Sie kommen aus dem linken Flügel oder werden dem eher konservativen Lager zugerechnet. Mal sind sie Bestandteil des (bundes-)politischen Establishments, mal kommen sie aus der zweiten oder gar dritten Reihe der Sozialdemokraten. Insgesamt sieben Bewerberduos und ein Einzelkämpfer wollen an die Spitze der SPD mit ihren mehr als 400.000 Mitgliedern. Sie wollen die Nachfolge von Andrea Nahles antreten, die mangels Rückhalts in der Partei ihren Rücktritt einreichte und so den Startschuss für ein Rennen um das "schönste Amt neben dem Papst" (Franz Müntefering) startete.
Die Erwartungen an die künftigen Parteichefs sind hoch, die Aufgaben in Zeiten sinkender Zustimmung riesig: "Die SPD braucht einen radikalen Umbruch an vielen Stellen", meinte Generalsekretär Lars Klingbeil jüngst im "Redaktionsnetzwerk Deutschland". Er forderte unter anderem eine Verkleinerung der Führungsgremien – und mehr Beteiligungsangebote für Parteimitglieder.
Wer will, wer wird's? Der stern stellt die vom Wahlvorstand zugelassenen Kandidaten für den SPD-Parteivorsitz vor. Den Fahrplan zur neuen Parteispitze sehen Sie am Ende des Artikels.

Olaf Scholz und Klara Geywitz
Olaf Scholz, 61, Bundesfinanzminister, Vizekanzler und früherer Erster Bürgermeister Hamburgs, ist eindeutig das prominenteste Gesicht, das sich um den SPD-Vorsitz bemüht. Eher aus der zweiten Reihe stammt seine Ko-Kandidatin Klara Geywitz, 43. Scholz' Beweggründe lassen im Grunde kein gutes Haar an seiner Partei: Das mangelnde Interesse prominenter Genossen an dem Spitzenamt sei Anlass für seine Kandidatur. Lange hatte er die Bewerbung um die SPD-Spitze mit dem Verweis auf sein zeitraubendes Regierungsamt ausgeschlossen.

Bewertung: Auch wenn niemand den Sozis erklären muss, für was der Name Olaf Scholz steht (eisenharte Realpolitik, norddeutsche Nüchternheit), ist seine Kandidatur kein Selbstläufer. Umfragen zufolge würden ihn gerade einmal die Hälfte der Parteimitglieder wählen. Im Grunde also nichts Neues, schon in der Vergangenheit wurde "er nie wirklich gewählt, sondern eher nur hingenommen", wie stern-Autor Andreas Hoidn-Borchers kürzlich schrieb. Vermutlich dürften seine Erfolgschancen von seiner Ko-Kandidatin Geywitz abhängen. Die ist bundespolitisch aber bislang nur Kennern ein Begriff. Entscheiden sich die Mitglieder für das Duo Geywitz/Scholz, ist es ein Votum für Verlässlichkeit, für die GroKo. Nach Aufbruch klingt es nicht.
Hier stellen sich Olaf Scholz und Klara Geywitz sich das Duo vor.
Petra Köpping und Boris Pistorius
Ein landespolitisches Ost-West-Team für die Bundespartei: Petra Köpping, 61, ist (noch) Integrationsministerin in Sachsen, Boris Pistorius, 59, Innenminister in Niedersachsen. Regierungserfahrung ist also vorhanden, aber reicht das auch, die älteste (und womöglich auch anstrengendste) Partei Deutschlands zu führen? Zumindest wirken ihre Namen halbwegs frisch. "Ich will eine starke Stimme aus dem Osten sein", sagt sie, "die SPD muss wieder eine Partei werden, die sich um die Zukunft der Menschen kümmert", sagt er. Was auch sonst? Parteipolitisch steht das Duo klar auf der Realo-Seite. Große Koalition? Warum nicht, solange es Gemeinsamkeiten gibt.

Bewertung: Mit Köpping und Pistorius würden die Sozialdemokraten ein Weiter-so-Tandem an die Spitze wählen. "Die SPD ist die einzige Partei, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land wiederherstellen kann. Sie ist Brückenbauer zwischen Jung und Alt, Stadt und Land, Arm und Reich, Ost und West." Solche Sätze wie diesen von Petra Köpping zeigen: Eine "politische Erneuerung der Partei" (Sachsens SPD-Chef Martin Dulig) ist von den beiden eher nicht zu erwarten, aber dafür bringen sie Erfahrung und Bodenständigkeit mit. Fraglich, ob das wirklich die Eigenschaften sind, die für die SPD-Basis derzeit am wichtigsten sind.
Hier stellen sich Petra Köpping und Boris Pistorius vor.
Gesine Schwan und Ralf Stegner
Ein bekanntes Bewerberduo. Gesine Schwan, 76, Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, Ralf Stegner, 59, SPD-Parteivize, könnte man als Überzeugungstäter bezeichnen – oder als unbelehrbar? Beide haben schon herbe Niederlagen einstecken müssen: Schwan fiel bereits zwei Mal als Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin durch, Stegner verlor Wahlen als Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein. Beide konnte das nicht stoppen. Nun wollen sie die SPD wieder aufrichten – ausgerechnet, meint mancher ein Kritiker. An Erfahrung mangelt es Schwan (auch Politikwissenschaftlerin, Ex-Universitätspräsidentin, Mitgründerin einer Hochschule) und Stegner (seit 2003 in der ersten Reihe der Landespolitik in Schleswig-Holstein; als Finanzminister, Innenminister, als Landespartei- und Fraktionschef) jedenfalls nicht.

Schwan und Stegner stehen nicht unbedingt für den Aufbruch, den sich viele in der SPD wohl wünschen. Gleichwohl aber befürworten sie neue Optionen und brachten bei ihrer ersten Pressekonferenz ein rot-rot-grünes Bündnis nach der nächsten Bundestagswahl ins Gespräch. Gleichzeitig soll das keine Aufkündigung der aktuellen Koalition sein. "Wir haben Gutes erreicht, verkaufen das nicht immer so gut", sagte Stegner. Der Parteilinke und die "Grande Dame der SPD" könnten sich im bisherigen Bewerberfeld zumindest als verlässliche Bank erweisen.
Bewertung: Stegner und Schwan sind für viele keine Unbekannten, sind rhetorisch stark, oftmals polarisierend – schon jetzt reiben sich viele Genossen und Politiker anderer Parteien an ihnen. Das kann auch ihre Schwachstelle sein: Ein dynamisches Duo aus der ersten Reihe, das weniger streitbar ist, könnte ihnen den Rang ablaufen. Schwan und Stegner sind schon lange dabei, ein Neuanfang stellen sie nicht unbedingt dar. Sie dürften es schwer haben.
Hier stellen sich Gesine Schwan und Ralf Stegner Duo vor.
Karl Lauterbach und Nina Scheer
Der Mann mit der Fliege und die Frau mit ... ja, mit was eigentlich? Nina Scheer, 47, sitzt seit 2013 für den SPD-Landesverband Schleswig-Holstein im Bundestag, ist dort stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung. Arbeitet eher unauffällig im Hintergrund. Warum sie nun an die Spitze will? "Unsere Politik muss wieder schlicht nichts anderes als sozialdemokratisch sein und darf nicht immerfort für einen hohen Preis dem Pragmatismus bis zur Selbstverleugnung ausgeliefert werden", schrieb das Duo in ihrem Bewerbungsschreiben. Karl Lauterbach dagegen gehört schon seit fast 15 Jahren zum Inventar der Bundespolitik. Die Themen des 56-jährigen Mediziners: Gesundheit, Gesundheit und Gesundheit. Beide, Scheer und Lauterbach, werden dem linken Parteiflügel zugerechnet. Scheer war strikt gegen die GroKo, Lauterbach zunächst dafür. "Heute sind wir uns einig: die Große Koalition verschleppt die Grundsatzentscheidung über zukunftsgewandte, nachhaltige Politik in Deutschland und für Europa", erklärten sie im Juli. Zum Verbleib im Regierungsbündnis sollten die Mitglieder befragt werden. Ihren Steckenpferden, der Gesundheits-, Sozial- und die Umweltpolitik, wollen Lauterbach und Scheer, einen höheren Stellenwert in der Partei einräumen.

Bewertung: Ihre Erfolgschancen sind eher gering. Es dürfte an Rückhalt konservativerer Kreise in der SPD mangeln. Auch verspricht das Duo trotz aller Kompetenz nicht unbedingt das, was unter Erneuerung der Partei zu verstehen ist.
Hier stellen sich Karl Lauterbach und Nina Scheer vor.
Christina Kampmann und Michael Roth
Eines kann man Christina Kampmann, 39, und Michael Roth, 49, definitiv nicht vorwerfen: dass sie gezögert hätten. Am 1. Juli wurde das Rennen um den SPD-Parteivorsitz eröffnet, zwei Tage später setzten sie sich als erstes Bewerberduo an die Spitze der Kandidatensuche. Der Europa-Staatsminister und die nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete preschten vor – und mussten es womöglich auch: Beiden fehlt es an bundesweiter Bekanntheit, in den Augen einiger Kritiker auch an vorzeigbaren Erfolgen und Erfahrung. Überzeugung und Authentizität zu vermitteln, ist für dieses Duo daher entscheidend. Und so arbeiten Kampmann und Roth an ihrer Erzählung – in Interviews, in Gastbeiträgen und öffentlichen Debattenbeiträgen zur Zukunft ihrer Partei. Auf den Abschiedsbrief von stern-Autorin Ulrike Posche, die nach Jahren der Treue nicht mehr die SPD wählen will, antwortete das Duo in einem offenen Brief: "Bitte geben Sie der SPD noch eine Chance. Sie ist es wert." Warum, das will das Gespann unter Beweis stellen.

Ihre Ansprüche legen Kampmann und Roth ihrer Kandidatur quasi bei. "Wir wollen eine SPD, die mitten im Leben steht und auf der Höhe der Zeit ist", schreiben die beiden in einem an die SPD-Mitglieder gerichteten Bewerbungsschreiben. Sie fordern darin etwa, die Partei müsse beim Thema Klimaschutz "lauter und unbequemer" werden. Auch bei den Parteistrukturen solle die SPD einen Aufbruch wagen. Mindestens ein Drittel des Parteivorstands solle künftig aus der Kommunalpolitik kommen. Bei Wahlen soll nach ihren Vorstellungen jeder fünfte Listenplatz Menschen ohne Parteibuch offenstehen.
Bewertung: Sind nicht zu unterschätzen. Zwar gehören weder Kampmann noch Roth zu den SPD-Schwergewichten, ihr (vergleichsweise) früher Eintritt ins Bewerberfeld trifft allerdings auf Zuspruch. Nach dem Motto: Da sind zwei, die Interesse an der Aufgabe haben. Doch dem Duo, das eher links steht, fehlt eben eine Erzählung. Große Impulse der beiden sind vielen nicht in Erinnerung. Und unstreitbar sind Kampmann, die "wandelnde Ich-AG" ("Süddeutsche Zeitung"), und Roth, der einerseits die SPD kritisiert und andererseits die Dauerkritik an der SPD kritisiert, auch nicht. Aber sie sind um die Kommunikation ihrer Ziele und Vorhaben bemüht, wirken dabei überzeugt von der Sache und authentisch. Dass sie mit den bundespolitischen Baustellen der SPD bisher wenig am Hut hatten, könnte dabei von Vorteil sein.
Hier stellen sich Christina Kampmann und Michael Roth vor.
Hilde Mattheis und Dierk Hirschel
Die SPD-Linke Hilde Mattheis, 64, vom Forum Demokratische Linke 21 (DL21) kündigte an: "Gemeinsam mit dem DL21-Vorstandsmitglied und Verdi-Chefökonomen Dierk Hirschel, Jahrgang 1970, trete ich für den SPD-Vorsitz an. Kämpft mit uns, für eine Sozialdemokratie, die ihrem Namen alle Ehre macht! Macht Veränderung möglich." Mattheis erlangte vor einigen Jahren Bekanntheit, als sie das Mindestlohngesetz derartig harsch kritisierte, dass einige Mitglieder das Forum Demokratische Linke 21 aus Protest verlassen hatten. Darunter auch Andrea Nahles, die damalige Arbeitsministerin und DL21-Mitbegründerin. Auch Dierk Hirschel zählt zu den Linken in der SPD. Zuletzt kritisierte er Finanzminister Scholz für seine rigide Politik der "schwarzen Null".

Bewertung:Sehr geringe Erfolgschancen. Das Duo Mattheis/Hirschel dürfte selbst innerhalb der SPD-Linken nicht mehrheitsfähig sein.
Hier stellen sich Hilde Mattheis und Dierk Hirschel vor.
Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans
Kurz vor Bewerbungsschluss warf ein weiteres Kandidatenduo seinen Hut in den Ring: Die baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Saskia Esken, 58, und der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans, 66, wollen nach eigener Aussage eine "mutige Spitze" bilden. "Als gestandene, haltungsstarke Frau mit Format in digitalen und sozialen Fragen will ich die SPD führen", schreibt Esken selbstbewusst. Ihr Partner Walter-Borjans wurde vor allem durch den Kampf gegen Steuerbetrug durch illegale Geldtransfers in die Schweiz bekannt.

Bewertung: Angesichts der durchaus namhafteren Konkurrenz ist es unwahrscheinlich, dass Esken und Walter-Borjans am Ende an der Spitze der SPD stehen werden.
Hier stellen sich Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans vor.
Karl-Heinz Brunner
Der einzige zugelassene Einzelbewerber ist Karl-Heinz Brunner, 66 und SPD-Bundestagsabgeordneter aus Illertissen bei Neu-Ulm. Als Grund für seine Bewerbung nannte er den "deutlichen Überhang der GroKo-Gegner und des linken Parteispektrums".

Bewertung: Seine Bemühungen dürften wenig Chancen auf Erfolg haben: Der Wunsch nach einer Doppelspitze in der SPD scheint zu groß, auch besitzt Karl-Heinz Brunner im Vergleich zu den anderen Bewerberduos wenig Strahlkraft.
Hier stellt sich Karl-Heinz Brunner vor.
Der Fahrplan zur neuen SPD-Spitze
Die Aufstellung der Kandidaten war erst der erste Schritt, anschließend wird die SPD fast drei Monate mit sich selbst beschäftigt sein. Vorteil oder Nachteil? "Die Kandidatensuche könnte zum endgültigen Kollaps der SPD führen", meint die "Süddeutsche Zeitung". Gegenrede vom kommissarischen SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel: "Viele, die meinten, unsere Kandidatensuche funktioniere nicht, müssen nun feststellen: Sie funktioniert doch", sagte er. Es gebe ein offenes Rennen mit guten Kandidaten.
Die Kandidaten gehen zunächst auf Vorstellungstour durchs Land (lesen Sie hier mehr dazu). Insgesamt 23 Termine in allen Bundesländern stehen bis zum 12. Oktober an (hier geht's zur Veranstaltungsübersicht). Vom 14. bis zum 25. Oktober können dann alle Mitglieder, die bis zum 16. September in die Partei eingetreten sind, online oder per Brief abstimmen. Spannend wird es dann am 26. Oktober: Das Abstimmungsergebnis wird veröffentlicht, es folgt eine weitere Abstimmung zwischen Platz 1 und 2 vom 19. bis zum 29. November. Endgültig weißer Rauch soll dann zum Jahresende aufsteigen: Auf dem SPD-Parteitag in Berlin (6. bis 8. Dezember) soll die neue Spitze dann offiziell gewählt werden.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde bereits im August veröffentlicht, nach der Zulassung aller Bewerber Anfang September jedoch umfassend aktualisiert. Nachdem Simone Lange und Alexander Ahrens ihre Kandidatur am 4. September zurückgezogen haben, wurde der Artikel erneut bearbeitet.
Quellen: SPD, "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (u.a. "Leipziger Volkszeitung"), "Süddeutsche Zeitung" I, Ver.di/IG Metall, "Süddeutsche Zeitung II", Nachrichtenagenturen DPA und AFP