
  • Jürgen Trittin (Bündnis 90 / Die Grünen, Außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion)
  • Dietmar Bartsch (Die Linke, Fraktionsvorsitzender im Bundestag)
  • Anne Applebaum (Amerikanisch-polnische Historikerin und Journalistin)
  • Andrij Jaroslawowytsch Melnyk (Botschafter der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland)
  • Ina Ruck (Auslands-Korrespondentin der ARD in Moskau)

Wie lief die Diskussion?

Aus Washington war Anne Applebaum zugeschaltet und brachte es gleich einmal auf den Punkt: "Wenn Putin einmarschieren will, dann wird er es tun." Umso essenzieller wäre es, ihm klarzumachen, dass derlei Aktionen "einen sehr hohen Preis" kosten würden. In Deutschland, so die Zahlen, ist man in weiten Teilen der Meinung, dass die Bundesregierung nicht willens genug ist, eben diesen Preis in die Höhe zu treiben. 65 Prozent der Deutschen, so eine Umfrage, seien der Meinung, Bundeskanzler Olaf Scholz handle nicht entschlossen genug. Zwischen Anne Will und Kevin Kühnert ging es dann zunächst einmal um die Frage, ob der Kanzler in den Medien nicht präsent genug sei, auch um solche Standpunkte ausreichend zu verbreiten.

Nun mag man Olaf Scholz ja untertourige Auftritte vorwerfen, dennoch bleibt ihm natürlich nur die Wahl zwischen zwei Optionen: Tritt er zu oft in Talkshows auf oder vor die Kameras, heißt es: der soll mal lieber arbeiten, statt zu quatschen. Macht er sich rar, in seinen, wie Kühnert betonte, lediglich "sieben Wochen im Amt", dann heißt das: Wo ist eigentlich der Kanzler? Ein Umstand, an dem auch der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk ansetzte, der meinte, dass Deutschland endlich "aus dem Dornröschenschlaf" aufwachen müsse, es ginge um "Sein oder Nichtsein", oder anders gesagt: "Waffenlieferungen verweigern heißt, uns im Stich zu lassen".

So dramatisch, fast flehentlich Melnyk da appellierte, so zurückgenommen die Gegenseite mit Trittin, Bartsch und Kühnert, die über Parteigrenzen hinweg einen fast schon aufreizend sonoren Konsens an den Tag legten: Eine Abschreckung kann und darf es nur auf politischem, auf wirtschaftlichem Wege geben. Deutschland sei ohnehin größter internationaler Geldgeber für die Ukraine ,und überhaupt: Immerhin seien ja auch 5000 Helme geliefert worden. Kühnert versuchte hier dann tatsächlich noch einmal aufzuarbeiten, dass mehr Kopfbedeckungen gar nicht angefordert gewesen seien. So ganz klären konnte man das jedoch nicht.

Hatte Robert Habeck, das wurde in einem Einspieler gezeigt, noch im letzten Jahr betont, dass man der Ukraine eigentlich keine Waffenlieferungen verweigern könne, ist die Haltung inzwischen eine andere. Ein Grund, der immer wieder angeführt wird: die historische Verantwortung. Was im Studio noch schwergewichtig klingen mochte, zerrupfte Anne Applebaum auf der anderen Seite des Atlantiks im Handstreich. Was diese historischen Gründe denn überhaupt seien, wollte sie wissen, und sah das Ganze zunehmend als Worthülse: "Um welche Geschichte geht es hier? Deutschland macht Geschäfte mit Russland und China, liefert zudem Waffen in Länder, die sie auch einsetzten." Ebenso ein Aspekt: "Es gab auch schon einmal eine deutsche Invasion in der Ukraine, auch das hat historisch eine Bedeutung."

Eine Gemütslage, die sich Ina Ruck, Auslands-Korrespondentin der ARD in Moskau, vor Ort in Kiew aus erster Hand anhören durfte. Die nämlich muss sich, so erzählte sie gut eingepackt in eisiger Kälte, in Gesprächen mit den Menschen vor Ort regelmäßig für die deutsche Haltung verteidigen. Der Krieg als Thema sei "sehr präsent", die Frage an die Deutschen, auf welcher Seite sie stünden, eine überaus akute, zu selten habe man in den letzten Jahren "klare Kante" gezeigt.

Der besondere Moment

Zwischen den beiden Positionen schließlich hatte Ina Ruck, von Anne Will nach ihrer persönlichen Einschätzung befragt, einen Vorschlag parat, der in seiner schlichten Schönheit fast sprachlos machte. Putin könne ja auch mal auf die anderen Länder zugehen, "statt sie immer nur zu überfallen". Putin als Überbrücker von Gräben, als friedlich gesonnener Vermittler zwischen den Nationen, ein fast märchenhafter Gedanke, womit man dann fast schon wieder bei Dornröschen wäre.

Fazit

"Nie wieder Krieg", so singen es doch Tocotronic auf ihrem neuem Album. Vielleicht könnte man ja mal eines davon in den Kreml schicken.

kng

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