Klimaschutz, sofort und mit Vetorecht – so lautet ein zentraler Punkt aus dem "Klimaschutz-Sofortprogramm" der Grünen, das Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und ihr Co-Parteichef Robert Habeck am Dienstag im Naturschutzgebiet "Biesenthaler Becken" bei Berlin vorstellten. Nach dem holprigen Start in den Wahlkampf versucht die Partei nun, ihre selbsterklärte Kernkompetenz als wahlentscheidendes Thema in den Vordergrund zu rücken. Motto: Volle Kraft für den Klimaschutz – und nicht wieder Jahre verplempern wie die amtierende Regierung.
Ob die Rechnung aufgeht, wagen Kommentatoren zu bezweifeln. "Theorie und Praxis – zuweilen klafft hier bei den Grünen noch eine Lücke", meint etwa die "Badische Zeitung". Die "Neue Osnabrücker Zeitung" sieht in den Vorhaben "vor allem Symbolpolitik". Die Pressestimmen.
Das Medienecho zum "Klimaschutz-Sofortprogramm"
"Neue Osnabrücker Zeitung": "Wenn selbst das reiche Deutschland seinen Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel nicht leistet, wer sollte es dann schaffen? Ein (grünes?) Klimaschutzministerium braucht es dafür allerdings nicht. Da ist die Ansage von SPD-Kandidat Olaf Scholz überzeugender, der das Thema als Kanzler zur Chefsache machen würde. Auch Baerbocks Rufe nach dem Tempolimit oder dem Verbrenner-Aus im Jahr 2030 sind vor allem Symbolpolitik. Der entscheidende Hebel zur CO2-Vermeidung ist die CO2-Bepreisung."
"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Sie müssen einfach das 'größte Klimaschutzpaket' vorlegen, 'das es jemals gegeben hat'. Eine Nummer kleiner geht es nicht, weil die Grünen sonst um ihren Markenkern (und ihre Kanzlerkandidatin) fürchten müssten. Dafür nehmen sie in Kauf, dass Union, FDP und SPD für sich beanspruchen können, Klimapolitik nicht nur als verheißungsvolle Radikalkur zu begreifen."
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"Badische Zeitung": "Die Grünen wollen binnen 100 Tagen mit einer Task-Force die wichtigsten Weichen in Richtung Klimawende stellen. Geführt werden würde dieses Team aber von einem Klimaschutz-Ministerium, das unterdessen bestenfalls Büromöbel bestellt. Theorie und Praxis – zuweilen klafft hier bei den Grünen noch eine Lücke."
"Reutlinger General-Anzeiger": Dass die Partei nun auf den Klimaschutz setzt, ist folgerichtig. Die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sowie die Hitzewellen und Waldbrände in Südeuropa zeigen, dass der Klimawandel nicht nur arme Länder bedroht, sondern jeden Einzelnen mit gewaltiger Wucht treffen kann. Die Partei tut also gut daran, auf ihr Kernkompetenz-Thema zu setzen. Die Pläne für ein Klimaschutzministerium sowie der deutlich beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien und einen früheren Kohleausstieg machen eins deutlich: In einer Regierung mit grüner Beteiligung wäre Klimaschutz das alles überragende Thema.
"Süddeutsche Zeitung": "Um die Erderwärmung einzudämmen, ist es unabdingbar, dass die Treibhausgase innerhalb eines begrenzten Budgets bleiben, 'überplanmäßige' Emissionen gehören daher geprüft. Ein Klimaschutzministerium ist womöglich aber aus anderen Gründen keine gute Idee. Deutschland kann das Ziel, klimaneutral zu werden, nur dann erreichen, wenn die neue Bundesregierung die Klimakrise als Gemeinschaftsaufgabe versteht – und nicht als ausgegliederten Bereich."
"Die Welt": "Die Grünen sehen sich vom Klima beauftragt. Sie wollen den 'Bundeshaushalt zum Klimahaushalt machen'. Das Land müsste komplett umgebaut werden: Industrie, Verkehr, Landwirtschaft, Landschaften, Häuser. Doch statt die immensen Kosten der Transformation zu problematisieren, beschwören die Grünen 'Wohlstand und Sicherheit', der aus dem Umbau erwachsen würde. Eine Hoffnung, die jeder teilen möchte, doch das 'Sofortprogramm' liest sich wie eine naive Wunschliste für Klimaschützer, ganz ohne Nebenwirkungen."
"Ludwigsburger Kreiszeitung": "Grüner Klimaschutz wird für viele Menschen und die Wirtschaft ins Geld gehen. Einen Ausgleich für Ärmere soll es durch zwölf Euro Mindestlohn geben. Doch den werden viele Betriebe kaum zahlen können. Politischen Widerstand wird es in Koalitionsverhandlungen etwa dagegen geben, den Kohlekompromiss wieder aufzuschnüren, Ausbauziele bei Wind- und Solarenergie zu verdreifachen oder einen Super-Klimaschutz mit Vetorecht zu schaffen. Alles werden die Grünen in einer Koalition ohnehin nicht durchsetzen können. Sie stellen Maximalforderungen, um viel Verhandlungsmasse zu haben."
"Der Tagesspiegel": "Abgesehen davon, dass eine solche Vetomacht den ohnehin schon langsamen Politik-Apparat noch stärker ausbremsen könnte, ist die Idee von potenziell radikaler Tragweite. Nähme so ein Ministerium seine Aufgabe ernst, müsste es jede neue Autobahn, jede Förderung von Erdgas verbieten. Das dürfte die Koalitionsarbeit mit egal welcher Partei massiv belasten."