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Statt 2045 Berlin stimmt ab, ob die Stadt bis 2030 klimaneutral werden soll. Aber ist das überhaupt machbar?

Ein Wahlplakat des Bündnis "Klimaneustart", das dazu aufruft, beim Volksentscheid mit "ja" zu stimmen
Das Bündnis "Klimaneustart" will erreichen, dass Berlin bis 2030 klimaneutral wird, anstatt wie vorgesehen bis 2045
© DPA
Berlin soll bis 2030 klimaneutral werden – das fordert das Bündnis "Klimaneustart" und will mit Hilfe eines Volksentscheids am 26. März die Landesregierung unter Druck setzen. Doch die Hürden sind hoch, und das Ziel ist ambitioniert.

In Berlin wird am Sonntag wieder gewählt. Diesmal kein neues Parlament, weil eine Wahl schief gegangen ist – sondern die Bevölkerung kann über eine Gesetzesänderung abstimmen: Verbindliche Klimaneutralität bis 2030. Das wäre 15 Jahre früher als aktuell von der Bundesregierung im Klimaschutzgesetz vorgegeben. Das Problem: Alle Parteien von links bis rechts halten das Ziel für unrealistisch.

Für ambitioniert hält das auch die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Dennoch müsse sich was tun, sagt Kemfert dem stern: "Die bisherigen Ziele reichen nicht aus, vor allem gibt es keine rechtsverbindliche Umsetzungsverpflichtung. Es wäre sinnvoll, diese zu haben und alles daran zu setzen, sie erreichen zu wollen."

Klimaneutralität bedeutet, dass nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden dürfen, als auch wieder gebunden werden können. Dafür müssten klimaschädliche Emissionen durch beispielsweise Verbrennerautos, Flugzeuge, Heizungen, Kraftwerke oder Industriebetriebe deutlich gesenkt werden. 

IPCC-Bericht: Auch der Weltklimarat fordert die Industrieländer auf, schneller umzusteuern

Das Ziel der Klimaneutralität bis 2030 orientiert sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen. Im vor wenigen Tagen vorgestellten Bericht des Weltklimarats IPCC fordern die Autorinnen und Autoren Regierungen weltweit dazu auf, so schnell wie möglich umzusteuern. Denn verschiedene Szenarien zeigen, die 1,5-Grad-Grenze könnte schon zwischen 2030 und 2035 erreicht werden. Klimaschutzmaßnahmen sind zwar teuer, aber: "Der wirtschaftliche und soziale Nutzen einer Begrenzung des Klimawandels auf zwei Grad übersteigt die Kosten der dafür umzusetzenden Maßnahmen", heißt es in dem Bericht.

"Klimaneustart" drängt deshalb schon auf das Ziel 2030. Das Bündnis ist aus der Volksinitiative Klimanotstand Berlin 2019 hervorgegangen und wird mittlerweile unterstützt von anderen Gruppierungen wie Fridays for Future, der Arbeiterwohlfahrt, dem Mieterverein und zahlreichen Kulturschaffenden. Laut "RBB" gehört es zu den am besten finanzierten Volksinitiativen der Berliner Geschichte. Monatelang wurden rund 262.000 Unterschriften gesammelt, am Sonntag können die Berlinerinnen und Berliner nun abstimmen.

Was das Bündnis "Klimaneustart" für Berlin fordert

Anders als 2021 beim Volksentscheid der Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" steht dieses Mal ein konkreter Gesetzesentwurf zur Abstimmung. Das Land müsste die geforderten Änderungen also umsetzen. Die Initiative will bisher lediglich angestrebte Ziele verpflichtend machen, alle Treibhausgase sollten reduziert und noch bestehende Emissionen durch seriöse Mechanismen kompensiert werden. Zudem sollten bis 2030 alle öffentlichen Gebäude klimafreundlich und sozial verträglich renoviert werden, nicht auf Kosten von Mieterinnen und Mietern. Zusammengefasst heißt das, verbindliche Ziele – ja. Konkrete Maßnahmen – wenig. Kritikerinnen und Kritiker monieren diese fehlenden Details, die das Bündnis vom Berliner Senat ausarbeiten lassen möchte. Klimaneutralität bis 2030 sei nicht umsetzbar, zu teuer und würde zulasten anderer sozialer Nöte gehen.

Auch der aktuell noch rot-grün-rote Senat stellt sich gegen den Volksentscheid. Nicht zuletzt aus Kostengründen. Die Initiative rechnet mit bis zu 113 Milliarden Euro, die die Umsetzung ihres Volksentscheids kosten könnte. Bis auf die Berliner Senatorin für Klimaschutz, Bettina Jarasch (Grüne), haben sich nahezu alle Regierungsmitglieder gegen die Klimaneutralität bis 2030 ausgesprochen.

Volksabstimmung: Die Hürden sind hoch

Sowohl die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) als auch CDU-Chef Kai Wegner sagten am Freitagvormittag während der gemeinsamen Koalitionsverhandlungen, dieses Ziel sei "mit keinem Geld der Welt zu erreichen". "Es ist nicht möglich, dass Berlin bis 2030 klimaneutral ist", sagte Giffey bei einer Pressekonferenz, das müsse man den Wählerinnen und Wählern auch "klipp und klar" sagen. Dem hält Nachhaltigkeitsexpertin Kemfer entgegen: "Die Ziele von vornherein als unmachbar abzutun hilft der Sache nicht."

CDU und SPD haben sich laut Wegner auf ein Sondervermögen geeinigt, sollte die Koalition zustande kommen, das fünf Milliarden zur Bewältigung der Klima- und Energiekrise bereitstellt. Konkrete Maßnahmen wurden aber auch hier noch nicht genannt. Expertin Kemfert empfiehlt dabei vor allem den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und, wie im Gesetzesentwurf des Bündnisses verankert, nachhaltigeres Wohnen: "In Berlin ist der größte Umsetzungsstau bei der energetischen Sanierung samt Heizungswechsel. Da sollte am meisten investiert und gefördert werden."

Schwer wird es für "Klimaneustart" so oder so. Am Sonntag sind 2,4 Millionen Stimmberechtigte zur Wahl aufgerufen. Dabei muss nicht nur die Mehrheit mit "Ja" stimmen, sondern auch mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten. Das sind rund 608.000 Menschen. Oder, wie das Bündnis selbst twittert: "Es wird ultra knapp!"

Quellen:  Berlin2030, Bundesregierung, IPCC, Twitter – Kai Wegner, Twitter – Klimaneustart, RBB, Tagesspiegel, mit Informationen der Nachrichtenagenturen

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