Was passiert, wenn Menschen das Grundvertrauen in das politische System verlieren? Dann steigt der Anteil der Nichtwähler:innen. Oder (rechts-)extreme Gruppierungen wie die Reichsbürger werden gestärkt, die glauben, die deutsche Demokratie gäbe es nicht. Erst letzte Woche wurden 25 Personen festgenommen. Darunter eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin, aber auch Angehörige von Bundeswehr und Polizei. Eigentlich Verantwortliche, die dafür ausgebildet sind, die auf Gewaltenteilung basierende Demokratie wehrhaft zu halten und zu schützen. Es wäre allerdings zu einfach, nur zu behaupten: Sämtliche Personen, deren Vertrauen in die Demokratie schwindet, hätten eine extreme Gesinnung. Anita Blasberg ist Journalistin bei der "Zeit". Für ihr Buch "Der Verlust – Warum nicht nur meiner Mutter das Vertrauen in unser Land abhandenkam" traf sie Menschen in ganz Deutschland, die offen über die Gründe für ihr schwindendes Vertrauen gesprochen haben. In der 424. Folge von "heute wichtig" fasst sie zusammen: "Viele Menschen haben nicht mehr das Gefühl, dass bei den Themen, die ihnen wichtig sind, politisch wirklich etwas angepackt wird." Dazu zählt die Klimakrise, aber auch alltägliche Sorgen wie steigende Mieten oder Probleme im Gesundheits- oder Bildungssektor. Systeme, die am Limit sind, so Blasberg: "Wir wissen, was in diesen Bereichen falsch läuft. Es gibt auch viele Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, was man ändern müsste. Aber es passiert nichts. Und das gibt vielen Leuten zu denken."
Kipppunkte des Vertrauensverlusts: Die Wiedervereinigung, der NSU oder die Finanzkrise 2008
Bei vielen Menschen gibt es Kipppunkte. Momente, in denen ganze Gruppierungen einen Vertrauensverlust erleiden in die Politik, die Polizei oder die Medien. Für Menschen im Osten gehört das Verhalten nach der Wiedervereinigung dazu, so Blasberg: "Im Großraum Halle zum Beispiel war jeder Vierte arbeitslos. Und das war der Zeitpunkt, an dem auch noch die Agenda-Politik von Gerhard Schröder das Feld betrat und diesen Arbeitslosen auch noch das Gefühl gab: Ihr seid selber schuld, vielleicht müsst ihr euch mal bewegen." Weitere Kippunkte seien der NSU und dessen Aufarbeitung, besonders für Menschen mit Migrationshintergrund, oder die politische Reaktion auf die Finanzkrise 2008. Das Ergebnis: Diese Menschen wenden sich ab von den Institutionen.
Bürgerinnen und Bürger wollen nicht nur Geld
Dabei könnten Krisen auch dazu genutzt werden, das Vertrauen der Bürger:innen wiederzugewinnen. Denn das ist nach wie vor möglich, ist sich die Autorin sicher. Vertrauen könne sich neu bilden, indem der Staat seine Handlungsfähigkeit unter Beweis stellt, sagt Anita Blasberg: "Und zwar eben nicht, indem er Geld ausschüttet, sondern indem er ein paar wichtige Punkte endlich anfasst." Also an den großen, systemischen Stellschrauben dreht. Die Gesundheitsreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach könnte zum Beispiel ein Anfang sein. Dabei per se Geld an alle auszuschütten sei jedoch nicht die Lösung: "Man tut den Bürgerinnen und Bürgern unrecht, wenn man glaubt, die wollen einfach immer nur Geld. Das wird von der Politik oft falsch eingeschätzt, glaube ich." Vielmehr habe sich bei ihren Gesprächen ergeben, dass Reden und Handeln stärker übereinstimmen müssten. Was versprochen wird, soll dann bitte auch geliefert werden. Auch einzelne direkt-demokratische Elemente könnten helfen, um das Vertrauen der Bürger:innen wieder zu stärken.
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