Geld stand offenbar ausreichend zur Verfügung, als Marcus Pretzell seinen Landesgeschäftsführer Andreas Keith einen Vertrag unterzeichnen ließ. Es war Mitte Januar, Pretzell regierte als Landeschef die NRW-AfD, den größten Landesverband der Partei. Er war auch Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Mai. Der allergrößte Teil des Landesvorstands folgte ihm.
Pretzell, der nach der Bundestagswahl mit seiner Gattin Frauke Petry die Partei verließ und nun ein Konkurrenzprojekt aufziehen will, ließ sich an diesem Tag mit einer Firma aus dem US-Bundesstaat Delaware ein, die namhafte Kunden hatte. Der Bekannteste: Donald Trump. Es ging um eine Smartphone-App, mit der Aktivisten informiert und vernetzt werden können, entwickelt für Wahlkämpfer. Wie Donald Trump in den USA, so sollte die App nun auch Marcus Pretzell in Nordrhein-Westfalen zu Wählerstimmen verhelfen.
Die NRW-AfD griff tief in die Parteikasse für diese App. In dem Vertrag, der dem stern vorliegt, verpflichtete sie sich zur Zahlung von 25.000 Dollar. Außerdem, so ist es festgehalten, musste sie noch Fixkosten von 2000 Dollar pro Monat stemmen. Das Besondere an dem Deal: Die App kam niemals zum Einsatz. Außer Kosten brachte sie der AfD nichts. "Sie stand uns erst Mitte Februar zur Verfügung und war in der Fläche nicht einsetzbar", sagte Landesgeschäftsführer Keith dem stern auf Nachfrage.

Was der Bundesvorstand Frauke Petry vorwirft
Pretzell und Petry sind zwar nicht mehr AfD-Mitglieder, aber auch noch nicht über alle Berge, schon weil sie ihrer nun ehemaligen Partei Wähler und Mitglieder abjagen wollen. In der AfD verfolgt man deshalb die Schritte des gescheiterten Ehepaares mit Interesse. Dabei ist die Frage auch von Belang, was die beiden in den letzten Monaten ihrer Amtszeit so alles angestellt haben. Und da geht es nicht nur um die Vergeudung finanzieller Ressourcen im Wahlkampf.
Nach stern-Informationen wirft der AfD-Bundesvorstand Frauke Petry Datenklau vor. Das oberste Parteigremium hat sich in einem schriftlichen Umlaufverfahren ausgetauscht und überlegt außerdem, die frühere Vorsitzende deswegen zu verklagen. Die AfD vermutet, dass Petry sich am Parteimanager bedient hat, dem Programm, mit dem die AfD ihre Mitgliederdaten verwaltet. Die Anschriften und Telefonnummern von knapp 30.000 AfD-Mitgliedern sind von hohem Wert, wenn man wie Petry und Pretzell eine Konkurrenzpartei aufbauen will. Gegenwärtig lässt der Bundesvorstand die Softwaredaten auswerten.
Petry reagierte auf eine stern-Anfrage zu den Vorwürfen bislang nicht.
Die langjährige Vorsitzende bleibt präsent in der AfD. Am Mittwoch zog sie den Abgeordneten Mario Mieruch, einen Adlatus ihres Mannes, aus der Bundestagsfraktion heraus. Pretzell hat in NRW ebenfalls einen Abgeordneten zum Fraktionsausstritt bewegen können, Alexander Langguth aus Iserlohn. Langguth hat eine Ehrenerklärung unterschrieben und sich darin verpflichtet, sein Mandat bei Parteiaustritt zurückzugeben. Noch ist er AfD-Mitglied und kassiert die Diäten. Pretzell tut das auch ohne Parteibuch, als Landtags- und zudem als Europaabgeordneter.
Wie Alice Weidel in die Petry-Lücke stößt
Am Donnerstag sagte die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel im Bundestag, sie könne "ein, zwei weitere Austritte" nicht ausschließen. Gerade Weidel müht sich im Moment sichtbar, die Petry-Lücke zu füllen. Frauke Petry hatte sich zuletzt vor allem als Vertreterin jener Parteimitglieder gegeben, die sich als gutbürgerlich begreifen. Auf dem Treffen der "Alternativen Mitte" (AM), einer parteiinternen Gegengruppierung zum "Flügel" von Björn Höcke und Andre Poggenburg, trafen am Dienstag etliche dieser AfD-Vertreter zusammen. Und auch Alice Weidel bekannte sich dort eindeutig zur AM. Die Botschaft der Fraktionschefin: Petry ist weg, aber ich bin ja da.
In Weidels Grußwort, das verlesen wurde, fanden sich drei Aussagen, die ohne weiteres von Frauke Petry stammen könnten. Die Alternative Mitte, schmeichelte Weidel, sei "ein wichtiger Pol der Vernunft". Das klang, als halte sie den "Flügel" für unvernünftig. Die Chancen, "die AfD als bürgerliche Kraft der Mitte zu etablieren", seien jetzt "besser als je zuvor", hieß es weiter in dem Grußwort. Schließlich schrumpfte Weidel den gut vernetzten "Flügel" sogar zur "nationalistischen Clique". Wörtlich sagte die Fraktionschefin: "Wer eine bürgerliche Volkspartei haben möchte anstelle einer kleinen nationalistischen Clique, der muss diese Partei von innen heraus mit großer Geduld begleiten und mitgestalten." Das Grußwort kam bestens an bei der Alternativen Mitte.
Gut möglich, dass Weidels Vorstoß mit Alexander Gauland und dem Parteichef Jörg Meuthen abgesprochen war. Es wäre eine Strategie, um über Alice Weidel Einfluss auf die Alternative Mitte zu gewinnen und eine zahlenmäßig größere Abwanderung zu verhindern. Dazu passte die Komplettierung der Spitze der AfD-Bundestagsfraktion am Donnerstag. Wie schon in der Vorwoche scheiterte bei den Wahlen erneut ein Höcke-Vertrauter und "Flügel"-Vertreter: Dem Thüringer Rechtsanwalt Stephan Brandner gelang es nicht, einen der fünf Posten als Vize-Fraktionsvorsitzender zu ergattern.
Fragen zu den Finanzen in der NRW-AfD
In Nordrhein-Westfalen wiederum trifft sich die AfD Mitte Oktober zum Landesparteitag. Auch hier geht es um die Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit. Entsprechende Anträge von Mitgliedern gingen bereits ein. Einer liegt dem stern vor, er befasst sich mit "möglichen finanziellen Unregelmäßigkeiten innerhalb der Konto- bzw. der Kassenführung des Landesverbands". Gefordert wird darin, eine "unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur Durchführung einer Sonderprüfung" einzusetzen. Der Antragsteller schreibt vorsichtig von "möglichen Abrechnungen parteifremder Leistungen über Mittel des Landesverbandes" und außerdem von Abrechnungen von "Leistungen zu deutlich überteuerten Marktpreisen (Untreue)".
Mit den deutlich überteuerten Preisen könnte ein Filmchen zur NRW-Wahl gemeint sein, das vor allem Marcus Pretzell zeigte und beim Bundesparteitag in Köln "Weltpremiere" (Marcus Pretzell) hatte. Landesgeschäftsführer Andreas Keith sagte dem stern, der Landesverband habe dafür rund 24.000 Euro gezahlt.
Der Parteitag der NRW-AfD muss auch die Nachfolge von Pretzell und seinem Ko-Vorsitzenden Martin Renner klären und damit zwei Fragen: Wird der Landesverband vom Pretzell-Kurs abrücken? Und wird es Pretzell gelingen, über Vertraute weiterhin Einfluss auf den größten Landesverband der Partei auszuüben?
"Ohne mich wird nicht gekungelt"
Im Vorfeld wird bereits wieder kräftig gekungelt, ganz so, wie man es aus den Listenwahlen im Sommer 2016 kannte. Mittendrin nach eigener Aussage: die langjährige Pretzell-Vertraute Corinna Bülow. "Ohne mich wird nicht gekungelt, das solltest du wissen", brüstete sich die Rheinländerin kürzlich in einem Chat.
Möglicherweise tritt erneut Martin Renner an und außerdem Michael Schildt aus Unna. Das Pretzell-Lager, das zwar offiziell ohne seinen Namensgeber, aber in schmalerer Besetzung durchaus noch beieinander steht, will offenbar den Gelsenkirchener Bundestagsabgeordneten Jörg Schneider ins Rennen schicken. Hinter Schneider steht Pretzells alter Bochumer Unterstützertrupp, darunter ein Ehepaar namens Demolsky, der frühere Computerspielunternehmer Markus Scheer und der Bochumer Kreisverbandschef Christian Loose. Sie sind nicht die einzigen treuen Anhänger, die Marcus Pretzell und Frauke Petry bei ihrem Turbo-Abgang aus der AfD hinterlassen haben. Nach der Überraschung versuchen sie nun, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen.
