Es geht um einen einzigen Satz im Bürgerlichen Gesetzbuch: "Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen." Mit dieser Formulierung wäre die rechtliche Gleichstellung lesbischer und schwuler Paare besiegelt. Die SPD ist dafür - eine rechnerische Mehrheit im Bundestag vorhanden. Mit etwas Mut könnte die deutsche Sozialdemokratie Geschichte schreiben. Genau hier liegt das Problem: Sie traut sich nicht.
Aktiv verhindert wird die Öffnung der Ehe durch CDU und CSU. Die Union entfernt sich dabei immer weiter von der Lebenswirklichkeit. 83 Prozent der Deutschen befürworten mittlerweile Heirat und volles Adoptionsrecht für Homo-Paare, wie eine repräsentative Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes Anfang Januar ergab. Das lässt die Konservativen kalt. Der Fortschritt ist zwar eine Schnecke, doch selbst die zieht lässig an Deutschland vorbei. In 14 Ländern Europas ist die Ehe für alle, auch bekannt als Homo-Ehe, inzwischen eingeführt, zuletzt stimmten die Finnen für die vollständige Gleichstellung. Die Bundesrepublik hinkt mächtig hinterher. Angela Merkel müsste das peinlich sein. Doch die Kanzlerin schweigt.
SPD kündigt Gesetzentwurf an, dabei liegt der längst vor
Noch enttäuschender ist die Haltung der SPD. Die versprach bei den Bundestagswahlen 2013 "hundert Prozent Gleichstellung", knickte in den Koalitionsverhandlungen aber ein. Viele Schwule und Lesben sind zu Recht wütend. Seit dreieinhalb Jahren herrscht Stillstand. Da hilft es nicht, dass Thomas Oppermann vergangene Woche Homosexuelle als potenzielle Wähler wiederentdeckte. Der SPD-Fraktionschef kündigte einen Gesetzentwurf zur Ehe für alle an, "noch im März". Dass die Sozis damit etwas bewirken, glauben aber nicht mal eingefleischte Genossen.
Unnötig ist der plötzliche Aktionismus außerdem: Ein fertiger Gesetzentwurf liegt längst auf dem Tisch, beschlossen im September 2015 durch den Bundesrat. Neun von 16 Ländern stimmten dafür - die meisten von der SPD regiert. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer sagte damals: "Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist." Sie hätte besser Gustav Heinemann zitiert, den ersten sozialdemokratischen Bundespräsidenten: "Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Glieder verfährt."
Denn für Union und SPD ist die gesellschaftliche Minderheit der Homosexuellen vor allem eins: Verhandlungsmasse. Selbst das Reden über die Gleichstellung scheint der Großen Koalition unangenehm zu sein. Entsprechende Beratungen wurden im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages fast 50 Mal von der Tagesordnung verbannt. Nach einer vergleichbaren Missachtung der Länderkammer oder der Oppositionsparteien, die parallel eigene Anträge einbrachten, wird man lange suchen müssen.
"Zeit für mehr Gerechtigkeit" - für Schwule und Lesben ein Witz
So bleibt die Gleichstellung ein Spielball parteitaktischer Interessen. Angela Merkel wird in den kommenden Monaten alles vermeiden, was ansatzweise modern erscheint und Stammwähler der Union irritiert. Die Sozialdemokraten wiederum halten so lange in Treue fest zur Koalition, bis es am Ende zu spät ist - keine Experimente vor der wichtigen Landtagswahl in NRW Mitte Mai.
Und danach? Ob die SPD den Mut aufbringt, ihren Koalitionspartner bei der Ehe für alle zu überstimmen, hängt von den übrigen noch ausstehenden Entscheidungen im Bundestag ab. Irgendetwas wird sich schon finden, das mal wieder wichtiger ist. Da kann Martin Schulz noch so laut ausrufen, es sei "Zeit für mehr Gerechtigkeit". Aus Sicht von Lesben und Schwulen ist der aktuelle SPD-Slogan allenfalls ein schlechter Witz.
