Staub liegt in der Luft. Sehr feiner Nebel, der wie eine zarte Wolke über dem Gelände am Oberhafen schwebt. Das Areal hinter den Hamburger Deichtorhallen hat am heutigen Vormittag einen künstlerischen Verwendungszweck erhalten: Es dient als Umkleide-, Probe- und Schminkstation für die anstehende G20-Performance "1000 Gestalten". Und die "Schminke" ist es, die in kleinen Teilchen in der Luft hängenbleibt, denn bei dem Make-up handelt es sich um "weißes Tonpulver, das mit Wasser und Pigmenten angerührt wurde", erzählt Rita Kohel, eine der Organisatorinnen der Veranstaltung. Auf dem Gelände sprechen zwar alle von Lehm, aber das stimmt eben nicht so ganz.
Seit acht Uhr laufen die Vorbereitungen, an denen rund 1000 Menschen beteiligt sind, unter ihnen auch Janne. Die 16-jährige Schülerin ist erst vor kurzem von einem Auslandsjahr nach Hamburg zurückgekehrt, hat sich online über die Demos zum G20-Gipfel informiert und ist dabei auf diese Aktion gestoßen. "Mir gefällt die kreative Idee: Wenn ich zu einer Demo gehe, denkt man nicht so viel nach. Hier muss man sich Fragen stellen, das finde ich gut", erklärt sie.

Die Optik der G20-Protestaktion erinnert an "Momo"
Wer die Gestalten zum ersten Mal sieht, muss auf Anhieb an die grauen Herren aus Michael Endes "Momo" denken. "Es gibt verschiedene Inspirationsquellen, die wir verwendet haben, aber tatsächlich gibt es eine starke Anlehnung an die grauen Herren", sagt Kohel. "Der Ton symbolisiert verkrustete Strukturen, verhärtete Gefühle und das Abgeschnitten-Sein von den eigenen Sinnen, man sieht und hört nicht richtig." Bei ihrer Performance, die in der Mittagszeit im Hamburger Kontorhausviertel stattfindet, werden die Akteure wie Zombies nebeneinander herschleichen.
Es herrscht gute Stimmung, besonders als gegen Mittag der Himmel aufreißt und die Sonne hervorkommt. Die Teilnehmer sind von der großartigen Organisation, dem Anti-Konsum-Protest und ihrer eigenen Rolle begeistert. Auch wenn die Optik krasse Assoziationen weckt. "Boah, das sieht aus wie im KZ hier", sagt eine junge Frau beim Anblick ihrer Mitstreiter.

"Wir wollen auf die Auswirkung des Kapitalismus in der jetzigen Form hinweisen", erklärt Kohel den Brückenschlag zum G-20-Gipfel. "Auf das globalisierte System, in dem Menschlichkeit weit hinter Ökonomie und Gewinnstreben abgeschlagen ist." Seit Februar hat sie mit einem Kernteam von etwa 30 Leuten an dem Konzept gearbeitet. Damals hatten sie eine Einladung an Aktivisten und Künstlerkollektive ausgesprochen, aus denen sich dann eine Truppe aus Berlin und Hamburg zusammengesetzt hat. Monatelanges Pendeln zwischen den Städten und unzählige Arbeitsstunden später steht nun der Zieleinlauf an.
Eine Zeit, in der Bilder dominieren
Auf dem abgesperrten Burchardplatz werden die grauen Gestalten bereits von Schaulustigen und Journalisten erwarten. Bis auf drei Wasserwerfer, die mit lautem Tatütata durch eine Parallelstraße jagen, herrscht Stille. Autos werden hier in den den nächsten Stunden nicht verkehren. Langsam, mit hängenden Schultern und gesenktem Blick schleichen die Akteure heran. Ihre Farblosigkeit fällt auf und das ist genau das Ziel: Die Bilder dieser Aktion sollen sich einprägen, mahnend.
Die Chancen stehen gut, obwohl in der Woche des großen Gipfeltreffens zahlreiche Proteste stattfinden. Dieser jedoch, kommt nicht nur ohne Farbe, sondern auch ganz ohne Polizei aus. Und da wird es wohl der einzige bleiben.

