Herr Plath, Sie sind in ihrem Berufsleben mit 268 verschiedenen Flugzeugtypen geflogen. Welches waren ihre Höhepunkte?
Dietmar Plath: Zweifellos zwei Flugzeuge, die heute nicht mehr im Einsatz sind: die Concorde und die Antonow An-225.
Wie kam es zum Mitflug in dem Frachtflugzeug? Dafür kann man nicht einfach ein Ticket kaufen…
… 2001 hatte Antonow, nachdem das An-225 von 1994 bis 2000 eingemottet war, die Lizenz für weltweite Frachtflüge erhalten. Als ich das hörte, wollte ich unbedingt mitfliegen. Bei Antonow habe ich einen Antrag gestellt. Es dauerte ein halbes Jahr, bis ich grünes Licht aus Kiew bekam.
Waren zuvor schon Journalisten aus dem Westen mitgeflogen?
Nein, zusammen mit Gunter Hartung waren wir im Dezember 2002 die ersten und wohl auch einzigen in den Folgejahren, die im Cockpit des größten Flugzeugs der Welt mitgelogen sind.
Auf welchem Flug duften Sie an Bord?
Das lief über die Firma Pro Air Charter, die den Auftrag erhalten hatte, Essenrationen von Deutschland zu den US-Streitkräften nach Afghanistan zu transportieren. Am Flughafen München haben wir am Abend vor dem Abflug nach Kiew die Landung des Riesen miterlebt und sahen im Hangar die 420 Paletten mit Lebensmittelpaketen...
… wie bitte, 420 Europaletten?
Das waren 250.000 Kartons mit Essensrationen, die Ladung von 17 Lastwagen. Als ich das sah, dachte ich, dass passt nie und nimmer in einziges Flugzeug.

Wie kam die Ladung ins Flugzeug?
Die Antonow hatte vorne ein Ladetor mit Rampe, über die Gabelstapler direkt ins Innere des Flugzeuges fuhren. Über zehn Stunden dauerte der Beladevorgang der insgesamt 213 Tonnen Luftfracht.
Was hat Sie an dem Flugzeug am stärksten beeindruckt?
Alles war gigantisch. Der riesige Laderaum von 43 Metern Länge. Allein das Fahrwerk mit 32 Reifen, so etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen. Und das Höhenruder hatte die Flügelfläche eines Businessjets.
Wann ging es endlich los?
Am nächsten Morgen sind wir über eine sieben Meter lange freistehende, fast senkrechte Leiter aus dem Laderaum in das Cockpit geklettert, dem Arbeitsplatz für sechs Personen: für Pilot und Kopilot, für einen Navigator, Funker und zwei Flugingenieure. Hinzukommt noch das Ladepersonal, das eine extra Kabine im Heck oberhalb des Frachtraums hatte. Insgesamt waren wir 22 Personen. Das Abfluggewicht betrug 563 Tonnen. Das galt als der damalige Weltrekord für Luftfacht.
Antonow An-225: Einziges Exemplar des weltgrößten Frachtflugzeuges zerstört

Wie war die Atmosphäre im Cockpit?
Recht locker, wir nahmen auf einem plüschigen Sofa in einer Nische hinten im Cockpit Platz und mussten uns nicht einmal anschnallen. Das war absurd, wir fühlten uns nicht wie in einem Flugzeug, eher wie in einem gemütlichen Wohnzimmer.
Gab es Sicherheitshinweise?
Nein, die Crew hat uns keine Instruktionen gegeben. Ich kann mich noch erinnern, dass sie sagten: Bleiben sie ruhig, hier ist alles entspannt, hier passiert nichts. Die beiden Piloten waren mächtig stolz auf ihr Flugzeug, dem größten der Welt, zumal sie bereits in den späten achtziger Jahren auch die Testpiloten der An-225 gewesen waren.
Beim Start, wurde es da richtig laut?
Wider Erwarten war es leise, kein ohrenbetäuben Krach, als der Pilot für die sechs Triebwerke Volllast gab. Nach 2800 Metern hob die Maschine sanft ab, ganz langsam. Diese Masse, dieser riesige Klotz ist fast unverwundbar, falls wir aufschlagen sollten, dachte ich.
Wie verlief der Flug?
Auf dem Flug von zwei Stunden und zehn Minuten nach Kiew blieb es ruhig. Es gab keinerlei Hektik, die Piloten waren sehr entspannt und souverän, eben Vollprofis. Nicht alle im Cockpit sprachen Englisch. Die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, die wissen was sie tun. Das Flugzeug ist mein Leben, sagte uns der Flugkapitän. Er wäre hier geboren und würde sein ganzes Berufsleben in diesem Cockpit verbringen.
Antonow An-225: Was von dem einst größten Flugzeug der Welt übrig blieb

Wie hart war das Aufsetzen der 563 Tonnen?
Wir saßen weiter hinten im Cockpit und haben gar nicht gemerkt, dass wir schon am Boden waren, so butterweich war die Landung. Es gab kein Ruckeln. Plötzlich merkten wir, dass wir rollen und längst in Kiew-Hostomel sind. Wir sind damals in Kiew geblieben, weil wir uns die Antonow-Flugzeugwerke ansehen wollten und sind nicht weiter mitgeflogen…
… und die Crew hat aufgetankt?
Ja, denn durch das hohe Ladegewicht konnten sie nicht so viel Treibstoff wie üblich mitnehmen und nonstop fliegen. Deshalb legten sie noch eine weitere Zwischenladung in Russland ein, bis sie Bischkek in Kirgisistan erreichten.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als der Nachricht von Zerstörung hörten?
Der Trip ist zwar schon 20 Jahre her, aber die An-225 war für mich d a s Flugzeug der Branche, der König der Luftfahrt. Es gab nur ein Exemplar. Deshalb war es für mich besonders traurig, als die ersten Gerüchte die Runde machten, dass das Flugzeug in Kiew beschossen oder in Brand geraten sei. Zunächst hoffte ich noch, dass die Schäden gering wären. Als dann die Bestätigung kam, war ich erschüttert. Seitdem ich Fotos vom Wrack sah, kann mir auch nicht mehr vorstellen, dass die Überreste repariert werden. So ein Flugzeug wird es nie wieder geben.

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