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"Anne Will" Der ewig gleiche Corona-Talk: Keine Perspektive, nirgends

Dortmunder Friseurin Bianca Bergler verzweifelt im Lockdown
Sehen Sie im Video: "Bin faktisch pleite" – Dortmunder Friseurin postet bewegenden Hilferuf.
Videoquelle: RTL.de

Zig Mal derselbe Inzidenzwert-Lockdown-Sound. Man ist der Corona-Talks müde. Selbst der nahe Impfgipfel brachte bei "Anne Will" und ihren Gästen keinen Schwung in die Debatte.
Von Sylvie-Sophie Schindler

Müssen wir jeden zweiten Sonntag und jeden dritten Donnerstag und jeden vierten Dienstag Peter Altmaier in den Talkshows des Landes sehen? Oder ist Talkgast inzwischen sein und – nicht zu vergessen – Karl Lauterbachs Nebenjob auf 450-Euro-Basis? Überhaupt, Frau Will, wie stellen Sie sich das weiterhin so vor? Die Welt ist groß, Themen gibt´s reichlich. Und Sie und Ihre Kollegen kommen trotzdem permanent daher mit dem Inzidenzwert-Lockdown-Sound. Warum eigentlich wird nicht endlich über die Frage debattiert, wann und wie lange Corona-Talks in den TV-Lockdown gehen sollen? Kurz: Es reicht. Möglicherweise sitzen Sie und Ihre Gäste eh irgendwo am Pazifik und wir blöden Zuschauer, für die wir wohl gehalten werden, kapieren gar nicht, dass uns die zwölfte oder zwanzigste Wiederholung gezeigt wird.

Hier die Talkgäste in alphabetischer Reihenfolge:

  • Peter Altmaier (CDU), Bundesminister für Wirtschaft und Energie
  • Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung
  • Brigitte Meier, Unternehmerin im Einzelhandel
  • Corinna Pietsch, Leiterin des Instituts für Virologie am Uniklinikum Leipzig
  • Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen

Wiederholung können wir übrigens auch: Ende 2019 erkrankten immer mehr Menschen an einer Lungenentzündung im chinesischen Wuhan, am 31. Dezember meldete China die Fälle offiziell der Weltgesundheitsorganisation – die WHO stufte den Ausbruch des Corona-Erregers am 11. März als Pandemie ein. Wenn es also im Talk-Titel heißt "Ein Jahr Corona-Pandemie – Zeit für neue Perspektiven?", gibt es schon mal den ersten Fehler.

"Oha", kommentierte Anne Will

Der zweite Fehler: "Wo waren die neuen Perspektiven? Sie kamen nicht zur Sprache. Und müsste nicht vorher endlich auch mal ausgiebig über Versäumnisse und Fehler reflektiert werden, damit wir, frei nach Jens Spahn, einander das verzeihen können, was wir einander verzeihen müssen. Und entsprechend nachjustieren. Siehe unter anderem die optimale Testung in Alten- und Pflegeheimen und die konsequente Nachverfolgung durch die Gesundheitsämter – es kam hier immerhin die Frage auf, warum die Berufe der Infizierten nicht (mehr) erfasst würden; Altmaier zufolge aus Datenschutzgründen.

Was ist eigentlich so schwer daran, Menschen einzuladen, die, anders als Altmaier & Co, aktuell und existenziell sagen: "Ich kann nicht mehr". Im Diskussionsforum zur Sendung sind immer mehr solcher Hilferufe zu lesen. Die Unternehmerin Brigitte Meier einzuladen, war ein netter Versuch, wirkte aber im Verhältnis nicht repräsentativ genug – oder es gelang ihr nicht, ihren Überlebenskampf deutlich genug zu machen. Sie verwies auf die 220.000 Unternehmen in der Handelsbranche, die geschlossen sind; 1,6 Millionen Beschäftigte seien betroffen. Ihr Appell: "Sofort wieder öffnen." Und zwar mit "sehr klugen Maßnahmen und bedächtig". Man dürfe sich ans Zusperren nicht gewöhnen. In einem Vergleich erzählte sie von Peter Ustinov, dem als Kind die Fliegenklatsche weggenommen worden sei, damit er sich an das Töten nicht gewöhne. "Oha", kommentierte Anne Will.

Die Frage, ob die No-Covid-Strategie eine Alternative sei oder ob man lernen müsse, mit dem Virus zu leben – und wenn ja, was heißt das? – wurde konsequent einseitig behandelt. Corinna Pietsch warnte davor, sich über die niedrigen Zahlen zu täuschen. Noch hätten die Mutationen einen geringen Anteil bei den Infektionen, aber das könne sich rasant ändern. Ihre Devise: "Auf keinen Fall zu früh lockern." Bis alles wieder geöffnet sei, würden ihrer Einschätzung nach Wochen oder Monate vergehen. Die Inzidenzen sollten optimalerweise bei zehn sein – oder weniger.

Zustimmung von Clemens Fuest, der sich ohnehin bei "No Covid" engagiert – nicht zu verwechseln mit "Zero Covid". Er mahnte: "Wir müssen weiter runter unter die 50er-Marke, sonst fangen wir uns eine dritte Welle ein." Ihm zufolge sei es übrigens falsch, zu glauben, die Maßnahmen seien für den Rückgang der Konsumausgaben verantwortlich: "Die Leute hören auf, in die Restaurants zu gehen, weil ein Virus grassiert – es liegt also am Virus, nicht am Lockdown."

Marktwirtschaft statt Kommandowirtschaft

Stephan Weil hat zwar für sein Bundesland einen Stufenplan vorgelegt, der bei sinkenden Infektionszahlen eine Rücknahme der Beschränkungen in Etappen vorsieht, gab aber zu verstehen: "Das ist kein Versprechen." Man müsse immer die Dynamik des Infektionsgeschehens anschauen: Wo heute kein Hotspot ist, könne schon morgen einer sein.

Auch Altmaier wollte sich auf kein Versprechen festlegen lassen; ob es ab 15. Februar wieder Öffnungen gebe, könne er nicht alleine entscheiden. Im Hinblick auf dem am Montag stattfindenden Impfgipfel kam von ihm ebenso nur Vages. Mehrmals wollte Will wissen, ob er die von Markus Söder geforderte Not-Impfstoffwirtschaft unterstütze. "Ich weiß nicht, wie viele Menschen es in Deutschland gibt, wo solche Dinge verfügbar gemacht werden können", sagte er schließlich.

Eine klare Haltung hingegen bei Fuest: Marktwirtschaft statt Kommandowirtschaft. Die Idee, per Gesetz anzuordnen, dass Firmen Impfstoffe produzieren, sei planwirtschaftlich und daher abwegig. Will verabschiedete sich dennoch mit dem semi-augenzwinkernden Appell an diejenigen, die sich an der Produktion von Corona-Vakzinen  beteiligen wollen würden: "Wenn sie zufällig ein Pharmaunternehmen haben, melden Sie sich."

mad

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