Ramsi, der Name ist ein Pseudonym, ist 26 Jahre alt und lebt in Mönchengladbach. Bei der "Welcome to Hell"-Demo zum G20-Gipfel in Hamburg marschierte er vermummt ganz vorne mit. Er bezeichnet sich selbst als Autonomen und "linksradikal".
Brennende Barrikaden und geplünderte Geschäfte. Deutschland diskutiert über die Krawalle rund um den G20-Gipfel. Wie sieht dein Fazit aus? Zufrieden?
Viele Aktionen, wie etwa die Blockade der Innenstadt, waren erfolgreich. Trotz des massiven Polizeiaufgebots. Am Freitag wussten die ja gar nicht mehr, was Sache ist. Wir haben gezeigt: Schließen wir uns zusammen, können wir das System ins Wanken bringen. Das ist die eine Seite.
Und die andere?
Die Kämpfe in der Schanze sind außer Kontrolle geraten. Vor allem die Plünderungen und die Gewalt haben am Ende alles überschattet. Das war zu krass.
Hat sich der "Schwarze Block" mit der Gewalt ein Eigentor geschossen?
Könnte man sagen. Es hätte in der Diskussion um G20 um das kapitalistische System gehen können, um Polizeigewalt. Aber jetzt geht es darum, härtere Gesetze gegen ein paar Vollidioten einzuführen. So sehen es viele in der Szene. Die ganze “Linke“ wird verteufelt. Das ist scheiße.
Aber das waren doch eure Leute?
Man muss unterscheiden zwischen wirklichen linkspolitischen Aktivisten und Menschen, die unter diesem Deckmantel Straftaten begehen. Aus eigennützigem Antrieb. Wenn Menschen Autos anzünden, um ihre Aggressionen loszuwerden, hat das nichts mehr mit Solidarität zu tun.
In der Schanze haben also keine "richtigen Linken" randaliert?
Ich war in der Schanze dabei. Viele der bekannten Aktivisten haben sich verzogen, als es mit den Plünderungen begann. Die Kontrolle haben Krawalltouristen, Internationale und ein Haufen Milchbubis übernommen, die gerne mal einen Stein werfen wollten.
Über die Internationalen wurde viel gesprochen. Willst du sagen, dass die Ausländer schuld waren.
Nein. Aber das waren autonome Kämpfer aus der ganzen Welt. Die waren nicht zum Kaffeekränzchen da. Außerdem bringen die eine andere Krawallkultur mit. Ich habe mitbekommen, dass Hamburger Aktivisten rumgegangen sind und sagten, man müsste den Kampf aus der Schanze heraustragen. Die Internationalen haben darauf nicht reagiert.

Wo sollte der Kampf hin?
In Viertel, in denen es Sinn gemacht hätte. Wenn man in die Innenstadt gezogen wäre und dort Bonzenläden eingeschmissen hätte, dann hätte das eine ganz andere Wirkung gehabt.
Wie reich muss ein Viertel denn sein, damit man es attackieren darf?
Blankenese. So was eben.
Hast du selbst mit Flaschen und Steinen geworfen?
Nein. Ich marschiere im Block meistens ganz vorne mit, aber ich werfe keine Steine. Das ist die Art von nicht zielgerichteter Gewalt, die ich ablehne. Sitzblockade, Barrikaden - bei solchen Sachen bin ich dabei. Aber Gewalt muss bei Demos die Ausnahme sein.
Wenn du gegen Gewalt bist, warum hältst du andere nicht vom Flaschenwerfen ab?
Auch das ist schon passiert. Aber man muss sich immer die Situation anschauen. Aus meiner Sicht führt Gewalt bei Demos nur zu mehr Repression. Wenn es allerdings eine Revolte zum Einsturz des Systems wäre, dann wäre das etwas anderes.
Gibt es noch andere Ausnahmen?
Wenn die Polizei etwa ohne Grund eine Gruppe stürmt, dann darf auch mal eine Flasche zur Selbstverteidigung eingesetzt werden. Dann kann ich das voll und ganz verstehen.
Der Pegida-Bewegung wird oft zum Vorwurf gemacht, dass sie sich nicht von gewaltbereiten Extremisten distanziert. Warum sollen die das tun, aber ihr nicht?
Ich muss gestehen, mir fällt es schwer, darauf zu antworten. Wahrscheinlich gibt es gar nicht so einen großen Unterschied. Für mich steht fest, dass Gewalt von ganz Rechtsaußen und Linksaußen beides scheiße ist.
Wie würdest du dich selbst politisch einordnen?
Ich bezeichne mich als autonom. Dass heißt, ich will frei von Herrschaftsstrukturen leben. Im Denken und in meinen Taten würde ich mich als radikal und linksextrem bezeichnen. Aber ich bin keiner, der Autos anzündet oder mit Steinen schmeißt. Das ist manchmal schwer, dem Normalbürger zu erklären.
Warum warst du in Hamburg?
Weil ich die kapitalistischen Verhältnisse anprangere. Ich finde es ein Unding, dass 20 Menschen, die irgendwann mal gewählt wurden und Volksnähe heucheln, sich hinter geschlossenen Türen treffen, um über die Welt zu entscheiden.
Gehörst du einer festen Gruppe an?
Ich selbst bin bewusst in keinem Bündnis organisiert, aber gut vernetzt. Viele der Leute sind meine Freunde. Die unterschiedlichen Bündnisse stellen im Netz ihre Pläne vor. Auch auf Englisch, damit die Internationalen sich einen Überblick verschaffen können. Die Seiten sind in der Szene bekannt.
Und dann?
Für G20 zum Beispiel gab es einen Haufen unterschiedlicher Aktionsbündnisse, die mobilisiert haben. Im lebe in Mönchengladbach, hier kennen wir uns untereinander. Wir haben dann eine Bezugsgruppe gebildet, die gemeinsam nach Hamburg gefahren ist. In Regionalzügen, weil die Fernbusse kontrolliert wurden.
Wie groß sind solche Gruppen?
Zwei bis 20 Leute. Auf den Demos sind die Bezugsgruppen zum Schutz da. Man passt aufeinander auf. Auch wenn jemand festgenommen wird.
Wo habt ihr geschlafen?
Wir wollten erst in einem der Camps im Zelt schlafen, doch die wurden ja verboten. Also haben wir zu fünft im Wohnzimmer bei einer Freundin gepennt - die ist ebenfalls aus der Szene.
Und die Internationalen?
Da lief das nicht anders. Die Bezugsgruppen bilden sich im jeweiligen Land und informieren sich dann auf Websites über die unterschiedlichen Angebote. Es wurden aber auch viele Einladungen ausgesprochen. Ich nehme an, dass die Unterbringung dann hier organisiert wurde.
Wer sind die Härtesten?
In Europa sind es die Franzosen, die haben eine andere "Riot-Kultur". Global gesehen die Südamerikaner. Da sieht es bei Protesten immer so aus wie in der Schanze.
G20 sei eine Chance für die linke Szene um zusammenzufinden, hieß es. Jetzt wirkt sie zerstrittener denn je.
Wir haben eine Riesenchance verpasst. Am Anfang waren sich alle einig, dass das, was die Polizei abzieht, unter aller Sau ist. Wegen der Polizeigewalt in Entenwerder standen plötzlich Bündnisse Seite an Seite, die eigentlich nicht miteinander können. Aber jetzt reißen ein paar Vollidioten das Ganze wieder auseinander.
Ist die Stimmung in der Szene momentan allgemein mies?
Klar ist da Frustration. Viele in der Szene sind sauer, dass von diesem gigantischen Protest nur die Idioten hängen bleiben. Selbst die Flora hat sich ja distanziert. Aus meiner Sicht hängt das falsche öffentliche Bild mit der Manipulation durch die Medien zusammen.
Das musst du erklären.
Sie betreiben Linken-Bashing im großen Stil und tun so, als seien die Plünderungen das Resultat der linken Szene im Ganzen. Diese Hetze ist gefährlich.
Was meinst du?
Wenn alles, was links ist, jetzt dämonisiert wird, ist das ein Problem. Vor ein paar Tagen haben sie hier Mönchengladbach die Parteizentrale der LINKEN eingeworfen. Das hing eindeutig mit der Berichterstattung rund um G20 zusammen. Die Rechten fühlen sich von der allgemeinen Stimmung herausgefordert.
Warum reden so viele aus der Szene nicht mit der Presse?
Weil sie ihre Erfahrungen gemacht haben. Für uns gehört die Presse zum System.
Warum redest du trotzdem?
Weil mich das Linken-Basching stört. Ich habe es satt, dass die ganze Zeit Unwahrheiten erzählt werden.
Dürfen wir fragen, warum du dich vermummen musst?
Um meine Identität zu schützen. Seit zehn Jahre bin ich auf Demos unterwegs. Man kann schnell zur Zielscheibe der Polizisten werden.
Fühlst du dich verfolgt?
Ich achte jedenfalls darauf, dass mein Gesicht nicht zu sehen ist. Bei Social Media bin ich mit verschieden Namen unterwegs. Google denkt, ich bin ein spanischer Geschäftsmann, der in Südamerika lebt.
Wie verdienst du dein Geld?
Ich arbeite im Einzelhandel. Genauer möchte ich das aber nicht sagen.
Warum?
Die Rechten sind zwar dumm, aber dann könnten selbst die mich finden.